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       # taz.de -- Zivile Drohnen: Wolkig mit Aussicht auf Pfannkuchen
       
       > Werden auf dem Land bald Brötchen per Drohne an die Haustür geliefert? Zu
       > Besuch bei einem Experiment in Brandenburg, das wie Science-Fiction
       > klingt.
       
       Wusterhausen taz | Die Drohne wankt. Sie surrt in der Luft wie ein
       übergroßes Insekt mit Bassstimme, ihre Rotorenblätter drehen sich so
       schnell, dass sie unsichtbar sind. Aber eigentlich sollte sie in der Luft
       stehen wie eine Eins. Stattdessen bewegt sie sich mal ein Stück in die
       eine, mal ein Stück in die andere Richtung, wie ein Betrunkener, der seine
       Füße nicht mehr koordiniert kriegt – und das führt bei Sven Jürß zu
       Sorgenfalten auf der Stirn. Der Drohnenpilot zeigt zu seinem Flugobjekt:
       „Dass sie ein bisschen wackelt im Wind ist normal. Aber dass sie immer
       wieder ein Stück in unterschiedliche Richtungen fliegt, das darf nicht
       sein.“
       
       Es ist ein schlechter Tag in Wusterhausen, einer Gemeinde im nordwestlichen
       Brandenburg, weniger als 6.000 Einwohner:innen verteilt auf 22
       Ortsteile – und ein guter. Ein schlechter Tag für das Projekt, das hier
       gerade erprobt wird: die Lieferung von Lebensmitteln per Drohne in einer
       Gegend, die sehr kleinteilig und zersiedelt ist. Der nächste Supermarkt ist
       teilweise eine 20 minütige Autofahrt entfernt. Für ältere Menschen, die
       sich vielleicht nicht mehr unbedingt hinters Steuer setzen sollten, oder
       solche, die aus [1][Umweltgründen gerne auf das Zweitauto verzichten]
       wollen, kann die Versorgung mit lebensnotwendigen Dingen umständlich
       werden. Und dennoch ist es auch ein guter Tag, um zu zeigen, woran es noch
       hakt, wenn Drohnen für etwas eingesetzt werden sollen, das nicht etwa einem
       Unternehmen, [2][militärischen Interessen] oder übergriffigen Paparazzi
       dient, sondern den Menschen.
       
       Fünf Minuten Fußweg entfernt von der Drohne und eine Viertelstunde vorher.
       Der Marktplatz in Wusterhausen ist ein Ort, der an Tagen ohne Markt leer
       wirkt, aber durch die Stände und die Einkaufenden eine geschäftige
       Lebendigkeit bekommt. Fleischer, Fischhändler, die anliegende Bäckerei –
       die beiden Mitarbeiterinnen packen pausenlos Bienenstich, Mohnzopf,
       Pfannkuchen und Krausgebackene in Tüten. In die Schlange der Kund:innen
       reiht sich Corinna Solga ein. Sie bestellt zweimal Blätterteig mit
       Apfelfüllung und drei Pfannkuchen – muss kurz überlegen, ob bei der
       Bestellung wohl welche mit Zuckerguss oder Puderzucker gemeint waren, und
       zahlt die 8,50 Euro bar. Obwohl die Drohne heute nicht fliegen kann, möchte
       Solga zumindest zeigen, wie das funktioniert, dass die Waren in die Luft
       kommen.
       
       Corinna Solga ist quasi die Hand der „Marktschwalbe“. So heißt das Projekt,
       mit dem Lebensmittel und Drogerieprodukte an zwei Tagen der Woche vom Markt
       in Wusterhausen in umliegende Ortsteile geflogen werden. Bislang ist es
       noch eher ein Probebetrieb als ein regulärer Einsatz, dafür hakt noch zu
       viel hier und dort. Aber die Idee ist da und grundsätzlich funktioniert
       sie: in einer Flächengemeinde Produkte des täglichen Bedarfs von A nach B
       zu fliegen.
       
       Damit die Waren vom Laden oder Marktstand in die Drohne kommen, gibt es
       Solga und einen Kollegen. Sie arbeiten als Dispatcher, das heißt: Sie
       kaufen die Waren auf dem Markt und in den teilnehmenden Geschäften ein,
       bringen sie zum Flugobjekt, verpacken sie in die Transportkiste, machen die
       Drohne startklar und bringen sie zum Startplatz. Nur fliegen dürfen sie sie
       nicht, obwohl sie den kleinen Drohnenschein für das Basiswissen gemacht
       haben. Aber für das Fliegen gibt es Sven Jürß, den [3][Drohnenpiloten]. Der
       muss nicht einmal vor Ort sein, sondern kann das Steuern auch aus der
       Distanz übernehmen, mithilfe von Internet und Kameras.
       
