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       # taz.de -- Die Wahrheit: Finden statt kaufen
       
       > Eine Umverteilung der Dinge könnte den Konsum revolutionieren und
       > Deutschland zum Open-air-Supermarkt in jeder Straße machen – und alles
       > für lau.
       
       Das Geldwesen ist ein invasives Tier. Es muss, wann immer möglich, in die
       Schranken gewiesen werden. Darum bin ich dazu übergegangen, Dinge, die ich
       brauche, nicht mehr zu kaufen, sondern zu finden. Und zwar finden im Sinne
       von finden. Nicht als ironische Umschreibung für: einsacken, obwohl es mir
       nicht gehört.
       
       Das klappt gut, denn ich wohne in einer Großstadt, und da legen die
       Menschen alles Mögliche zum Mitnehmen auf Bänke. Und vor Hauswände.
       Manchmal in Kisten, auf denen „zu verschenken“ steht. Im Laufe der Zeit
       habe ich schon so einige zur Adoption freigegebene 1A-Stühle und -Hocker
       heimgeschleppt. Mein ganzer Stolz ist eine Mini-Trittleiter, wie ich sie
       schon immer haben wollte. Eines Tages erblickte ich sie einsam am
       Wegesrand, sie rief mir zu: Da bist du ja endlich, nimm mich mit!
       
       Der Überfluss ist gewaltig. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich die
       Leute von den tollsten Sachen trennen. Womöglich ist selbst der Überfluss
       im Überfluss vorhanden. Kürzlich fand ich auf einem Stromkasten einen
       bildhübschen Frühstücksteller von KPM (KPM!). Und auf einer Bank eine
       quasi fabrikneue Jeans, Marke Replay, beinahe meine Größe. Nach Waschmittel
       duftend, anziehfertig. Daneben eine Highend-Kniemanschette für
       Meniskusgeschädigte.
       
       Ich habe zwar keinen Meniskusschaden, doch es schadet nicht, vorbereitet zu
       sein, wir werden alle nicht jünger. Bestimmt ist es nur noch eine Frage der
       Zeit, bis die Menschen auch Zweitwagen und Dritthäuser auf der Straße
       deponieren. Ups, da stehen ja schon zig Häuser und Autos. Jetzt bin ich
       verwirrt.
       
       Bei jedem Fundstück jubele ich: Wieder ein Beitrag zur Vergrämung des
       Geldwesens, das als Unwesen nur eines im Sinn hat, nämlich uns zu
       unterwerfen. Angesichts der vielen Funde frage ich mich, wieso ich
       überhaupt noch etwas kaufen soll, zugleich hoffe ich, dass meine
       Findungsphase niemals endet. Mit Selbstfindung hat sie zum Glück nichts zu
       tun, denn dazu müsste ich mich erst mal verloren haben, sodass mich jemand
       findet und einkassiert, was ich nicht so gut fände. Am Ende müsste ich, um
       mich auszulösen, Finderlohn zahlen, und zahlen ist ja gerade das, was ich
       nicht mehr will.
       
       Wäre ich Kanzler, ich würde die Deutschen verdonnern, ihre Haushalte zu
       durchforsten und alles, was drei- oder zehnfach vorrätig ist, der Straße zu
       spenden. Umverteilung, neu gedacht. Deutschland als Open-air-Supermarkt,
       und alles für lau. Könnte auch eine Perspektive für brachliegende
       Einkaufszonen sein, sie würden zu Geschenkezonen, dann hätten wir
       Weihnachten in Permanenz.
       
       Wie man das Parlament dazu bekommt, eine entsprechende Gesetzesvorlage
       abzunicken, weiß ich nicht. Vielleicht müsste man den Herrschaften
       O.K.-Tropfen in den Kaffee träufeln. Sollten sie von meinem Know-how
       profitieren wollen, stehe ich gern bereit als Mitarbeiter einer
       Findungskommission.
       
       19 Nov 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Lorentz
       
       ## TAGS
       
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