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       # taz.de -- Kino-Film „Eine Frage der Würde“: Wo jeder für sich kämpft
       
       > Im Spielfilm „Eine Frage der Würde – Blaga’s Lessons“ schildert der
       > Regisseur Stephan Komandarev die Realität Bulgariens. Sein Blick ist
       > unerbittlich.
       
   IMG Bild: Ohne Hoffnung ist die 70-jährige Blaga (Eli Skorcheva)
       
       Ein Bündel Geldscheine, unterschiedliche Währungen, zusammengeschnürt in
       einem Autoreifen, an einem Fluss. Mit dieser emblematischen Einstellung
       beginnt Stephan Komandarevs Film „Eine Frage der Würde – Blaga’s Lessons“,
       ein Film aus und über Bulgarien, der universelle Themen verhandelt. Um Geld
       dreht sich die Geschichte, Geld treibt Blaga (Eli Skorcheva) an, eine
       70-jährige Frau, die einst als Lehrerin gearbeitet hat und nun ihre karge
       Pension mit Privatstunden aufbessert.
       
       Der Migrantin Tanja (Rozalia Abgarian) bringt sie mit großer Strenge
       Bulgarisch bei, denn im Gegensatz zu Blaga hat die aus Armenien stammende
       Tanja noch Hoffnung, in Bulgarien ein besseres Leben zu finden. Blaga hat
       diese längst verloren, auf dem Friedhof wird sie von der zuständigen Person
       mit einem „So ist eben der Kapitalismus“ vertröstet, als sie ein Grab für
       ihren gerade verstorbenen Mann – und auch gleich für sich selbst – erwerben
       will.
       
       Eine schöne Stelle ist freigeworden, doch diese kostet 16.000 Lew, ungefähr
       8.000 Euro. Wie so viele Menschen ihres Alters, die kein Vertrauen in das
       Finanzsystem ihres Landes haben, auch (oder gerade weil) es inzwischen
       nicht mehr staatlich, sondern privat funktioniert, bewahrt Blaga ihre
       Ersparnisse zu Hause auf, im Schrank, und genau das wird ihr zum
       Verhängnis.
       
       Ein Telefonbetrüger macht ihr Angst, behauptet von der Polizei zu sein,
       bedrängt Blaga, drängt sie dazu, das Geld aus dem Fenster zu werfen. Ein
       kurzer Moment der Irritation nur, schnell bemerkt Blaga ihren Irrtum, doch
       das Geld ist weg. Als 70-Jährige hat Blaga keine Chance auf einen Job, der
       Staat kann und will ihr nicht helfen, auch bei der Bank gibt es keinen
       Kredit und als Opfer eines Betrügers ist sie nun gar das Gespött der
       Nachbarschaft.
       
       In ihrer Not gibt sie im Internet eine Anzeige auf, deutet an, dass sie zu
       flexiblen Arbeitszeiten bereit ist, dass sie ein Auto besitzt, sie folgt
       den Beschreibungen der Polizei, die die Masche der Telefonbetrüger genau
       beschrieben hat: Nun ist es Blaga selbst, die dabei hilft, andere Menschen
       auszunehmen, Geldbündel in Autoreifen abzuliefern und ihren Anteil zu
       bekommen.
       
       ## Abgründe des Kapitalismus
       
       Filme wie „Eine Frage der Würde – Blaga’s Lesson“ kamen in den letzten 20
       Jahren oft aus Rumänien, Regisseure wie [1][Cristi Puiu], [2][Cristian
       Mungiu] oder [3][Corneliu Porumboiu] hielten der gesellschaftlichen
       Entwicklung ihres Landes einen ungeschönten Spiegel vor, sezierten die
       Abgründe des Kapitalismus und die Spätfolgen des Sozialismus.
       
       Ganz Ähnliches macht auch der 57-jährige bulgarische Regisseur Stephan
       Komandarev, der zu Beginn seiner Karriere Dokumentarfilme drehte, seit
       einigen Jahren jetzt mit wachsendem Erfolg Spielfilme, die aber einem
       dokumentarischen Blick verhaftet sind.
       
       In fast jedem Bild von „Eine Frage der Würde“ ist Blaga zu sehen, gespielt
       von der bekannten bulgarischen Schauspielerin Eli Skorcheva, die nach 30
       Jahren zum ersten Mal wieder vor die Kamera tritt. Gnomenhaft, verhärmt
       wirkt diese Blaga, durch ein langes Leben gezeichnet, ein Leben, das im
       Sozialismus begann und den Übergang zum Kapitalismus erlebte, mit all
       seinen Hoffnungen und bald gebrochenen Versprechen.
       
       ## Halt in der Geschichte des Landes Halt suchen
       
       Passend dazu der Schauplatz des Films, die Kleinstadt Schumen, im Nordosten
       Bulgariens gelegen. Am Rand der Stadt liegt auf einem Berg das bombastische
       „Denkmal für die Gründer des bulgarischen Staates“, eine bizarre
       Konstruktion aus brutalistischen Betonstelen und überdimensionierten
       Figuren, gebaut Anfang der 1980er-Jahre, als die Hoffnung auf eine
       erfolgreiche Verwirklichung des Sozialismus noch lebte. Hierhin verirrt
       sich Blaga immer wieder, als würde sie in der Geschichte ihres Landes Halt
       und Weisung suchen.
       
       Als Lehrerin versucht sie auch jetzt noch ihrer Schülerin Werte zu
       vermitteln, die sie selbst langsam verliert. Unter anderem wegen der
       unbestimmten Zukunft ihres Landes, in dem jeder für sich kämpft, in dem
       Blaga trotz ihres Alters niemand Respekt entgegenbringt, nicht einmal ihr
       Sohn, der in Amerika lebt und seine Mutter bald für ihre Naivität
       beschimpft.
       
       In manchen Momenten der Geschichte sind zwar die Räder des Plots zu spüren,
       mit denen Stephan Komandarev seine Hauptfigur in immer niedere Gefilde
       drängt, mit der er sie in die Situation zwingt, in der sie ihre Würde
       verliert. Doch die intensive Darstellung von Skorcheva und der
       unerbittliche Blick auf die bulgarische Realität lassen manch konstruierten
       Drehbuchmoment schnell vergessen.
       
       Dicht und intensiv beschreibt Komandarev den moralischen Abstieg seiner
       Hauptfigur, beobachtet sie, ohne deutlich zu werten, aber auch ohne ihr
       Verhalten zu entschuldigen.
       
       Am Ende, nach einem unausweichlichen, deswegen nicht weniger schwer zu
       ertragenden Finale, hallen Blagas Schritte noch, während der Abspann läuft,
       so wie dieser harte, harsche Film noch lange im Gedächtnis nachhallt.
       
       25 Jan 2024
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Meyns
       
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