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       # taz.de -- Propalästinensische Kunst in Venedig: Das Accessoire der Stunde
       
       > Auf der Biennale in Venedig kreist propalästinensische Kunst um ein
       > Narrativ von Scholle und Wurzel. Was hat das bitte mit Kurt Cobain zu
       > tun?
       
   IMG Bild: Armer Kurt Cobain! Hier in einer Kunstinstallation von Emily Jacir
       
       Aktivistinnen tragen sie, Künstler tragen sie und kulturbeflissene Damen
       tragen sie auch. Wer in den Tagen um die Eröffnung der Kunst-Biennale in
       Venedig unterwegs ist, dem begegnet die Kufija in jeder Gasse. Sie ist das
       Accessoire der Stunde, ihre Bedeutung ist offen.
       
       Die eine trägt sie vielleicht angesichts des Horrors von Gaza, als Zeichen
       der Solidarität mit den von israelischen Bomben getöteten Familien. Der
       Zweite trägt sie womöglich, weil es sich erhaben anfühlt, auf der richtigen
       Seite zu stehen. Der Dritte, weil er auf das baldige Ende des
       [1][„Siedlerkolonialismus“] hofft.
       
       In der Ausstellung „South West Bank“, die der australische Kunstkritiker
       Jonathan Turner in einem kleinen Souterrainraum nahe der Accademia für die
       Biennale zusammenstellte, fällt ein Stapel penibel gefalteter
       schwarz-weißer Kufijas ins Auge, zehn an der Zahl.
       
       Gleich daneben zehn T-Shirts, auf denen das Gesicht Kurt Cobains zu sehen
       ist, darunter die Jahreszahlen 1967–1994.
       
       ## Kurt Cobains Todesjahr
       
       Künstlerin Emily Jacir hat die Kufijas und Shirts in einem Laden in
       Bethlehem entdeckt. Sie betrachtet diese Objekte als „Symbole globaler
       Kommodifizierung“, die zugleich an palästinensische Identität und
       palästinensischen Widerstand erinnerten. Denn das Geburtsjahr des
       [2][Grunge-Stars Cobain] sei das Jahr der Besatzung des Westjordanlands,
       Cobains Todesjahr wiederum das Jahr, an dem die PLO als Folge des
       Oslo-Abkommens aufgehört habe, eine revolutionäre Bewegung zu sein.
       
       Jacir postete am 7. Oktober auf Instagram das Foto einer 85 Jahre alten,
       entführten Israelin und kommentierte: „Diese gefangene Siedlerin sieht
       glücklich aus. Ich hoffe, sie servieren ihr eine gute palästinensische
       Mahlzeit.“
       
       „South West Bank“ versammelt Arbeiten von über zwanzig Künstler*innen
       aus Palästina und ihren „Verbündeten“, wie es in den Ankündigungen heißt.
       Viele Werke beziehen sich auf die heimische Scholle, die Landwirtschaft,
       ihre Produkte und auf kommunale Erfahrungen.
       
       ## Alte Olivenbäume
       
       Ikonografisch auf den Punkt gebracht wird dieses Thema durch die
       großformatigen [3][Schwarz-Weiß-Fotografien von Adam Broomberg] und Rafael
       Gonzalez. Sie zeigen alte Olivenbäume, Symbole für die Verwurzelung der
       Menschen mit dem Land, sind doch die Olivenbäume seit Jahrhunderten
       wesentlicher Teil der palästinensischen Agrarökonomie.
       
       Dass diese teils selbst jahrhundertealten Bäume ex negativo auch auf jene
       verweisen, die keine Wurzeln haben, legt eine Publikation mit dem Titel
       „Researching Palestine“ nahe, die Teil der Ausstellung ist. Sie ist nach
       dem 7. Oktober entstanden und wurde von Chris Harding zusammengestellt.
       
