# taz.de -- Vom Staat entwickelte Videospiele: Why so serious?
> Sogenannte „Serious Games“ unterhalten und bilden zugleich. Das Land NRW
> hat so ein Spiel entwickelt, aber die Unterhaltung vergessen.
IMG Bild: „In dem Videospiel „Leons Identität“ muss man herausfinden, warum der Bruder nach rechts gedriftet ist“
Mein Bruder ist verschwunden. Auf dem Weg in sein Zimmer im Dachgeschoss
höre ich, wie meine Eltern mit der Polizei sprechen. Dann wird es still.
Die Wände in Leons Zimmer sind mit Plakaten gepflastert, die meisten von
der „atavistischen Aktion“. Auf der Couch sammelt sich dreckige Wäsche.
Über seinem Bett: eine umgedrehte Deutschlandfahne.
In dem [1][Videospiel „Leons Identität“] muss man herausfinden, warum der
Bruder nach rechts gedriftet und wohin er verschwunden ist. Die Logos der
fiktionalen „atavistischen Aktion“ erinnern an die der leider sehr realen
[2][rechtsextremen Identitären Bewegung]. Das Land Nordrhein-Westfalen hat
das Game zusammen mit dem Verfassungsschutz entwickelt und 2020
veröffentlicht, um junge Menschen über rechtsextreme Bewegungen
aufzuklären.
Die Idee ist eigentlich cool. Aber die Umsetzung? Na ja. Ich fühle mich
unterfordert. Es gibt kein einziges richtiges Rätsel, keine Denkaufgaben,
und die nächsten Schritte sagt mir die Stimme meines Charakters (der
konstant Selbstgespräche führt?) einfach vor: „icH kÖNnte mAL scHAUeN, oB
IcH iN leONs coMPutER etWAs fINde …“ Ja, ach was, Jonas. Die Intonation der
Stimme aus dem Off klingt dazu noch wie eine schlechte [3][Filmsynchro].
## Bald ein Spiel über islamistische Propaganda
Politische Aufklärung per Videospiel ist sinnvoll. Das findet wohl auch der
Medienminister von NRW, Nathanael Liminski von der CDU. Nun soll nämlich
das zweite Spiel zusammen mit dem Verfassungsschutz entwickelt werden,
kündigte Liminski beim Games-Gipfel in Köln an. Statt um Rechtsextremismus
wird es um islamistische Propaganda gehen. Eine Million Euro will das Land
investieren.
Spiele, die bilden wollen, fasst man unter „Serious Gaming“ zusammen. Ob
ein Game „serious“ ist oder nicht, ist schwer zu sagen. Ein Beispiel ist
„Zoo Tycoon“. Ich habe in den Jahren, als ich passioniert virtuelle Zoos
verwaltet habe, viel über Tiere gelernt: Wie sehen Okapis aus? Bengalische
Tiger können schwimmen?! Und in welchem Geländetyp leben Einhörner? Klar
können Videospiele nur vereinfachte Ausschnitte der Realität abbilden. Das
habe ich als Kind schon gecheckt.
Ein politischeres Beispiel ist [4][„Half Earth Socialism“]. Darin ist man
Teil einer Weltregierung und hat 60 Jahre Zeit, die Welt vor der Klimakrise
zu retten. Mit dem Status quo von 2022 muss man es schaffen, die
Artendiversität zu retten, Pandemien abzuwehren, die Stromgewinnung und die
Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung zu sichern. „Half Earth Socialism“
ist komplex und anspruchsvoll und bringt genau deswegen Spaß.
Damit Menschen Bock auf „serious“ Games haben, müssen diese mehr bieten als
Bildung in interaktiver Videospielform – sie müssen unterhalten. Und keine
Sorge, NRW, dafür braucht es nicht mal eine millionenteure Grafik. Um junge
Menschen davon abzuhalten, rechtsextremistisch oder islamistisch zu werden,
braucht es vor allem zwei Dinge: gute Rätsel – und normale Synchronstimmen.
2 Dec 2024
## LINKS
DIR [1] https://leon.nrw.de/
DIR [2] /Identitaere-Bewegung-bei-Bundeswehr/!6029877
DIR [3] /Die-steile-These/!5709409
DIR [4] /Umwelthistoriker-ueber-Videospiel/!5890268
## AUTOREN
DIR Alexandra Hilpert
## TAGS
DIR Kolumne Zockerzecke
DIR Videospiele
DIR NRW
DIR Rechts
DIR Identitäre Bewegung
DIR GNS
DIR Nazis
DIR Kolumne Zockerzecke
DIR Kolumne Zockerzecke
DIR Social Media
DIR Kolumne Zockerzecke
DIR Kolumne Zockerzecke
DIR Kolumne Zockerzecke
DIR Kolumne Zockerzecke
DIR Kolumne Zockerzecke
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Rechtsruck in Videospiel-Communities: „Kulturkampf wird auch im Gaming ausgetragen“
Beim Gaming zeigt sich, dass es gesellschaftlich einen Rechtsruck gibt.
Sozialwissenschaftlerin Stürenberg über Rechtsradikale als Zielgruppe.
DIR Geschlecht und Sexualität im Gaming: Niemand liebt dich
Eine neue Lebenssimulation will dem Klassiker „Die Sims“ Konkurrenz machen.
Für Queers ist sie dystopisch.
DIR Computerspiele und mentale Gesundheit: Weshalb Gaming glücklich macht
Unser Kolumnist spielt aus verschiedenen Gründen: mal um zu fliehen, mal um
zu wachsen. Games können glücklich machen. Das sagt auch die Wissenschaft.
DIR Spieleplattform Roblox: Anarchokapitalismus für Kinder
Wie viele soziale Medien funktioniert die Spieleplattform Roblox nach
kapitalistischer Logik. Ein Verein in Österreich will dem etwas
entgegensetzen.
DIR Hitlers Aufstieg im Game vermeiden: Olaf Scholz, spielen Sie eigentlich „Social Democracy“?
Im Videospiel „Social Democracy“ muss man als SPD versuchen, gemeinsam mit
den anderen Parteien die Wahl Hitlers zu vermeiden. Daraus können wir
lernen.
DIR Vorteile von physischen Spielen: Für mehr Plastik unterm Weihnachtsbaum
Immer weniger Gamer:innen kaufen ihre Spiele physisch – dabei können
Hersteller von Online-Spielen die Lizenzen einfach löschen. Zeit zum
Umdenken!
DIR Angeblich zu „woke“ Videospiele: Gamer:innen gegen Gendergaga
Eine Liste bewertet über 1.500 Spiele, ob sie „zu woke“ sind – und zeigt
vor allem eins: Der Kampf gegen Diversität in der Gamingwelt ist absurd.
DIR Der Tod im Gaming: Endlich realistisch sterben mit Sims4
Das Thema Sterben blenden wir als Gesellschaft kollektiv aus. Bei
Videospielen gehört es dazu – aber erst mit Sims wird es nachfühlbar.
DIR Fortschritt weiblicher Gaming-Charaktere: Revolutionär: Frauen sind jetzt auch Menschen
Spiele wie „The Witcher“ sexualisieren Frauen – doch ein Wandel hin zu
realistischeren Figuren beginnt. Das zeigt auch die neue Lara-Croft-Serie.