URI:
       # taz.de -- Energieexpertin über die FDP: „Wird nicht ehrlich kommuniziert“
       
       > Die Energieexpertin Claudia Kemfert kritisiert die FDP für ihre
       > Klimapolitik. Und erklärt, mit welchen Maßnahmen man die Klimaziele
       > erreichen würde.
       
   IMG Bild: Besonders im Verkehrssektor könnte man laut der Klimaexpertin Claudia Kemfert CO2 einsparen Foto: Jürgen Ritter/reuters
       
       wochentaz: Frau Kemfert, die FDP will die „Förderung Erneuerbarer Energien
       schnellstmöglich beenden“ – das ist einer ihrer zwölf Vorschläge für einen
       Wirtschaftsaufschwung. Hätte das den gewünschten Effekt? 
       
       Claudia Kemfert: Wenn wir unsere Wirtschaft in der Welt stärken wollen,
       dann ist es geradezu absurd, jetzt die Rahmenbedingungen für erneuerbare
       Energien zu verschlechtern. [1][Wir müssen im Gegenteil dafür kämpfen, dass
       deutsche Solarunternehmen nicht unser Land verlassen, weil es woanders
       deutlich attraktiver für sie ist.]
       
       Der bis vor Kurzem größte von ihnen, [2][der Schweizer Konzern Meyer
       Burger, hat gerade sein Werk im sächsischen Freiberg geschlossen und will
       die Produktion in die USA verlegen]. 
       
       Stimmt leider. [3][Andere Länder haben viel bessere Rahmenbedingungen,
       besonders China und auch die USA, die beide massiv subventionieren.] Daraus
       entsteht ein Dumping-Wettbewerb, den wir eh schon nicht mithalten können.
       Wenn wir jetzt auch noch die innovativen Unternehmen abwandern lassen, ist
       das für die deutsche Wirtschaft keine gute Nachricht.
       
       Was würde denn passieren, wenn die Regierung die Einspeisevergütung für
       Ökostrom streichen würde? 
       
       Das wäre fatal. Wir sind mit der Energiewende noch längst nicht über den
       Berg. Ohne Anschub gerät der Ausbau der erneuerbaren Energien wieder ins
       Stocken. [4][Um die Klimaziele zu erreichen, könnte man stattdessen – wie
       es der FDP vorschwebt – auf den freien Markt setzen und installiert einen
       radikalen Emissionshandel:] Dann bräuchte es ein definiertes CO2-Budget und
       eine entsprechende Höchstmenge an CO2-Zertifikaten, die dann über alle
       Wirtschaftsbereiche hinweg gehandelt werden.
       
       Derzeit gibt es so etwas auf europäischer Ebene für die Stromgewinnung und
       die Großindustrie. Für Verkehr und Heizen hat Deutschland zurzeit noch
       einen eigenen CO2-Preis auf nationaler Ebene – aber ohne Obergrenze, wie
       viele Zertifikate insgesamt verkauft werden dürfen. 
       
       Stimmt. Aber genau das müsste sich ändern, wenn man Klimaschutz allein über
       den freien Markt regeln will. Dann wäre schlicht nur eine begrenzte Menge
       an Zertifikaten verfügbar und der CO2-Preis hinge nur noch von Angebot und
       Nachfrage ab. Das hätte einen massiven Preisanstieg zur Folge! Schließlich
       wären Zertifikate zunehmend knapper, weil mehr Emissionen gesenkt werden
       müssen. Im Grunde fordert die FDP also, dass Strom, Heizen und Tanken sehr
       viel teurer werden. Aber so ehrlich sagt sie das nicht – zumal sie sofort
       mit Tankrabatten um die Ecke kommt, wenn der Ölpreis aus anderen Gründen
       steigt. Das passt doch nicht zusammen.
       
       Mit den Vorschlägen der Liberalen würden wir also direkt in die nächste
       Energiepreiskrise schlittern? 
       
       Nicht jede Preissteigerung ist sofort eine Krise. Trotzdem ist
       volkswirtschaftlich und politisch zu hinterfragen, ob man so hohe Preise in
       so kurzer Zeit will. Tank- und [5][Heizkosten könnten sich ähnlich wie in
       der Gaskrise verdoppeln oder gar verdreifachen]. Zwar hätte der Staat dann
       hohe Einnahmen, aber negativ betroffen wäre gerade Personen mit mittleren
       und niedrigen Einkommen. Deswegen sollte man diese Einnahmen dann den
       Menschen zurückgeben.
       
       Die FDP ist kein Fan solcher Maßnahmen, siehe ihr Verhalten beim Klimageld.
       Halten Sie das Subventionsende für die Erneuerbaren für einen
       ernstgemeinten Vorschlag? 
       
       Der Vorschlag ist sicher ernst gemeint. Aber es wird nicht ehrlich
       kommuniziert, was er in seinen Konsequenzen eigentlich bedeutet.
       
       Ein anderer nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag war ja der von
       FDP-Verkehrsminister Wissing, samstags und sonntags Fahrverbote
       einzuführen. Was muss passieren, damit der Verkehrssektor die Klimaziele
       erreicht? 
       