       In seinem Vorwort sind dem Historiker von der New Yorker City University
       der Mord an über tausend unbewaffneten Frauen, Männern und Kindern und die
       systematischen Vergewaltigungen durch Hamas-„Kämpfer“ keine Erwähnung wert.
       Harding nutzt den Begriff „Al-Aksa-Flut“ ohne Anführungsstriche und
       beschreibt das Morden vom Feldherrnhügel des Theoretikers aus als „Antwort“
       auf einen über 75 Jahre währenden „Genozid“.
       
       ## Okzidentales Kolonialunternehmen?
       
       Für Harding war der 7. Oktober ein Angriff auf „das Israelisch-Okzidentale
       Kolonialunternehmen“ und seine „Kriegsmaschine“. Der Tag, „als die Hamas
       die Mauern, die das Konzentrationslager Gaza umgeben, durchbrach und
       koordinierte Angriffe auf Siedlungen und Armeestellungen ausführte“.
       
       Die Broschüre liegt auf einem Tisch in der Mitte des Raums, auf einem
       Sockel gleich daneben stehen einige Flaschen Rotwein. Seine Trauben sind
       „indigen“, wie das Etikett verrät. Winzer Sari Khouri will mit seinem Wein
       an die Menschen des Natufien erinnern, einer Kultur im Westjordanland, die
       vor 8.000 Jahren Weintrauben zu kultivieren begann.
       
       Auch die spätere kanaanitische Weinproduktion erwähnt er. Die Trauben
       seines Weins stammen aus einem alten Weinberg, der zum Teil von der
       israelischen Armee zerstört worden sei, um eine Straße zu einer neuen
       jüdischen Siedlung zu bauen. Vielleicht heißt der preisgekrönte Wein von
       2021 deshalb „Trauben des Zorns“.
       
       ## Auspuffrohre treffen auf üppige Vegetation
       
       „South West Bank“ ist offizieller Satellit der von Adriano Pedrosa
       kuratierten [4][Biennale-Ausstellung „Stranieri Ovunque – Foreigners
       Everywhere“]. Am Entree des Arsenale nimmt Pedrosa den in „South West Bank“
       gesponnenen Faden des Aktivismus auf und platziert dort die monumentale
       Bildtafel „Zorn ist eine Maschine in Zeiten der Sinnlosigkeit“ von Frieda
       Toranzo Jaeger.
       
       Auspuffrohre treffen dort auf üppige Vegetation, eine lesbische Orgie und
       den Slogan „Viva Palestina“. Auch das Symbol der Melone fehlt nicht. Auf
       der Rückseite des Bilds findet sich die philosophisch fragwürdige Formel
       „Tod des Verlangens = Tod des Faschismus“.
       
       Dahinter aber öffnet sich Pedrosas sehenswerte Ausstellung. Sie versammelt
       viele starke Werke, die ohne ideologischen Überbau auskommen und ihre
       eigenen ästhetischen Formen schaffen. Solche Kunst kann man teils auch in
       „South West Bank“ finden, sie wird dort aber dem Framing der Ausstellung
       untergeordnet.
       
       ## Narrative, die nicht mehr aufgehen
       
       Weder in Khouris Geschichte des levantinischen Weins noch anderswo kommen
       die jüdischen, israelitischen Menschen vor, die in dieser Region schon vor
       der Antike Spuren hinterlassen haben, einen weltgeschichtlich nicht ganz
       unbedeutenden Schriftkanon überlieferten und dazwischen ein paar Reiche
       gründeten. Es gab sie anscheinend nicht. Oder besser: Es soll sie nicht
       gegeben haben. Denn wenn es sie gegeben hätte, würde das von „South West
       Bank“ präsentierte palästinensische Narrativ nicht mehr aufgehen.
       
       Dieses Narrativ zeigt sich als geschlossenes ideologisches Spiegelkabinett:
       Indigenen Menschen, Bäumen und Trauben mit tiefen palästinensischen Wurzeln
       stehen darin fremde, „israelisch-okzidentale“ Invasoren gegenüber. Wer
       „South West Bank“ gesehen hat, kann sich gut vorstellen, was durch die
       Köpfe der ekstatisch „Free Palestine!“ skandierenden Studierenden rauscht,
       die gerade US-Universitäten besetzen.
       
       26 Apr 2024
       
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