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       # taz.de -- Fotobuch über Trümmer in der Ex-DDR: Ankündigung des sozial Abgebrühten
       
       > Arwed Messmer fotografierte Trümmerlandschaften in Ostdeutschland. In
       > seinem Buch deuten sie eine ebenso rauhe Geschichte wie Gegenwart an.
       
   IMG Bild: Der teils abgetragene Palast der Republik in Berlin Mitte am bereits umbenannten Schlossplatz, 2007
       
       Von sich aus bedeuten Ruinen nichts. Man muss sie als Zeichen
       entschlüsseln. Der Kultur- und Literaturwissenschaftler Hartmut Böhme
       schrieb über sie: „Die prekäre Balance der noch sichtbaren Formbestimmtheit
       und der noch nicht endgültigen Formauflösung der Ruinen prädestiniert sie
       dazu, zur stummen Zeichensprache der Geschichte zu werden.“
       
       In Ruinen können Modi der Zeit zusammenfallen. Wenn der Fotograf Arwed
       Messmer seinem kürzlich erschienenen Bildband den Titel
       „Tiefenenttrümmerung“ gibt, geht damit das Gefühl einer Bereinigung einher
       – allerdings zugunsten einer düsteren Perspektive. Trümmer sind Ruinen im
       fortgeschrittenen Stadium der Auflösung. Sie zerfallen endgültig, gehen in
       Landschaft über, wirken aber, kann man mit Blick auf Messmers Arbeiten
       vermuten, lange nach. Erst wenn sie abgeräumt werden, verschwinden sie als
       Zeichenarchiv.
       
       Arwed Messmer, geboren 1964 in Schopfheim, untersucht vor allem Archive. Er
       montiert neu, bringt Zeitschichten ans Tageslicht. Entlang der Geschichte
       von Orten hat Messmer auch eine Gestaltwerdung der bundesrepublikanischen
       Gegenwart gesucht.
       
       Dafür hat er nun sein eigenes Archiv ausgewertet – und festgestellt, dass
       er mit der Kamera zum Ende der DDR noch immer präsente Bruchteile des
       Nationalsozialismus einfing und bauliche Reinigungsmaßnahmen dokumentierte,
       die vielleicht den Auftritt einer [1][sozial abgebrühten, unempathischen
       Gegenwart] ankündigen.
       
       ## Raketentechnologie im Stollensystem
       
       Messmers Archiv beginnt mit einer Reihe Aufnahmen, die er als „Suche“
       überschreibt. In der Rückschau sind die Orte, die Messmer (als
       eisenbahnbegeisterter Jugendlicher, als Studierender, als ausgebildeter
       Fotograf) besuchte, nicht zufällig gewählt. Sondern politisch konnotiert:
       Messmer besuchte das ehemalige Heeresversuchsanlage in Peenemünde und
       Niedersachswerfen. Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges wurde hier
       Raketentechnologie entwickelt und in einem Stollensystem zusammengebaut,
       militärisches Sperrgebiet blieb es bis 1990.
       
       [2][Das Seebad Bansin] bei Wolgast hatte der Gauleiter von Pommern als
       erstes für „judenfrei“ erklärt. Der Brocken war 1990 noch mit
       Betonelementen „Mauer 75“ bewehrt, von hier lauschten Rote Armee und das
       MfS nach Westen. Nach der Wende baute die sowjetische Armee neue
       Stacheldrahtzäune gegen staunende Tagesausflügler und blieb bis 1994. Ums
       Feuer in Questenberg standen zu Pfingsten 1991 neue und alte Nazis.
       
       Die Bildstrecken liegen im Buch als Kontaktabzüge wie Flöze übereinander:
       Der Trainspotter Arwed Messmer suchte nach Lokomotiven aus der Baureihe 52,
       ab 1942 in hoher Stückzahl gebaut. Sie wurden vor Deportationszüge für
       Konzentrationslager gespannt, waren in der DDR bis 1980 im Einsatz. Entlang
       der Kontaktstreifen folgen wir dem Versiegen des kalten Krieges: Panzer bei
       Prora und Denkmäler für Kriegstote überlagern sich, wir streifen durch
       vernarbte, leergezogenen, aber noch nicht abgerissene Altbauten in Leipzig.
       
