URI:
       # taz.de -- Rudelgucken zur EM: Ohne „Wir“ im ruhigen Biergarten
       
       > Unser Autor findet fürs Halbfinale einen Biergarten ganz ohne
       > Trikotträger:innen und Fahnen. Das wirkt wie aus der Zeit gefallen.
       
   IMG Bild: Der klassische Biergarten mit Schlandisten, Girlanden und Trikots
       
       Streit war’s nicht, aber eine gewisse Uneinigkeit war im Freundeskreis
       festzustellen: Wo gucken wir das Halbfinale? Gemeint ist das erste, das von
       [1][Spanien und Frankreich]. Erstmal was Essen gehen, also: radeln, denn
       dann ist man flexibler. Schon die Essensauswahl war divers. In der
       Markthalle, in der wir uns trafen, ging jeder und jede zum Stand mit dem
       präferierten Essen: die meisten Griechisch, einer Französisch, und ich habe
       mir eine Minipizza gegönnt, also italienisch.
       
       Aber eine Pizza ist ja noch kein Fußballspiel, und der erste Ort, auf den
       sich die radelnde Runde einigte, war ein Biergarten am [2][Tempelhofer
       Feld]. Der erste hatte zwar Getränke, aber keinen Fernseher. Der zweite
       jedoch bot alles: kulinarisches Angebot, großer Bildschirm, ausreichend
       Toiletten, freie Plätze, zu denen sogar ein paar vor den Bildschirm
       gestellte Sofas gehörten.
       
       Wir nahmen teils auf Stühlen, teils auf der Couch Platz und vor allem:
       recht nah vor dem Bildschirm. Wer sich vor uns hinpflanzen wollte, musste
       dies auf dem Boden tun. Und es ging noch perfekter (sofern es dieses Wort
       überhaupt geben darf): Da waren nämlich lauter angenehme Menschen
       versammelt, dem Augenschein niemand in irgendwelchen Nationaltrikots, auch
       nicht [3][die von Check24]. Und Fahnen, mit denen Leute bei solchen Events
       in der Regel ja eh nur Unfug machen (vor meinem Gesicht schwenken etwa, wo
       ich doch gerade gerne die Zeitlupe sehen möchte), habe ich auch nirgends
       gesehen.
       
       ## Aus der Zeit gefallen
       
       Ein Biergarten, wie in eine bessere Zeit hinein- und aus der jetzigen Zeit
       herausgefallen. (Ich erinnere mich sehr ungern an Kreuzberger öffentliche
       Fernsehnächte, es war während [4][des viel zu sehr gerühmten Sommermärchens
       2006], bei denen junge Menschen nicht nur, was schlimm genug ist,
       aufstanden, um ihre Hymne in Richtung Leinwand zu schmettern, sondern sich
       auch noch lautstark beschwerten, dass sie die einzigen waren, die in
       dieser, dank der eng an den Holztisch herangezogenen Sitzbank,
       halbgeknickten Stellung standen, sich also für ihre Nation krumm machten.)
       
       Zurück ins Jahr 2024. Ich saß also auf einem Stuhl, hatte genügend
       Beinfreiheit, und tatsächlich saßen um mich herum alle. Niemand stand.
       Niemand sprang bei heiklen Szenen auf, niemand beschimpfte Spieler oder
       Schiedsrichter, und alle genossen das Spiel, das ja zumindest in der ersten
       Halbzeit tatsächlich hochklassig war.
       
       Mag sein, dass viele Leute glauben, zu irgendjemand halten müssen. Dass sie
       kein Vergnügen haben, wenn sie keine Häme ausschütten dürfen. Dass ihr
       Lustgewinn nur dann gegeben ist, wenn sie zum siegenden, ja, dominierenden
       „Wir“ gehören – alles möglich. Aber mich freut es sehr, dass tatsächlich
       auf diesem früheren Flugplatzgelände, das irgendwann sogar einmal
       „Tempelhofer Freiheit“ geheißen hat, noch ein Plätzchen für einen wie mich
       da war, der doch einfach nur Fußball gucken will. Und vorher vielleicht ’ne
       Pizza isst.
       
       11 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Spaniens-Finaleinzug-bei-der-EM/!6019588
   DIR [2] /Tempelhofer-Feld/!t5008235
   DIR [3] /Deutschlandtrikot-von-Check24/!6014697
   DIR [4] /Rassismus-und-die-EM-2024/!6014076
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Krauss
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Deutsches Theater
   DIR Schwerpunkt Fußball-EM 2024
   DIR Public Viewing
   DIR Patriotismus
   DIR Frankfurt am Main
   DIR Schwerpunkt Fußball-EM 2024
   DIR Schwerpunkt Fußball-EM 2024
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Rechtsextremer Vorfall in Frankfurt: Hitlergruß in der Fanzone
       
       Beim EM-Viertelfinale Deutschland gegen Spanien zeigten zwei Männer auf der
       Frankfurter Fanzone den Hitlergruß. Das Publikum reagierte nicht darauf.
       
   DIR Wortkunde: Schluss mit Schland
       
       Deutschland ist raus aus dem Turnier. Keine Schlaaand-Rufe also mehr zu
       hören in nächster Zeit. Aber woher kommt eigentlich dieses Wort: Schland?
       
   DIR Diverse Manifestationen: Schlandinisten und Antifaschisten
       
       Stolze Träger des DFB-Trikots ziehen gen Dortmund, während sich in Essen
       der Protest gegen die AfD formiert. Bizarre Begegnungen prägen den
       Spieltag.