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       # taz.de -- Atommüllzwischenlager laufen zu lange: Eine Million für ein paar Castoren
       
       > Hoch radioaktiver Müll sollte 40 Jahre in Zwischenlagern bleiben. Aber es
       > ist kein Endlager in Sicht. Betroffene wollen einen finanziellen
       > Ausgleich.
       
   IMG Bild: Ist gegen ein atomares Zwischenlager für immer: Wolfgang Ehmke, von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg
       
       Göttingen taz | Die Atomkraftgegner im niedersächsischen Wendland sprechen
       abfällig von der „Kartoffelscheune“, wenn sie sich mal wieder über die
       wuchtige Halle aufregen, die hinter dem massiven Metallzaun umgeben von
       Kiefernwald mehr zu erahnen als zu sehen ist. Dabei lagert in dem 190 Meter
       langen, 38 Meter breiten und 22 Meter hohen Bauwerk aus Beton gar kein
       Gemüse.
       
       Hier wurden 113 Castorbehälter mit hoch radioaktivem Atommüll abgestellt –
       vorübergehend. Sie warten auf ihren Weitertransport in ein Endlager, das
       noch nicht gefunden worden ist. Die betroffenen Gemeinden wollen nun nicht
       mehr einfach abwarten, sie haben sich zusammengetan und wollen Geld sehen.
       
       Denn die vorübergehende Lösung kann noch locker 100 Jahre dauern, so lange,
       [1][bis ein Endlager für den hochradioaktiven Abfall aus deutschen
       Atomkraftwerken eingerichtet wurde]. Bis dahin bleibt der Müll eben in den
       Zwischenlagern wie im niedersächsischen Gorleben oder im
       schleswig-holsteinischen Brunsbüttel. Während Umweltschützer vor allem
       Sicherheitsbedenken gegen diese Zwischenlager ins Feld führen, fordern
       betroffene Kommunen nun Ausgleichszahlungen für die deutlich verlängerten
       Lagerzeiten des Atommülls.
       
       „Es war nie die Rede davon, [2][dass der Atommüll hier so lange gelagert
       werden soll]“, sagt etwa Brunsbüttels parteiloser Bürgermeister Martin
       Schmedtje. Er stört sich zum Beispiel daran, wertvolle Industrieflächen
       sehr viel länger als geplant nicht oder nur eingeschränkt nutzen zu können.
       
       ## Brunsbüttel will eine Millionen Euro im Jahr
       
       Schmedtje verweist außerdem auf Zuwendungen, die nach Ahaus und Gorleben
       geflossen sind. An diesen beiden Zwischenlagerstandorten stehen oder
       standen – anders als in Brunsbüttel – nie Atomkraftwerke, die Gewerbesteuer
       in die Gemeindekassen spülten.
       
       Auch die Samtgemeinde Gartow und der Landkreis Lüchow-Dannenberg als
       betroffene Zwischenlager-Kommunen erhalten Geld. Von rund einer Million
       Euro pro Jahr ist die Rede, genaue Zahlen sind nicht bekannt. „Mindestens
       eine Million Euro jährlich“, verlangt deshalb auch Schmedtje für
       Brunsbüttel.
       
       Er weiß sich im Einklang mit den Positionen der Arbeitsgemeinschaft der
       Standortkommunen kerntechnischer Anlagen (ASKETA). In der haben sich alle
       Bürgermeister und Bürgermeisterinnen organisiert, die Atomkraftwerke oder
       Zwischenlager in der Gemeinde haben. Der ASKETA-Vorsitzende Josef Klaus
       (CSU) sagt auf taz-Anfrage, auch er halte eine Summe von 800.000 bis 1,3
       Millionen Euro pro Jahr und Gemeinde für angemessen.
       
       Für Martin Schmedtje geht es aber nicht allein um Geld, wie er betont. Er
       sagt, er gehe ihm um Verlässlichkeit der Politik – und um Fairness. „Hier
       zeigt sich sehr deutlich“, sagt der Bürgermeister mit Blick auf die
       [3][Atommüll-Container am AKW Brunsbüttel], „dass die gesellschaftliche
       Verantwortung dafür, was wir mit den Überresten der atomaren Stromgewinnung
       machen, allein bei den Betreiberkommunen liegt – und das kann nicht sein“.
       
