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       # taz.de -- Krieg im Nahen Osten: Das Personal wächst nach
       
       > Die Tötung der Anführer der Hamas und der Hisbollah beendet nicht den
       > Krieg im Nahen Osten. Das schaffen nur veränderte politische Bedingungen.
       
   IMG Bild: Im Falle der Hamas könnte Sinwars Tötung für Israel sogar nach hinten losgehen
       
       Die Stimmung in weiten Teilen der israelischen Gesellschaft ist geradezu
       siegestrunken: Innerhalb weniger Wochen hat Israel mehrere Anführer seiner
       Erzfeinde Hamas und Hisbollah getötet, mit dem [1][Tod des Hamas-Chefs
       Jahia Sinwar] am 17. Oktober als letztem Höhepunkt. Israels Premier
       Benjamin Netanjahu verkündete nach der Bestätigung dessen Todes: „Er wurde
       eliminiert, als er vor Angst weglief.“
       
       Nach der [2][Tötung des Generalsekretärs der Hisbollah] ein paar Wochen
       zuvor dankte der Kommandeur der israelischen Luftwaffe dem Piloten, der die
       Kampfjets anführte, die die Bomben mit 80 Tonnen Sprengstoff über dem
       südlichen Beirut abgeworfen hatten, über Funk mit den Worten: „Gut gemacht.
       Wir hoffen, dass wir diese terroristische Organisation enthauptet haben.“
       Der Pilot antwortete: „Wir können jeden erwischen, überall.“ Als dann vor
       ein paar Tagen bestätigt wurde, dass auch Nasrallahs designierter
       Nachfolger, Haschem Safieddin, getötet wurde, konnte man endgültig den
       Eindruck bekommen, sowohl die Hamas als auch die Hisbollah stünden kurz vor
       ihrem Ende.
       
       Doch die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass bei radikalen Bewegungen
       wie der Hamas oder der Hisbollah deren Führungen ersetzbar sind. Von
       Scheich Ahmad Jassin, dem Gründer der Hamas, der 2004 getötet wurde, über
       den [3][Hamas-Chef Ismail Hanijeh,] der seinem Schicksal vor wenigen Wochen
       in Teheran folgte und der von Sinwar sehr kurzlebig ersetzt worden war.
       
       Es wird sich für die Spitze der Hamas sicherlich wieder jemand finden,
       dessen Familie wie Sinwar ursprünglich vom heutigen Israel nach Gaza
       vertrieben wurde, der dort wie Sinwar als Flüchtlingskind in einem
       Palästinenserlager aufgewachsen ist, der nichts als die israelische
       Besatzung kennt. Und der wie Sinwar jahrelang in israelischen Gefängnissen
       saß. Es ist ein Reservoir, das praktisch unerschöpflich ist.
       
       ## Die nächste desillusionierte Generation wächst heran
       
       Das Gleiche gilt für Nasrallah, dessen Karriere maßgeblich von der Invasion
       Israels in den Libanon 1982 geprägt wurde. Auch hier wird sich eine neue
       politische und militärische Führung herauskristallisieren, die diesmal nach
       der israelischen Invasion in den Libanon 2006 und dem folgenden Krieg
       sozialisiert wurde. Der Teufelskreis wird auch hier nicht abreißen. Unter
       den [4][1,4 Millionen Menschen,] die im Moment innerhalb des Libanons aus
       ihren Häusern im Süden des Landes, der Bekaa-Ebene oder den Süden Beiruts
       vertrieben sind, darunter nach UN-Angaben über eine halbe Million Kinder,
       wächst die nächste desillusionierte und wütende Generation heran, die
       „Widerstand“ auf ihre Fahnen schreiben wird.
       
