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       # taz.de -- Recht auf Abtreibung im US-Wahlkampf: „Es geht immer um Klasse“
       
       > Kamala Harris will ein landesweites Abtreibungsrecht. Doch für eine echte
       > Reform braucht es auch das Parlament, sagt NOW-Präsidentin Christian
       > Nunes.
       
   IMG Bild: Christian F. Nunes, Präsidentin der National Organization for Women – hier bei einer Demo in Washington
       
       wochentaz: „Wir werden Trumps extreme Abtreibungsverbote stoppen“, sagte
       Kamala Harris bei einem Wahlkampfauftritt. Christian Nunes, haben Sie
       Hoffnungen für das Recht auf Abtreibung, falls Harris gewinnt?
       
       Christian Nunes: Auf jeden Fall. Als Vizepräsidentin hat sie sich nicht nur
       für den Zugang zu Abtreibungen eingesetzt, sondern für reproduktive
       Freiheit insgesamt: Sie hat Müttersterblichkeit zum Thema gemacht und dabei
       auch die hohen Sterberaten von Schwarzen Frauen, den Zugang zu
       Verhütungsmitteln und künstlicher Befruchtung.
       
       Sie hat klargestellt, dass es hierbei um reproduktive Gerechtigkeit als
       Ganzes geht. Ich glaube, sie versteht, was es bedeutet, wenn einem die
       körperliche Autonomie genommen wird, wie es momentan in diesem Land
       passiert.
       
       Mit dem Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ etablierte der Oberste Gerichtshof
       1973 USA-weit das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche. Im Juni 2022 nahm
       [1][das Gericht dieses Urteil zurück]. Jetzt sind die [2][Bundesstaaten
       dafür zuständig], Abtreibungen zu erlauben oder zu verbieten. 
       
       Ich, meine Mutter, meine Großmütter, wir alle hatten das Recht auf
       Abtreibung. Jetzt findet sich eine junge Generation in einer Situation, in
       der sie diese Rechte plötzlich nicht mehr hat. In 14 Bundesstaaten sind
       Abtreibungen mittlerweile komplett verboten, es gibt nicht mal Ausnahmen
       bei Vergewaltigung, Inzest oder aus medizinischen Gründen. In insgesamt
       mehr als 20 Staaten gibt es eine Form von Abtreibungsverbot oder
       -beschränkung.
       
       Bevor Sie Präsidentin der Nationalen Organisation für Frauen wurden, waren
       Sie Sozialarbeiterin. Was bedeutet es in der Praxis, wenn der Zugang zum
       Schwangerschaftsabbruch eingeschränkt wird? 
       
       Frauen und nicht-binäre Menschen, die gebären können, müssen oft weite
       Strecken zurücklegen, um abzutreiben. Einige von ihnen werden
       kriminalisiert und bestraft, wenn sie überhaupt nur versuchen, einen
       Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, und dann gezwungen, das Kind
       auszutragen und zu gebären.
       
       In manchen Bundesstaaten wurden per Gesetz Anreize geschaffen, um
       schwangere Personen, die mutmaßlich abgetrieben haben, anzuzeigen. Es gibt
       Gesetzgebungsverfahren, die auf die Überwachung von Zyklus-Apps abzielen.
       Für die Betroffenen ist das alles traumatisch. Es betrifft sie in ihrer
       gesamtem Existenz – ihrer wirtschaftlichen Situation, ihrem Körper, ihrer
       mentalen Gesundheit.
       
       Wie sehr ist es vom Einkommen abhängig, ob Schwangere solche Gesetze
       umgehen können? 
       
       Es geht immer um Klasse, um dieses unterschwellige Kastensystem, über das
       wir nicht sprechen. Diejenigen, die es sich leisten können, werden immer
       Zugang zu Abtreibungen haben. Diejenigen, die es sich nicht leisten können,
       müssen die Konsequenzen des Anti-Choice-Extremismus tragen.
       