       Eigentlich sollte in Gorleben die Lösung gefunden werden. Über viele Jahre
       wurde der unterirdische Gorlebener Salzstock als einziger Standort auf
       seine Eignung als Lagerstätte für den hoch radioaktiven Schrott geprüft.
       Unter dem Deckmantel der Erkundung entstand dabei ein fast fertiges
       Endlager.
       
       Im Jahr 2020 dann [4][flog der Salzstock aus dem neu aufgerollten
       Suchverfahren für ein Endlager]. Aus geologischen Gründen, wie es hieß –
       diese hatten Kritiker allerdings schon vor 45 Jahren vorgebracht.
       Mitentscheidend für die Absage an ein Endlager in Gorleben war wohl eher
       [5][der anhaltende Widerstand.]
       
       Das Erkundungsbergwerk, nur wenige hundert Meter entfernt vom derzeitigen
       Zwischenlager auf einer Lichtung gelegen, [6][wird derzeit zurückgebaut].
       Nur ein Stück der das Areal umgebenden [7][Mauer soll erhalten bleiben –
       als „Mahnmal] für eine verfehlte Atommüllpolitik“, wie Wolfgang Ehmke von
       der Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg sagt. Der Bau des
       Zwischenlagers begann am 26. Januar 1982.
       
       „Die Atomwirtschaft stand damals mächtig unter Druck, der Betrieb der
       Atomkraftwerke wurde an einen Entsorgungsnachweis gekoppelt“, erinnert sich
       Ehmke bei einem Rundgang um die Gorlebener Atomanlagen. Mit dem Baubeginn
       im Jahr 1982 war dieser Nachweis zumindest auf dem Papier erfüllt. Der
       Lüchow-Dannenberger Kreistag, die Samtgemeinde Gartow und die Gemeinde
       Gorleben hatten die Errichtung zuvor genehmigt. Die Zustimmung brachte den
       Kommunen eine „Infrastrukturhilfe“ in Millionenhöhe ein.
       
       Ende 1983 war das Zwischenlager dann fertig. 1995 folgte die
       Einlagerungsgenehmigung. Im April desselben Jahres rollte der erste
       Castor-Transport nach Gorleben und traf auf heftigen Widerstand. Rund
       15.000 Einsatzkräfte von Polizei und Bundesgrenzschutz sicherten die Fuhre,
       Schlagstöcke und Wasserwerfer kamen zum Einsatz – Szenen, die sich so oder
       ähnlich bei allen späteren Transporten wiederholten.
       
       Der 13. und letzte [8][Castor-Transport im November 2011] brach alle
       Rekorde. 126 Stunden war der Zug von der französischen
       Wiederaufarbeitungsanlage La Hague nach Gorleben unterwegs, so lange wie
       nie einer zuvor. Mehr als hundert Blockaden mit Tausenden Aktivisten
       verzögerten die Weiterfahrt immer wieder.
       
       ## Umstrittene „Kartoffelscheune“
       
       „Der Name Kartoffelscheune ist damals schnell entstanden“, erzählt Ehmke.
       „Sie heißt so, weil die Halle lediglich Schutz vor schlechtem Wetter
       bietet.“ Nur die Castor-Behälter selbst sollten den Schutz vor der
       Strahlung oder vor Flugzeugabstürzen und Terroranschlägen garantieren. Die
       Wände der Zwischenlager-Halle seien zum Teil dünner als 50 Zentimeter.
       Immerhin soll jetzt, nach Jahrzehnten, eine neue und dann zehn Meter hohe
       Mauer um das Zwischenlager gebaut werden.
       
