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       # taz.de -- Gemeinsinn und Engagement: Wer macht's?
       
       > Die Frau unseres Autors schickt ihn zum Elternabend und sagt: „Aber lass
       > dich bloß nicht wählen.“ Arno Frank sucht Entschuldigungen, warum er
       > nicht Elternsprecher werden kann.
       
   IMG Bild: Wer macht's? Gemeinsinn scheitert oft schon beim Engagement für Elternsprecher*innen.
       
       [1][taz FUTURZWEI] | Er ist muskulös, glatzköpfig und wirkt latent
       gewaltbereit, hat aber mutmaßlich das Herz am rechten Fleck. Der
       Klassenlehrer am Gymnasium meiner Tochter sieht ein bisschen aus wie Vin
       Diesel aus der „Fast & Furious“-Reihe. Seine Kollegin ist noch cooler.
       Fälschlicherweise weisen ihre seitlich abrasierten Haare und der tätowierte
       Stacheldraht auf den Unterarmen sie als Bassistin einer Band namens „The
       Slits“ oder „Vertical Smile“ aus. Tatsächlich unterrichtet sie Geografie
       und Religion, und gerade referiert sie die Tagesordnung des Elternabends.
       
       Elternabend ist Ernstfall, vermutlich nicht nur auf Elternseite („Gehst
       du?“ – „Och nö, ich war doch schon letztes Mal!“).
       
       Der erste Tagesordnungspunkt betrifft das Grundgesetz der Klasse, die sich
       in Hinsicht auf [2][gewisse Konflikte im Nahen Osten] so etwas wie ein
       „neues Grundgesetz“ gegeben hat, „im Interesse des Gemeinwohls“. Es gehe
       darum, dass keine Diskriminierung aufgrund von Religion, Herkunft oder
       Sexualität stattfinde.
       
       Vin Diesel und die coole Bassistin halten‘s allgemein, aber der Vater neben
       mir möchte genau wissen, worum es geht. Die türkischen, persischen und
       arabischen Eltern schauen zwischen ihren Knien auf den Boden. Von meiner
       Tochter weiß ich, dass es in der Klasse eine propalästinensische
       WhatsApp-Gruppe gibt, die durch intensive „Befragung“ der Mitschüler
       aufopferungsvoll gegen den „Babymord“ durch die jüdische Weltverschwörung
       kämpft. Im Grunde geht es den Lehrern darum, das Klassenzimmer irgendwie
       abzudichten gegen die Winde der Weltpolitik.
       
       Der Vater neben mir ruft: „Laizismus! Bringen Sie den Kindern auch bei, was
       Laizismus ist?“ Dann verkündet er: „Unsere Demokratie beruht im Grund auf
       der Trennung von Religion und Gesellschaft“, also, genau, dem Laizismus.
       
       Auf der Stirn von Vin Diesel pocht eine Ader. Die Bassistin sagt mit
       tödlichem Lächeln, dass dieser politologische Fachbegriff nicht Gegenstand
       des Unterrichts gewesen sei. Jetzt müsse übrigens, von wegen Demokratie und
       Politologie, ein neuer Elternsprecher ermittelt werden. Vin Diesel lässt
       die Gelenke seiner Finger knacken: „Wer will?“
       
       Ich selbst kann mich nicht melden. Das heißt, ich könnte schon. Allerdings
       habe ich keine festen Arbeitszeiten, bin heute hier, morgen dort, muss
       sowieso 1.000 andere Sachen im Kopf behalten, wäre also nicht verlässlich
       genug für diesen Job, könnte aber vielleicht schon, theoretisch, streng
       genommen, will aber eigentlich nicht.
       
       Ich denke: „Es dankt einem ja keiner!“ Und an die Worte meiner Frau: „Lass
       dich bloß nicht wählen!“ Ich denke ferner, dass, dächten alle so wie ich,
       nie ein Elternsprecher gewählt werden würde. Warum aber sollte ausgerechnet
       ich meine kostbare Zeit opfern? So denken vermutlich alle, und deshalb
       fliegen die Blicke hin und her, gehen zwischen den Knien auf den Boden,
       schweifen ins Leere. Elternabend ist im Grunde die Behauptung einer
       Gemeinschaft, die es nicht gibt.
       
       Die Bassistin lächelt. Vin Diesel knackt. Wenn sich niemand melde, sagt er,
       könnten wir uns auch gerne kommende Woche noch einmal treffen. Schweigen.
       Ein Nervenkrieg, in dem verliert, wer sich zuerst räuspert und erweichen
       lässt. „Wenn niemand sich meldet“, sagt irgendwann eine Mutter, „kann ich
       das auch machen!“ Es wird applaudiert und die Mutter sogar ein bisschen
       rot. Die Erleichterung ist echt. Immer ist es eine Mutter, die sich am Ende
       für diesen Job meldet. [3][Care-Arbeit] am Gemeinwohl. Meldet sich
       ausnahmsweise mal ein Mann, ist der im Beruf offensichtlich wohl nicht
       ausgelastet.
       
       Vin Diesel und die Bassistin teilen nun Zettel aus und fragen nach einem
       Wahlleiter. Der Vater neben mir hebt die Hand: „Wir können das abkürzen,
       wenn wir die Wahl per Akklamation durchführen!“ Der Vorschlag wird
       angenommen, und ich flüstere ihm zu: „Sie sind wohl ein gewiefter Demokrat,
       was?“, darauf er: „Als Mitglied in einer christlichen Partei habe ich da so
       meine Erfahrungen!“
       
       Ich überlege kurz, ihn darauf hinzuweisen, dass Deutschland vielleicht
       säkular ist, keinesfalls aber laizistisch. Dann lasse ich das aber. Als
       Mitglied einer christlichen Partei ist ihm das bestimmt bekannt.
       
       ■ Dieser Beitrag ist im Magazin [4][taz FUTURZWEI] erschienen. Lesen Sie
       weiter: Die aktuelle Ausgabe von [5][taz FUTURZWEI N°30] gibt es jetzt im
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       6 Jan 2025
       
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