       Robin Kellermann ist einer der Köpfe hinter dem Projekt „Marktschwalbe“.
       2018 forschte der damalige Mobilitätsforscher an der TU Berlin zu Drohnen
       als Transportmittel. Irgendwann wollte er mehr Praxis und entschied, vom
       Forscher zum Unternehmer zu werden. Er gründete gemeinsam mit einem
       Mitstreiter eine Firma, die Kommunen berät, die Drohnen zum Wohl der
       Allgemeinheit einsetzen wollen. So entstand die Idee der „Marktschwalbe“.
       Ein geeigneter Ort fand sich in Wusterhausen mit seiner kleinteiligen
       Siedlungsstruktur – und einer gewissen Offenheit für neue
       Technologieprojekte. Vor ein paar Jahren fuhr hier testweise schon mal ein
       autonomer Bus. Der Hintergrund war ähnlich, die Versorgungslage sollte
       verbessert und den Menschen mehr Mobilität ermöglicht werden, jenseits des
       eigenen Autos. Robin Kellermann sagt über die Marktschwalbe: „Sie soll die
       gefühlte [4][Mobilität der Menschen verbessern], denn sich auf dem Land zu
       versorgen, ist wirklich Arbeit.“
       
       ## Eher eine Ergänzung zum Wocheneinkauf
       
       In den Stadtzentren denken die meisten gar nicht darüber nach, dass sie
       nahezu jederzeit fast alles Nötige kaufen können. Außerhalb ist das anders,
       Vanessa Japs kennt das. Sie und ihre Familie wohnen in Trieplatz, etwa 15
       Autominuten von Wusterhausen entfernt. Einmal die Woche macht die Familie
       einen Großeinkauf mit dem Auto. „Wenn ich dann etwas vergessen habe oder
       wir zwischendrin frisches Obst und Gemüse brauchen oder wenn Besuch
       vorbeikommt und ich keinen Kuchen parat habe, dann nutze ich die
       Marktschwalbe“, sagt sie am Telefon. Oder für Brötchen für die Oma, die mit
       im Haus wohnt. Die Bestellung läuft online oder per Telefon. Wenn die
       Drohne in die Luft geht, ruft Solga die Kund:innen an, um sie zu
       informieren, dass die Ware gleich am festen Landepunkt eintrifft.
       
       Da ist sie, die gefühlte Mobilität: dass Japs keinen Kuchen in der
       Kühltruhe parat haben muss, dass sie auch unter der Woche mal Frisches
       kaufen kann, ohne ins Auto steigen zu müssen. Dabei können die Drohnen
       keinen ganzen Wocheneinkauf ersetzen. Dreieinhalb Kilogramm dürfen die
       Dispatcher in die Transportboxen packen. Selbst wenn alle fünf Drohnen für
       eine Familie im Einsatz wären, könnte das eng werden.
       
       Doch heute würde keine Lieferung auf dem Drohnen-Landeplatz in Trieplatz
       eintreffen. Das liegt an der Sonne, obwohl die an diesem Septembertag
       hinter einer dichten Wolkendecke versteckt ist. Pilot Sven Jürß lässt die
       Drohne trotzdem kurz steigen, um das Problem zu zeigen. Das Wanken in der
       Luft liegt daran, dass die GPS-Satelliten gerade kein ganz zuverlässiges
       Signal liefern. Und das hat mit der derzeit hohen Sonnenaktivität zu tun.
       Die Kommunikationssignale der GPS-Satelliten, so erklärt es das
       Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, werden durch die Folgen der
       Sonnenstürme etwas verzögert. Für die alltägliche Navigation wird das nicht
       zum Problem – beim präzisen Starten und Landen einer Drohne offensichtlich
       schon.
       
       Firmengründer Kellermann sagt: „Ein robustes technisches System zu haben,
       das fehlerfrei läuft, ist die größte Herausforderung.“ Die
       Internetverbindung, die der Drohnenpilot braucht, um beim Steuern nicht
       ständig vor Ort sein zu müssen, starker Wind oder starker Regen, ein
       Rettungshubschrauber oder ein Leichtflugzeug – so viele Faktoren, die das
       System aus dem Takt bringen können. Das soll sich ändern. Denn schließlich
       wird der Winter mit Kälte, Schnee, Dunkelheit, Glatteis es vermutlich noch
       mal attraktiver machen, die Lieferung aus der Luft zu nutzen. Kellermann
       formuliert es so: „Das soll hier keine Schönwettersache sein.“
       