       Das Hauptproblem aber ist und bleibt: Die Betriebsgenehmigung für das
       Zwischenlager in Gorleben gilt lediglich für 40 Jahre. Sie läuft also im
       Jahr 2034 aus. Ein Endlager wird bis dahin aber nicht gefunden, geschweige
       denn betriebsbereit sein. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) geht
       aktuell davon aus, dass ein Standort womöglich erst bis 2068 feststeht. Bis
       das Lager gebaut und befüllt ist, werden weitere Jahrzehnte verstreichen.
       
       Die 113 Castoren mit heißem Atomschrott – einige verlieren in den kommenden
       Jahren ebenfalls ihre Zulassung – werden also bis auf Weiteres in Gorleben
       bleiben. Dasselbe gilt für die anderen 16 Zwischenlager für hoch
       radioaktiven Atommüll in Deutschland.
       
       ## Nur für 40 Jahre genehmigt – eigentlich
       
       Außer den zentralen Lagerstätten im niedersächsischen Gorleben und im
       westfälischen Ahaus wurden auch an den AKW-Standorten solche Anlagen
       hochgezogen. Im Norden Deutschlands – also [9][in Brokdorf, Brunsbüttel und
       Krümmel in Schleswig-Holstein] sowie in Esenshamm, Grohnde und Lingen in
       Niedersachsen. In den 2000er-Jahren errichtet und für 40 Jahre genehmigt,
       laufen die Genehmigungen an diesen Standorten 2046 oder 2047 aus.
       
       Ein Sonderfall ist Brunsbüttel, wo Bürgermeister Martin Schmedtje gerade
       für Ausgleichszahlungen trommelt: 2013 hob zuerst das
       Oberverwaltungsgericht Schleswig und im Jahr 2015 dann auch das
       Bundesverwaltungsgericht die Betriebserlaubnis für das Zwischenlager auf.
       In der Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts hieß es, die
       Unfallrisiken seien nicht im erforderlichen Umfang berücksichtigt worden.
       
       Schleswig-Holsteins damaliger Umweltminister Robert Habeck (Grüne) focht
       das nicht an. Er ordnete an, die Lagerung des Atommülls erst mal weiter zu
       dulden. Bis heute gibt es für die 20 dort lagernden Castoren keine gültige
       Aufbewahrungsgenehmigung.
       
       Die zuständige bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) macht
       bislang keine sichtbaren Anstalten, neue Genehmigungen zu beantragen. Sie
       beteuert immerhin, dass man sich auf eine Zwischenlagerung deutlich über
       den bisher genehmigten Zeitraum von 40 Jahren vorbereite. Im Zuge der neu
       zu führenden Genehmigungsverfahren müssten noch viele technische Fragen
       beantwortet werden.
       
       ## Bürgerinitiative nennt es „befremdlich“
       
       Die BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg nennt es „befremdlich“, dass sich die
       geballte Kraft der ehemaligen Standortgemeinden auf Kompensationsleistungen
       richte und sie sich mit Blick auf die verlängerte Zwischenlagerung um bis
       zu 100 Jahre nicht in erster Linie um die Sicherheit und Sicherung dieser
       Anlagen sorgen.
       
       „Wir plädieren dafür, dass bei einer Verdoppelung der Laufzeiten es
       vorrangig um die Sicherheitsanforderungen geht, wie zum Beispiel die
       Alterung des Behältermaterials, neue Bedrohungsszenarien die
       Drohnenangriffe oder Flugzeugabsturz – und nicht um Geld“, teilte
       BI-Sprecher Ehmke am Montag mit.
       
       Physikerin Oda Becker hat im Auftrag des Naturschutzbundes BUND ein
       [10][Gutachten zu den Problemen der verlängerten Atommüll-Zwischenlagerung]
       vorgelegt. „Nirgendwo in der Welt gibt es bisher Erfahrungen mit einer
       Zwischenlagerzeit von mehr als 50 Jahren“, sagt sie. Ihr Fazit: Der
       Terrorschutz an den Anlagen ist unzureichend, Reparatur- und
       Inspektionsmöglichkeiten fehlen. Das Sicherheitskonzept müsse an die
       verlängerte Lagerdauer angepasst werden.
       
       5 Aug 2024
       
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