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       # taz.de -- Italienische Comicneuheiten: Wölkchen, die Impulse setzen
       
       > Italien ist 2024 Gastland der Frankfurter Buchmesse. Dort haben Comics
       > Tradition. Ein Überblick zu Graphic-Novel-Novitäten.
       
   IMG Bild: Die erotischen Comics des italienischen Zeichners Guido Crepax (1933–2003) erfahren heute ein Revival
       
       Das surreal anmutende, verrätselte Bild mit seinen strahlenden Farben ziert
       das Plakat des diesjährigen Gastlandes der Frankfurter Buchmesse, Italien,
       und trägt das Motto „Verwurzelt in der Zukunft“. Gestaltet wurde es in
       Pastellkreidetechnik von Lorenzo Mattotti, der seit den 1980er Jahren einer
       der führenden Illustratoren und Comiczeichner im Bel Paese ist.
       
       Comics, die in Italien „Fumetti“ heißen – übersetzt bedeutet das:
       „Wölkchen“, da die weißen Sprechblasen optisch an solche erinnern –, sind
       dieses Jahr stark vertreten: Unter den Novitäten finden sich aktuelle
       Graphic Novels, experimentelle Formate und wiederentdeckte Klassiker.
       Obwohl im Italien der Nachkriegszeit eigene triviale Formate wie die
       zahlreichen Heft- und Taschenbuchserien („Tex“, „Dylan Dog“) sowie
       italienische Disneycomics (die hierzulande im „Lustigen Taschenbuch“
       veröffentlicht werden) den Markt dominierten, gibt es auch eine lange
       Tradition der künstlerisch hochwertigen Fumetti, die innovative grafische
       und narrative Impulse setzten.
       
       Am Anfang dieser Entwicklung steht Hugo Pratt (1927–1995), der schon 1945
       mit anderen Künstlern zusammen die Serie „Asso di Picche“ entwickelte –
       „Pik-Ass“ war der erste maskierte (Super-)Held made in Italy. [1][Doch
       Pratt ist heute vor allem wegen der epischen Abenteuer um den Seemann
       „Corto Maltese“] bekannt, die ab den späten 1960ern das
       Graphic-Novel-Format vorwegnahmen.
       
       Im kürzlich bei Schreiber und Leser (Hamburg) erschienenen Band „Sein
       letzter Flug“ sind fünf Comicerzählungen aus seiner letzten
       Schaffensperiode in den 90er Jahren versammelt. In der Titelstory erzählt
       Pratt vom mysteriösen Verschwinden des französischen Schriftstellers und
       leidenschaftlichen Fliegers Antoine de Saint-Exupéry 1944 in einer
       französischen Aufklärungsmaschine. [2][Geschickt webt er dabei
       Handlungselemente aus Saint-Exupérys erstem literarischen Erfolg
       „Nachtflug“] von 1930 mit ein, der vom letzten Flug eines Luftfrachtpiloten
       in Argentinien handelte.
       
       ## Umberto Eco schätzte Pratt sehr
       
       Leichtfüßig und zeichnerisch schnörkellos wechselt Pratt dabei zwischen den
       Zeiten und Orten sowie zwischen realen und traumhaften Momenten. Dabei
       begegnet „Saint-Ex“ unter anderem seiner berühmtesten Figur, dem kleinen
       Prinzen, sowie Menschen aus der Vergangenheit. Auch die anderen
       „Comic-Novellen“ des Bandes spielen vor dem Hintergrund der beiden
       Weltkriege. Wie in „Corto Maltese“ erzählen Pratts letzte Geschichten vom
       Abenteuer, zeichnen sich aber auch durch eine realistische, schonungslose
       Darstellung des Krieges und sarkastische Dialoge aus. Den Realismus bricht
       Pratt kunstvoll immer wieder durch phantastische Elemente und
       philosophische, selbstreflexive Gedanken seiner Protagonisten auf.
       
       Der passionierte Comicleser Umberto Eco schätzte Pratt sehr und schrieb das
       Vorwort zur Titelgeschichte. [3][Auch die erotischen Comics von Pratts
       Zeitgenossen Guido Crepax (1933–2003)] erfahren ein Revival. In seiner
       Reihe „Splitternackt“ veröffentlicht der Bielefelder Splitter Verlag eine
       Reihe seiner besten Alben aus den 70er und 80er Jahren, die zum Teil
       Klassiker der Schauerliteratur („Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ u. a.) wie auch
       der erotischen Literatur („Emmanuelle“) adaptieren.
       
       Weniger die Handlung der bekannten Werke als die innovative, filmische
       Gestaltung seiner Seitenlayouts sind heute noch aufregend. In den Episoden
       um die selbstbewusste Fotografin „Valentina“ oder die rätselhafte „Bianca“
       (erschienen im Berliner Avant Verlag) wird das freizügige Lebensgefühl der
       späten 60er Jahre spürbar. Crepax’ Strich zitiert Pop-Art und Jugendstil,
       er organisiert seine Panels virtuos wie der sowjetische Regisseur
       Eisenstein die Montage seine Filme.
       