       [6][Das Gerede von Fahrverboten war reine Panikmache.] So wurde medialer
       Druck aufgebaut, damit die Sektorenziele im Klimagesetz im Sinne der FDP
       aufgeweicht werden. Im Gegenzug hat sie dann einem Solarpaket zugestimmt.
       [7][Ein unguter Kuhhandel.] Um das Ziel für den Verkehrssektor zu
       erreichen, hätte es eine Vielzahl von Maßnahmen gegeben. [8][Mit einem
       simplen Tempolimit würde man auf einen Schlag 20 Prozent der geforderten
       CO2-Einsparungen erreichen.] Weiter ginge es mit der Stärkung des
       Schienenverkehrs. Mehr Güter auf die Schiene, mehr ÖPNV. Dazu mehr Fußwege,
       bessere Fahrradwege, eine höhere Förderung der Elektromobilität. [9][Und
       besonders schnell ließen sich die Emissionen reduzieren, wenn man die
       Steuersenkung für Diesel und das Dienstwagenprivileg abschaffte.]
       
       Geht die Bundesregierung in diese Richtung? 
       
       Schön wär’s! Aber aus der Forschung wissen wir, wer zum Beispiel vom
       Dienstwagenprivileg am meisten profitiert: Das sind vor allem angestellte
       Männer im höheren Management, also eine Klientel, die FDP wählt. Deswegen
       wird die Partei da nicht rangehen. Und die Ampel auch nicht.
       
       Eine Möglichkeit wäre es ja, das Dienstwagenprivileg nur noch für E-Autos
       zu gewähren. Könnte man dadurch wieder Schub in die lahmenden Verkäufe
       bekommen? 
       
       Ja, aber noch mehr Schub würde es geben, wenn man alle Privilegien für den
       fossilen Verbrennungsmotor abschaffen würde – mit einer Kfz-Steuerreform,
       einer Steuerangleichung bei den Benzinpreisen oder indem man die
       Stromtarife für E-Fahrzeuge noch mal preiswerter ausrichtet.
       
       Aktuell wird ja auf EU-Ebene und in Deutschland auch diskutiert, das
       geplante Verbrennerverbot ab 2035 aufzuweichen. Hätten sie es je für
       möglich gehalten, dass über so einen Rückschritt beim Klimaschutz
       nachgedacht wird? 
       
       Ich finde es grundfalsch und gerade in Zeiten der Klimakrise überhaupt
       nicht angebracht. [10][Wir haben den wärmsten Januar, gefolgt vom wärmsten
       Februar und dem wärmsten März, wir haben die wärmsten neun Jahre hinter
       uns.] Die Klimaforschung weltweit schlägt Alarm. Trotzdem scheint immer
       noch nicht wirklich bei allen angekommen zu sein, wie bedrohlich die
       Situation ist für uns Menschen, für die gesamte Menschheit.
       
       27 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Hilfen-fuer-Photovoltaik-Branche/!5999999
   DIR [2] /Sterbende-Solarwirtschaft-in-Sachsen/!5995985
   DIR [3] /Dumping-bedroht-Solar-Branche/!5999279
   DIR [4] /Europaeischer-Emissionshandel/!5992314
   DIR [5] /Gas-wird-teurer/!6000946
   DIR [6] /Verkehrsminister-droht-mit-Fahrverboten/!6004125
   DIR [7] /Klimaschutz--la-FDP/!6004137
   DIR [8] /Tempo-runter-fuer-die-Umwelt/!5976119
   DIR [9] /Klimaschaedliche-Subventionen/!5974214
   DIR [10] /Klimakrise-im-Winter/!5996930
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anja Krüger
   DIR Kai Schöneberg
   DIR Susanne Schwarz
       
       ## TAGS
       
   DIR Verkehrswende
   DIR Energiepolitik
   DIR FDP
   DIR Ampel-Koalition
   DIR wochentaz
   DIR GNS
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR FDP
   DIR FDP
   DIR Fahrrad
   DIR Verkehrswende
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Nebeneffekt des Emissionshandels: Die Luft wird besser
       
       Klimaschutz macht gesund: Werden Industrieanlagen und Kraftwerke CO₂-ärmer,
       gibt es auch weniger andere Schadstoffe. Eine Studie beziffert das.
       
   DIR FDP-Bundesparteitag: Das Leiden der Liberalen
       
       Die FDP will die Ampel nicht in die Luft sprengen. Jedenfalls jetzt nicht.
       Ihre Unzuverlässigkeit wird am Ende ihr selbst schaden.
       
   DIR Bundesparteitag der FDP: Ampelkritik als Modus Operandi
       
       Beim Bundesparteitag in Berlin inszeniert sich die FDP als marktradikale
       Partei. Doch den Stress in der Regierung will sie lieber nicht verstärken.
       
   DIR Schäden durch Fahrraddiebstähle: Die falsche Verkehrswende
       
       Fahrraddiebstähle haben Konjunktur. Das zeigt, dass die Verkehrswende
       Realität ist – nur die Politik will das nicht wahrhaben.
       
   DIR Studie über Elektromobilität: EU hat viele Ladestellen für E-Autos
       
       Deutschland hat die EU-Zielvorgaben für den Ausbau von Ladestationen für
       elektrische Fahrzeuge übererfüllt. Auch viele andere Länder stehen gut da.
       
   DIR E-Scooter-Verbot: Gelsenkirchen verbietet Leihroller
       
       Die Stadt im Ruhrgebiet verbannt E-Roller von den Straßen. Die Roller
       könnten den Verkehr klimafreundlicher machen – tun es aber nur selten.