       Die Bildstrecken bestehen aus Schnappschüssen, sicher schon komponierte
       Aufnahmen, aber vor allem Dokumente einer konzeptionell unfertigen,
       nervösen Suche, die den Umbruch erfassen will.
       
       Im zweiten Kapitel, „Nullpunkt“ wird die Bildsprache ruhiger, der
       Ausschnitt weiter. Messmer begibt sich auf die Spur einer Gewaltgeschichte:
       Hitlers Reichskanzlei, gemauerte Fundamente, Stahlbeton, im Weltkrieg
       zerbombt, überpflügt, versunken. Aufnahmen öffnen sich zu erschütternden
       Panoramen, sorgfältig komponiert unter ausdruckslosem
       Hilla-und-Bernd-Becher-Himmel.
       
       ## Vernutzte Orte
       
       Wenn man sich die Aufnahmen länger anschaut, kann man meinen, dass auf den
       Trümmern die Stadt nicht zusammenwüchse: Obenauf nachlässige Teerflächen,
       Pflaster und Bodenplatten, neu und schon vergammelt. Obsolete Betonpfeiler
       sind widerborstig, ringsum macht sich allenfalls breit, was man
       Ruderalvegetation nennt: Struppige Pflanzen, die es an diesen vernutzten
       Orten aushalten.
       
       Wo einmal [3][das große Kaufhaus Wertheim stand] und im Krieg beschädigt
       wurde, wollte die DDR Plattenbaureihen errichten. Kam nicht voran. Bis 2005
       stand dann der Tresor hier, vereinte Hedonisten Ost wie West, lockte
       Touristen aus aller Welt: Ein Technoclub.
       
       Das dritte, umfangreichste Kapitel heißt „Übergang“ – es beobachtet Stadt
       und Land beim Verdauen und Neuausrichten: Reste von Industrie, Trümmer
       werden weggeschafft, Plattenbauten abgerissen. [4][Messmer schaut auf
       Berlin], streift durch Ostdeutschland – Zustände in Westberlin und
       Westdeutschland hat er in anderen Arbeiten untersucht. Seine Aufnahmen
       erzählen auch von der Absage an Verantwortung, vom Rückzug des Staates:
       Metallschrott liegt am Rande eines LPG-Geländes, neben stillgelegten
       Gleisen. Soll doch wer anders den Müll wegräumen.
       
       Aus den Bildern spricht viel Empathielosigkeit, ein Schulterzucken über
       Historie und Kultur: Die großformatige Industrielandwirtschaft kümmert die
       Umweltzerstörung nicht, die sie verursachte. Die Häuserzeilen von
       Landarbeitern sind zu Wohnbehältnissen degradiert. Der Kulturpalast zeigt
       große Geste mit mickriger Zufahrt.
       
       ## Enttrümmerung beseitigt Erinnerung
       
       Messmers [5][Blick auf Berlin und Ostdeutschland vermittelt bereits eine
       Renitenz], die sich bald breitmachen wird: Während in Städten noch
       DDR-Moderne abgerissen wird, wachsen schon investorenkalte Häuser.
       Kapitalertragsästhetik drängt dazwischen, neue Balkone verkünden Miethöhen.
       Das Leben auf dem Land, ahnen wir, wird den Anschluss verpassen.
       
       Die Enttrümmerung beseitigt Erinnerung. Im neuen, geographischen
       Mittelpunkt eines Deutschlands nach 1990 pflanzte die thüringische Gemeinde
       Niederdorla einen Baum. „Traum vom Reich“, hat Arwed Messmer seinen
       Bildband unterschrieben. Wenn die dunkle Teile der Vergangenheit beseitigt
       sind, scheint es, als könnte die Tür zur Nostalgie aufgestoßen werden.
       Potsdam wird zum preußischen Disneyland verkitscht, in Berlin wird ein
       Schloss gebaut. Der Baum in Niederdorla ist eine Kaiserlinde.
       
       14 Dec 2023
       
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