       ## Eine Demonstration der Technologie
       
       Hartmut Fricke, Professor für Technologie und Logistik des Luftverkehrs an
       der TU Dresden, glaubt nicht, dass sich Menschen hierzulande perspektivisch
       Brötchen und Joghurt per Drohne liefern lassen. Zu gering sei das Gewicht,
       das die Drohnen tragen können, und mit mehr Gewicht werde der
       Zulassungsprozess noch mal komplizierter. Aber über die „Marktschwalbe“
       sagt er auch: „Als Technologiedemonstration ist das eine hervorragende
       Sache.“ Denn dass Drohnen künftig mehr und öfter eingesetzt werden, da ist
       er sich sicher. Zum Beispiel im medizinischen Bereich, beim Transport von
       Medikamenten, Laborproben oder sogar Organen. Vielleicht auch im Bereich
       der Expresslieferung von Paketen. Zentral würden Drohnen auch bei der
       Inspektion etwa von [5][Windparks] oder Schienen. Hier sei nicht nur die
       Zulassung einfacher – schließlich geht es um ein klar abgegrenztes Gebiet
       und es müssen keine Menschen überflogen werden – auch finanziell sei der
       Einsatz schnell lohnend. „Konventionell durchgeführt ist so eine Inspektion
       extrem teuer“, weil es zum Beispiel Personal vor Ort braucht. Mit der
       Drohne ließen sich lange Strecken schnell überfliegen, das spare Zeit und
       Geld. Die Deutsche Bahn nutzt die Technologie bislang nur für kurze
       Strecken, doch das soll sich bald ändern. Im September hat der Konzern
       angekündigt, ab dem kommenden Frühjahr auch Langstreckendrohnen
       einzusetzen, um das [6][Schienennetz] zu überwachen.
       
       Natürlich sei das in Wusterhausen ein „Realexperiment“, sagt Bürgermeister
       Philipp Schulz. Er hofft dennoch, dass die Drohnenlieferung der Gemeinde
       erhalten bleibt. „Hier im ländlichen Raum ist die Verbesserung der
       Nahversorgung ein großes Thema“, sagt er. Er hofft, dass das Projekt
       „Marktschwalbe“ sogar noch wächst. Im nächsten Schritt, so Schulz, könnten
       dann Hofläden mit einbezogen werden, denn mit der Lieferung per Luft hätten
       diese einen zusätzlichen Vertriebsweg.
       
       Dass man dem Projekt in Wusterhausen positiv gesinnt ist, könnte zum einen
       mit den Kosten zu tun haben. Denn die Bestellung ist für die Haushalte
       momentan noch gratis. Das Projekt bekommt eine öffentliche Förderung, gut
       400.000 Euro. Bis Ende Februar 2025 ist die Finanzierung sicher, dann muss
       es entweder einen Anschluss geben oder das Projekt muss sich selbst tragen.
       Kellermann sagt, er wisse noch nicht, wie hoch die Bestellkosten sein
       müssten, wenn die „Marktschwalbe“ wirtschaftlich sein soll. Kundin Japs
       sagt, 2 Euro würde sie pro Bestellung wohl zahlen – 5 Euro eher nicht.
       
       ## Lieferung per Drohne als Happening
       
       Zum anderen hoffen die Menschen vor Ort darauf, dass sich die
       „Marktschwalbe“ als Wirtschaftsfaktor für die Region entpuppt. Japs
       berichtet von Feriengästen in Trieplatz. Für die könne es doch ein Erlebnis
       sein, mal eine Lieferung per Drohne zu erleben? Dispatcherin Solga stellt
       sich vor, dass Wusterhausen zum Modell- und Ausbildungsort werden könnte.
       Bürgermeister Schulz berichtet vom kommunalen Bauhof, der die Start- und
       Landeplätze gebaut habe, und dem Know-how, das man in der
       Gemeindeverwaltung aufbaue. Und Gründer Kellermann hofft, dass zum Beispiel
       Landwirt:innen den Wert der Drohne erkennen. Sei etwa während der Mahd
       ein landwirtschaftliches Gerät defekt, könne ein schnell eingeflogenes
       Ersatzteil womöglich die Ernte retten.
       
       Und die süßen Teilchen, die Solga in der Bäckerei gekauft hat? Der Kunde
       hat sie zwischendurch einfach persönlich abgeholt. „Kein Problem, ihr sagt
       einfach, wenn es wieder funktioniert“, hat er noch gerufen. Wie er nach
       Wusterhausen gekommen ist? Mit dem Auto.
       
       12 Oct 2024
       
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