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       # taz.de -- Klimaexperte über Kipppunkte: „Das Risiko ist inakzeptabel hoch“
       
       > Die Klimakrise treibt die Eisschmelze an. Süßes Tauwasser strömt ins
       > salzige Meer und bringt die Strömung durcheinander, sagt Forscher Stefan
       > Rahmstorf.
       
   IMG Bild: Die Klimakrise beeinflusst auch, wie das Meer strömt
       
       taz: Herr Rahmstorf, die Atlantische Umwälzzirkulation (AMOC) steht
       möglicherweise durch die Klimakrise vor einem Kipppunkt, zeigt die Studie
       eines niederländischen Forscherteams. In Europa könnten die Temperaturen
       demnach teils um bis zu 30 Grad sinken. Viele Menschen kennen dieses
       Szenario aus dem Weltuntergangsfilm „The Day after Tomorrow“. Wird es
       hierzulande in Zukunft doch kälter statt wärmer? 
       
       Stefan Rahmstorf: Nein, das kann man so nicht sagen. Beim Zusammenbruch der
       AMOC handelt es sich um ein Risiko. Ein Risiko, welches vom Weltklimarat
       zuletzt noch mit weniger als 10 Prozent eingestuft wurde. Im Lichte von
       [1][vier neuen Studien] würde ich sagen, dass das Risiko doch deutlich
       größer ist. Demgegenüber stehen jedoch gesicherte Folgen der Erderwärmung.
       Zum Beispiel, dass sie weitergeht, solange wir Treibhausgase ausstoßen,
       dass es mehr Wetterextreme geben wird oder [2][dass die Meeresspiegel
       steigen]. Das ist alles gesichert. Beim Kipppunkt der
       Nordatlantik-Zirkulation reden wir hingegen von einem Risiko und nicht von
       einer gesicherten Folge des Klimawandels. Der Hauptpunkt ist aber:
       Angesichts der katastrophalen Folgen, die ein solches Ereignis hätte, halte
       ich dieses Risiko für inakzeptabel hoch.
       
       30 Grad Abkühlung klingt tatsächlich sehr bedrohlich. 
       
       Diese Zahl muss man etwas relativieren. In der Modellsimulation wurde die
       AMOC allein durch die Zufuhr von Süßwasser in den Nordatlantik zum
       Versiegen gebracht, ohne einen gleichzeitigen CO2-Anstieg. In der Realität
       gäbe es aber eine Überlagerung von globaler Erwärmung und dem Abreißen der
       AMOC, wenn das denn dann tatsächlich passieren sollte. Trotzdem gäbe es
       eine massive Abkühlung.
       
       Klimaforscher rechnen mit Erdsystemmodellen. Sie speisen so viele
       Informationen wie möglich in das Programm ein und beobachten, wie es
       reagiert. Inwieweit kann das denn in der Realität im Atlantik nachgemessen
       werden? 
       
       Dafür müssen wir auf den Süßwassertransport der AMOC schauen. Schafft die
       Zirkulation das Süßwasser aus Regen und [3][schmelzendem Eis aus dem
       Atlantik hinaus] oder importiert sie gar welches? Das ist ein wichtiger
       Stabilitätsfaktor. Wenn sie sich abschwächt und dann weniger Süßwasser
       abtransportiert als normal, was wir derzeit auch beobachten können, dann
       sammelt sich Süßwasser an und verdünnt das Meerwasser, was dessen Dichte
       verringert und eine weitere Abschwächung bedeutet. Das ist genau dieser
       selbstverstärkende Rückkopplungseffekt, der dann den Kipppunkt auslöst und
       nicht mehr aufzuhalten ist.
       
       Seit 1950 hat sich die Strömung Messungen zufolge bereits um 15 Prozent
       abgeschwächt. Kann die Klimawissenschaft in Zukunft einen Prozentsatz
       definieren, ab wann der Kipppunkt tatsächlich eintritt? 
       
       Das ist etwas, was ich schon seit den neunziger Jahren versucht habe. Das
       Problem ist aber, dass es von ganz subtilen Unterschieden im Salzgehalt und
       Niederschlagsmengen im ganzen Atlantik abhängt, sodass es bisher nicht
       gelungen ist, eine konkrete Zahl anzugeben. Das ist also nach wie vor sehr
       unsicher. Das heißt aber nicht, dass wir das Problem einfach ignorieren
       können. Angesichts der katastrophalen Folgen, die ein AMOC-Kollaps bringen
       würde, sollten wir ihn besser mit 99,9 Prozent Sicherheit ausschließen
       können.
       
       Welche Lehren sollte die Weltgemeinschaft aus [4][diesen neuen Ergebnissen]
       ziehen? 
       
       Im Grunde verstärkt es noch mal die Dringlichkeit, das Pariser Abkommen
       strikt einzuhalten. Das ist etwas, was die Weltgemeinschaft ohnehin
       versprochen hat. Die Studie verdeutlicht noch mal, dass die Risiken des
       Klimawandels sehr groß sind und der Zusammenbruch der AMOC ist ja nur ein
       Risiko unter vielen anderen. Es gibt also sehr gute Gründe, die
       1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Aber leider passiert das ja bisher nicht. Wir
       kriegen in Deutschland, als einem der wichtigsten Akteure weltweit, nicht
       mal ein Tempolimit hin, was eine völlig kostenlose und wirksame Maßnahme
       wäre.
       
       Haben Sie noch Hoffnung, dass die globale Gemeinschaft den Klimawandel
       bekämpft bekommt? 
       
       Es gibt ja durchaus hoffnungsvolle Entwicklungen und gute Ansätze der
       Bundesregierung. Wenn wir zum Beispiel den [5][Ausbau der erneuerbaren
       Energie anschauen] oder das viel gescholtene Heizungsgesetz. Es ist einfach
       sinnvoll, Wärmepumpen einzubauen, das habe ich auch getan. Es gibt vieles,
       was bereits im Gange ist – in der Wirtschaft, im Finanzsektor oder der
       Politik. Diese neue Studie ist einfach ein weiterer Grund, um dieser
       Entwicklung die höchste Priorität beizumessen.
       
       Abschließend: Es gibt Anlass zu großer Sorge, aber auf ein Szenario wie in
       „The Day after Tomorrow“ müssen wir uns nicht einstellen. 
       
       Ja, dieses Szenario war auf jeden Fall überzogen. Ich habe mit dem
       Drehbuchautor des Films, Jeffrey Nachmanoff, gesprochen, als der Film
       rauskam. Er wusste das und sagte: Wenn wir Filme für ein paar Millionen
       Zuschauer machen würden, würden wir uns an die Gesetze der Physik halten.
       Da wir aber Filme für ein paar hundert Millionen Zuschauer machen, gelten
       die Gesetze von Hollywood.
       
       14 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.carbonbrief.org/daily-brief/vital-ocean-currents-regulating-earths-climate-on-course-to-a-tipping-point/
   DIR [2] /Folgen-des-Klimawandels/!5982856
   DIR [3] /Folgen-des-Klimawandels/!5982856
   DIR [4] https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adk1189
   DIR [5] /Stromproduktion-in-der-EU/!5991051
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ingwar Perowanowitsch
       
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