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       # taz.de -- Kontroverse bei Leipziger Festival: Der kulturelle und der bewaffnete Widerstand
       
       > Beim Leipziger Festival euro scene wurde nach Antisemitismusvorwürfen
       > eine Performance abgesagt. Die Festivalleitung will von von nichts
       > gewusst haben.
       
   IMG Bild: Überschattet von der Debatte ist das Festival euro scene in Leipzig am Dienstag gestartet
       
       Ziemlich raues Theater werde hier geboten, schreibt Lyn Gardner 2017 im
       Guardian. Mit drei von fünf Sternen bewertet die britische
       Theaterkritikerin damals „AND HERE I AM“ von und mit Ahmed Tobasi.
       
       Das Stück, das neben Aufführungen in Gaza, dem Westjordanland, Frankreich
       und Großbritannien bereits auf Festivals in Abu Dhabi, Ägypten, Norwegen
       und Zimbabwe gezeigt wurde, sollte dieser Tage auf dem Theaterfestival euro
       scene [1][in Leipzig] Deutschlandpremiere feiern. In seiner
       Solo-Performance erzählt der Palästinenser laut Ankündigung davon, wie er,
       um seine „Vision von Freiheit“ zu verwirklichen, über den Umweg des
       Straßenkampfes zum Engagement im Freedom Theatre gefunden habe.
       
       Mit Schwung und schrägem Humor mache es wieder wett, was ihm an Raffinesse
       fehle, schreibt Gardner weiter. Abschließend stellt sie fest, nicht sicher
       zu sein, ob die Begeisterung des Publikums letztendlich dem Stück selbst
       gelte oder aber der bemerkenswerten Wandlung Tobasis.
       
       Es ist tatsächlich eine bemerkenswerte Wandlung, die in „AND HERE I AM“
       dargestellt wird: Anders als es die Ankündigung des euro-scene-Festivals
       vermuten ließ, war Tobasi nicht lediglich Straßenkämpfer, sondern Mitglied
       des Palestinian Islamic Jihad, einer als terroristisch eingestuften
       Organisation. In seiner Performance spricht er über diese Zeit und seinen
       Weg vom bewaffneten zum „kulturellen Widerstand“.
       
       Öffentliche Debatte nach Vorwürfen 
       
       Was als künstlerische Auseinandersetzung mit dem Aufwachsen in einem
       Konfliktgebiet angekündigt wurde, endete vor einigen Wochen in einer
       heftigen Kontroverse: Nach Antisemitismusvorwürfen gegen die Beteiligten
       seitens der [2][Schriftstellerin Dana von Suffrin] und [3][der Initiative
       Artists Against Antisemitism] entstand eine öffentliche Debatte, in deren
       Rahmen auch eine Unterstützung der als antisemitisch eingestuften
       BDS-Bewegung durch die Beteiligten publik wurde.
       
       Aufgrund eines Beschlusses des Leipziger Stadtrates von 2019, der Leipziger
       Kultureinrichtungen verpflichtet, sich von jeglichen Boykottaufrufen
       gegenüber Israel zu distanzieren, musste das Stück deshalb abgesagt werden.
       
       Ein für Festivalleiter Christian Watty bedauerlicher Umstand, die
       Aufführung sei „zum jetzigen Zeitpunkt leider unmöglich“. Dass die
       Produktion „nur aufgrund ihrer Ankündigung solche Reaktionen hervorrufen
       konnte“, sei schade, schließlich habe sich das Festival wiederholt von
       „Antisemitismus, Dschihadismus, Terrorismus und Boykottaufrufen“
       distanziert, so Watty in unterschiedlichen Medien.
       
       Angesprochen auf die gegen das Theater erhobenen Vorwürfe gab er an, die
       Folgen gerade in Deutschland unterschätzt zu haben. Das Stück selbst habe
       er kurz nach dem 7. Oktober in Frankreich gesehen, wo es oft aufgeführt
       werde, ohne begleitende Debatte.
       
       Aktivistische Umtriebe des Freedom Theatre 
       
       Dabei entzündete sich die öffentliche Kritik nicht an dem Stück selbst,
       sondern den aktivistischen Umtrieben der Beteiligten: Das Freedom Theatre,
       dessen aktueller Co-Leiter Tobasi ist, versteht sich als Akteur des
       „kulturellen Widerstands“, durch den der „bewaffnete Widerstand“ gegen
       Israel unterstützt werden soll – eine Trennung wird explizit nicht
       vorgenommen, sondern auf der Webpräsenz des Theaters durch den Gründer für
       unmöglich erklärt.
       
       Im Rahmen der Initiative The Cultural Intifada, die in der Tradition der
       ersten beiden Intifadas verortet wird, ruft das Theater zu einer
       „kulturellen Intifada“ auf und präsentiert sich als Teil der als
       antisemitisch eingestuften BDS-Bewegung.
       
       Die Webseite der Initiative dient dabei unter anderem der Verbreitung von
       Falschinformationen über den Nahostkonflikt sowie der Forderung eines
       palästinensischen Staates „from the river to the sea“.
       