       Schwarze und indigene Gemeinschaften sowie Personen of Color sind am
       stärksten betroffen. Hier finden sich die meisten Menschen mit
       intersektionalen Identitäten, die also mehrfach unterdrückt und
       diskriminiert werden. Sie leben zudem häufig an Orten mit besonders
       striktem Abtreibungsrecht, zum Beispiel im Süden und im [3][Mittleren
       Westen].
       
       Welche Menschen könnte Harris für sich gewinnen, die sonst vielleicht gar
       nicht wählen gehen würden? 
       
       Sie wird Frauen mobilisieren, [4][junge Wähler*innen der Generation Z]
       und solche, die an eine fortschrittliche Zukunft glauben. Ich glaube, dass
       viele nicht zur Wahl gehen, weil sie verzweifelt sind oder sich nicht
       angesprochen fühlen. Wir müssen ihnen zeigen, dass sie mit der
       demokratischen Bewegung verbunden und mächtig sind. Ich denke, dass Harris
       genau das tun wird. Und wir müssen die Menschen weiterhin darüber
       aufklären, warum ihre Stimmen wichtig sind und wie sie dabei helfen können,
       die [5][Demokratie zu retten].
       
       Glauben Sie, dass viele Menschen nun – anders als vor Trumps erster
       Amtszeit – verstehen, was auf dem auf dem Spiel steht? 
       
       Ich denke, schon. Und die Situation ist sehr ernst. Mit der Kombination aus
       Trump und [6][J. D. Vance] und zusätzlich dem [7][Project 2025] aus dem
       Umfeld der Republikaner. Dieses Strategiepapier sieht vor, dass die
       komplette Macht der Exekutive zukünftig beim Präsidenten liegen soll. Die
       Leute wollen das um jeden Preis verhindern.
       
       Beim Thema Abtreibungen scheint Trump eher zurückhaltend zu sein, aber
       Vance ist ein Hardliner …
       
       J. D. Vance hat sehr deutlich gemacht, dass er Abtreibungen landesweit
       verbieten würde, sollte er zum Vizepräsidenten gekürt werden. Ihm zufolge
       sollen Frauen in einer Ehe bleiben, selbst wenn sie dort Missbrauch
       ausgesetzt sind. Das ist besorgniserregend und gefährlich.
       
       Dass die Situation sich weiter verschlechtert, könnte eine Präsidentin
       Harris verhindern. Aber um ein bundesweites Recht auf Abtreibung zu
       etablieren, bräuchte sie 60 von 100 Stimmen im Senat. Wie realistisch ist
       es, dass sie grundlegend etwas am Abtreibungsrecht ändern kann? 
       
       Auch als Präsidentin kann sie es nicht alleine schaffen, das ist vollkommen
       klar. Zusätzlich zum Senat bräuchte sie auch noch eine Mehrheit im
       Repräsentantenhaus. Aber sie kann Gremien etablieren und politische
       Maßnahmen einleiten. Die Biden-Harris-Regierung hat beispielsweise eine
       Task Force für reproduktive Rechte und Gleichstellung eingesetzt,und den
       Rat für Geschlechterpolitik. Das war extrem hilfreich. In Staaten mit einem
       totalen Abtreibungsverbot stellen sie für Schwangere, die sich in einer
       Krise befinden oder eine Fehlgeburt haben, den Zugang zur medizinischen
       Notfallversorgung sicher.
       
       Trump kämpft bereits mit allen Mitteln gegen Harris, etwa mit sexistischen
       Witzen über ihr Lachen. Hillary Clinton schien auf diese Art von Wahlkampf
       nicht vorbereitet. Und Harris? 
       
       Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich weiß, dass Frauen noch immer
       sexistisch und rassistisch bewertet werden statt auf Grundlage ihrer
       tatsächlichen Qualitäten und Leistungen.
       
       26 Jul 2024
       
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