       Das gilt noch mehr für den Gazastreifen. Unter den ausgehungerten Kindern,
       die in Nord-Gaza Schlange stehen, um etwas zu essen zu bekommen, wächst die
       gleiche Wut und Verzweiflung heran wie unter jenen, die unter der im
       Gaza-Krieg neu erfundenen Bezeichnung „WCNSF“ –„Wounded Child, No Surviving
       Family“ zusammengefasst werden, also verletzten, überlebenden Kindern, die
       ihre gesamte Familie verloren haben. Auch darunter werden welche sein, die
       irgendwann einer palästinensischen Organisation vorstehen, die in ihrer
       radikalen Militanz vielleicht sogar die Hamas in den Schatten stellen wird.
       
       Medien lieben es, Konflikte anhand von Personen zu veranschaulichen. Das
       dient auch dazu, dem als unzivilisiert wahrgenommenen Gegner ein Gesicht zu
       geben, das dann zur personifizierten Dämonisierung des Gegners dient. Wenn
       dieses Gesicht dann „eliminiert“ ist, wird das als Meilenstein gefeiert –
       und überbewertet. Sie vergessen dabei, wie die Hamas oder die Hisbollah,
       entstanden sind und immer neue Anhänger gewinnen: unter den Bedingungen
       einer israelischen Besatzung oder dem Wegsperren von zwei Millionen
       Menschen im Gazastreifen oder einer israelischen Invasion im Libanon.
       
       ## Sinwars Tötung könnte für Israel nach hinten losgehen
       
       Die Hamas ist als Gegenkonstrukt zur israelischen Besatzung im Gazastreifen
       und im Westjordanland entstanden, die Hisbollah in der 18-jährigen
       Besatzung des Südlibanon. Beides formte maßgeblich die islamistisch
       legitimierte „Widerstandsideologie“. Daran ändert sich auch nichts, wenn
       man darauf hinweist, dass sowohl die Hisbollah als auch die Hamas vom Iran
       unterstützt werden. Das Regime im Iran setzt hier auf Pferde, die ohnehin
       schon in den palästinensischen Gebieten oder im Libanon ins Rennen gegangen
       sind, weil die Bedingungen für ihre Entstehung und ihr Wachsen reif waren.
       Teheran konnte es mit deren Hilfe schaffen, Einfluss auf den Libanon und
       die palästinensischen Gebiete zu gewinnen und politische und militärische
       Satelliten in der arabischen Welt aufzubauen.
       
       Nicht die Tötung ihrer Führung wird das Ende dieser Organisationen
       herbeiführen, sondern eine Veränderung der Bedingungen: Das kann am Ende
       nur eine politische Lösung der Palästinenserfrage sein, in der die
       Palästinenser ihre Rechte bekommen. Solange die Bedingungen bleiben, wie
       sie sind, wird es immer neue Sinwars und Nasrallahs geben. Im Falle der
       Hamas könnte Sinwars Tötung für Israel sogar nach hinten losgehen.
       
       Alle kennen das von der israelischen Armee veröffentlichte Video, auf dem
       man sieht, wie eine israelische Drohne die letzten Atemzüge Sinwars filmt.
       Schwer verletzt sitzt er nach einem Feuergefecht mit einer israelischen
       Patrouille in einer Häuserruine in einem Sessel und wirft mit letzter Kraft
       einen Gegenstand gegen eine Drohne, bevor er stirbt. Israel wollte damit
       öffentlich zur Schau stellen, wie Sinwar, der Architekt des blutigen 7.
       Oktober, einsam und verlassen sein Ende findet.
       
       Doch in großen Teilen der arabischen Welt und nicht nur bei Hamas-Anhängern
       wurde dieses Video völlig anders wahrgenommen. Sinwar wird dort als jemand
       gesehen, der mit der Waffe in der Hand [5][bis zum letzten Atemzug gegen
       die israelische Besatzung gekämpft] hat. Für viele war eine neue arabische
       Heldenikone geboren. Ein besseres Rekrutierungsvideo hätte sich die Hamas
       kaum wünschen können.
       
       28 Oct 2024
       
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