       Was hierunter wirklich verstanden werden muss, macht die Mitinitiatorin und
       Regisseurin des Stücks, Zoe Lafferty, deutlich: Unter Bezugnahme auf die
       Taten der Hamas fordert sie in einem nach dem 7. Oktober 2023 erschienenen
       Text eine „globale Intifada“ und verweist dabei auf Tobasis abschließende
       Worte des Theaterstücks: „It is time to begin.“ Für eine Stellungnahme war
       das Freedom Theatre bis Redaktionsschluss nicht zu erreichen.
       
       Kulturszene als Plattform 
       
       Kunst sei für das Theater rein instrumental, so Matheus Hagedorny,
       Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Leipzig. „Tobasi und
       Lafferty wollen der Fürsprache von antisemitischem Terror in Deutschland
       eine Plattform geben, die ihnen außerhalb der Kulturszene wahrscheinlich
       verwehrt bliebe.“
       
       Hierin hätte laut der Initiative Artists Against Antisemitism der Erfolg
       der geplanten Deutschlandpremiere von „AND HERE I AM“ gelegen: „Ein
       Ex-Terrorist erzählt unter dem Mantel der Kunstfreiheit ohne kritische
       Distanz über seine Zeit im Djihad.“ Diese Form des Kulturaktivismus
       flankiere den bewaffneten Kampf gegen Israel, so Hagedorny weiter: „Ein
       Geheimnis machen die Beteiligten daraus nicht.“
       
       Bereits Anfang August, also vor der offiziellen Ankündigung des Stückes,
       kritisierte eine für einen Übersetzungsauftrag angefragte jüdische
       Übersetzerin die terroristischen und antisemitischen Hintergründe des
       Freedom Theatre in zwei längeren E-Mails.
       
       Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Vorwürfen durch den Intendanten
       erfolgt nicht, Watty bleibt allgemein: auf beiden Seiten gebe es extrem
       problematische und radikale Positionen, das Hauptproblem seien Staaten, die
       ihre Legitimierung durch Religion und einen Gott begründeten. Das Theater
       habe man genau überprüft – und nichts gefunden.
       
       Watty gibt sich ahnungslos 
       
       Auch gegenüber der Autorin Dana von Suffrin, die sich direkt nach der
       Ankündigung des Stückes an die euro-scene wendete und den terroristischen
       und antisemitischen Hintergrund der Macher hervorhob, bleibt Watty bei der
       Behauptung der gründlichen Überprüfung und gibt sich ahnungslos, aber
       engagiert: Menschen, die Terror gegen Juden guthießen, heiße er nicht
       willkommen.
       
       Hätte man Belege gefunden, hätte man von einer Einladung abgesehen. Dass
       von Suffrin genau diese Belege vorlegt, kommentiert Watty nicht, sondern
       bedankt sich für den „konstruktiven Dialog“.
       
       Dass Watty und seinem Team die antisemitischen Hintergründe im Rahmen der
       behaupteten Vorrecherche entgangen sein könnten, ist auch in Anbetracht des
       Instagram-Accounts des Freedom Theatre wenig glaubhaft: Neben zahlreichen
       Verweisen auf die „kulturelle Intifada“ findet sich hier ein Statement vom
       7. Oktober 2023, mit dem die Taten der Hamas als befreiender „Ausbruch“ der
       Palästinenser zelebriert werden.
       
       Unter dem Titel „RESISTANCE IS A RIGHT“ folgte dann am 15. Oktober, also
       noch vor dem Beginn der israelischen Bodenoffensive in der Nacht vom 27.
       zum 28. Oktober, ein weiterer Beitrag, in dem das Theater seine
       „bedingungslose Unterstützung“ für den „palästinensischen Widerstand“
       erklärte, um Menschen und Gebiet „vom Fluss bis zum Meer“ zu befreien –
       eine Forderung, die häufig als Aufruf zur Zerstörung Israels verstanden
       wird.
       
       Verweis auf Kunstfreiheit 
       
       Statt sich einem übersandten Fragenkatalog zu stellen, bleibt Watty auch
       nach Absage des Stücks bei seiner Haltung, von nichts gewusst haben zu
       wollen. Dass das Stück in Leipzig nicht gezeigt werde, bedauere er ebenso
       wie die Vorverurteilung durch Menschen, die es vermutlich nie gesehen
       hätten. In zahlreichen Solidaritätsbekundungen hätte man ihm mitgeteilt,
       wie wichtig und unverzichtbar Dialogbereitschaft und Kunstfreiheit seien.
       
       Tatsächlich könne die Einladung eines Theaters, das Gewalt verherrliche und
       eine einseitige Darstellung des Nahostkonflikts betreibe, kein legitimer
       Beitrag zum Dialog sein, so von Suffrin.
       
       Auch mit einer möglichen Einladung israelischer Stimmen zur
       Kontextualisierung, wie die euro-scene sie in Aussicht gestellt hatte,
       könne hier nicht für Gleichgewicht gesorgt werden: Es sei unmöglich, eine
       Situation herzustellen, in der es in Ordnung sei, Terroristen eine
       öffentliche Bühne zu bieten. Wattys Haltung trage dazu bei, die
       antisemitische Stimmung in Deutschland anzuheizen, dessen ist sich die
       Autorin sicher.
       
       Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde am 12. November aktualisiert.
       
       6 Nov 2024
       
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