       Der Zeichner Davide Toffolo (Jahrgang 1965) stellt wiederum einen
       legendären italienischen Künstler ins Zentrum seiner Graphic Novel
       „Interview mit Pasolini“, die bereits vor 20 Jahren in Italien erschienen
       ist und nun erstmals auf Deutsch vorliegt. [4][In klaren
       Bleistiftzeichnungen beschreibt der Zeichner, wie ein junger Journalist in
       der Gegenwart einen Mann namens Pier Paolo Pasolini] trifft, der auch
       aussieht wie der berühmte Filmregisseur, der 1975 im Alter von 53 Jahren
       ermordet wurde. Da die Person auch spricht wie dieser und dessen
       Philosophie wortgetreu wiedergibt, taucht der Erzähler in die Welt
       Pasolinis ein.
       
       Dem Zeichner gelingt so eine inspirierte Hommage an den noch heute in
       Italien verehrten Kultregisseur und politisch engagierten Dichter. Ein
       interessantes Detail sind fünf farbige Seiten, die ein comicähnliches
       Storyboard Pasolinis für einen Kurzfilm zeigen. Davide Toffolo hat dafür
       dessen karikaturhafte Zeichnungen behutsam neu gezeichnet, um sie in seine
       Geschichte einzupassen.
       
       ## Vom Erwachsenwerden erzählen
       
       Eine illustrierte Erzählung für Kinder und Erwachsene ist „Osso“. Der 1975
       geborene Illustrator Alessandro Sanna hat einen unverwechselbaren
       Aquarellstil gefunden und zuvor auch Graphic Novels ohne Worte gemacht wie
       sein Meisterwerk „Der Fluss“ (erschienen 2014 im Peter Hammer Verlag).
       „Osso“, geschrieben von Michele Serra, ist die herzerwärmende und
       tiefgründige Studie eines alten Mannes, der nach langer Krankheit einem
       herrenlosen Hund begegnet. Er übernimmt Verantwortung für das abgemagerte
       Tier und denkt über Freundschaft, Alter, Einsamkeit, Träume nach.
       
       Sannas zarte, luftige Aquarellbilder treffen die besinnliche Stimmung des
       Textes sehr gut und runden ihn perfekt ab.
       
       Gipi (Gian Alfonso Pacinotti, Jahrgang 1963) [5][erzählt in seinen Graphic
       Novels gerne vom Erwachsenwerden. Im Band „Geschichten aus der Provinz“]
       werden einige seiner besten Geschichten neu aufgelegt und durch bisher
       unveröffentlichte ergänzt. „Die Unschuldigen“ handeln etwa von
       Jugendlichen, die in die Kriminalität abdriften. Gipis leicht zittriger
       Strich unterstreicht die labile Verfassung der italienischen Jugend, in
       seinen Dialogen trifft er deren Jargon genau.
       
       Lionel Papagelli alias Alfred (geboren 1976), ein Franzose italienischer
       Abstammung, stellt in seiner neuen Graphic Novel „Maltempo“ ebenfalls eine
       Gruppe von Jugendlichen ins Zentrum, die der Trostlosigkeit ihrer ärmlichen
       süditalienischen Heimat entfliehen wollen. Der 15-jährige Mimmo ist
       leidenschaftlicher Rockgitarrist und sieht die große Chance für sich und
       seine noch namenlose Band gekommen, als eine bekannte TV-Musikshow in ihrem
       Dorf ein Casting veranstaltet. Nun heißt es üben!
       
       Alfred schließt – nach „Come Prima“ und „Senso“ – mit dieser berührenden
       Coming-of-Age-Story in den späten Achtzigern seine „Italien-Trilogie“ ab,
       kreiert einen sehr stimmungsvollen Abgesang auf die Provinz in Süditalien.
       Dabei schwelgt er mit seinen pittoresk-sonnigen Landschaftsimpressionen
       gerne im vermeintlichen Klischee des Dolce Vita, zeigt aber schon auf der
       nächsten Seite die Abgründe hinter der Schönheit auf.
       
       ## Zerocalcare hat die Krake im Nacken
       
       Auch Zerocalcare erzählt in seiner neuesten Graphic Novel „Die Krake im
       Nacken“ einfühlsam von eigenen Kindheitserlebnissen, vom Schulalltag und
       vom Erwachsenwerden in drei Lebensabschnitten. Die Krake des Titels soll
       die Gewissensbisse symbolisieren, die der Protagonist Zero nach einem
       Erlebnis in seiner Jugend empfindet und die ihn lange Zeit belasten. Der
       1983 geborene Zeichner und Blogger, bürgerlich Michele Rech, wurde um 2011
       zum Shootingstar der Fumetto-Szene. Seine autobiografischen Geschichten
       erreichen in Italien ein Millionenpublikum, inzwischen gibt es Kinofilme
       und eine Netflixserie.
       
       Zuletzt hat er sich auch als BDS-Aktivist betätigt und das Comicfestival
       von Lucca boykottiert. Seine simple Zeichentechnik kann nicht mit der Kunst
       eines Mattotti oder eines Sanna mithalten, doch passt sein cartoonesker
       Stil zur flapsigen Erzählweise. Zerocalcare trifft den Geschmack einer
       jungen Generation.
       
       Die Bandbreite der Fumetti ist groß. Auf grafisch wie erzählerisch hohem
       Niveau erzählen sie intensive Geschichten von gestern und heute, entführen
       in Kriegsgebiete, nehmen die eigene Jugend ins Visier oder entführen in
       Traumzustände.
       
       16 Oct 2024
       
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