URI:
       # taz.de -- Leben auf einer Dauerbaustelle: Mieter*innen nicht erwünscht
       
       > Schon früher war in der Ebersstraße 3 nicht alles zum Besten bestellt.
       > Aber seit dem Eigentümerwechsel werden die Zustände immer
       > unerträglicher.
       
   IMG Bild: Der verwahrloste Hinterhof der Ebersstraße 3 in Schöneberg, ein Haus mit ganz besonderer Geschichte
       
       Berlin taz | Auf die Fassade des Hauses in der Ebersstraße 3 nahe der
       Julius-Leber-Brücke hat jemand schon vor langer Zeit den Schriftzug Salve
       angebracht. Der Weg führt durch ein zugiges Treppenhaus, die fehlenden
       Fenster waren notdürftig mit Sperrholzplatten vernagelt, als die taz das
       Haus besucht. „Hier wird irgendwann ein Fahrstuhl eingebaut“, sagen John
       Chambers und Sandra Ehlermann mit einem Grinsen, als sie der Reporterin die
       Tür öffnen und sie in ihre schöne Wohnküche führen.
       
       Ein paar Wochen ist dieser Besuch jetzt her. Mieter*innen des Hauses
       hatten sich bei der taz gemeldet, weil der Fahrstuhl nur eine von vielen
       Baustellen in einem verwahrlosenden Haus war, die ihnen seit Jahren das
       Leben erschwert. „Wir haben schon lange das Gefühl, dass wir mit unseren
       günstigen alten Mietverträgen nicht mehr erwünscht sind – als ob es nur
       darum geht, verdrängt zu werden und für die Eigentümer*innen der
       Wohnungen Platz zu machen“, sagen sie bei dem Treffen.
       
       Im Wohnzimmer der Familie haben sich weitere Mieter*innen versammelt,
       nur einige von ihnen, darunter Ehlermann und Chambers, kennen ihre
       Vermieter*innen persönlich. Doch weiß man in der Nachbarschaft, was ein
       Blick ins der taz vorliegenden Grundbuch bestätigt: dass es sich um
       international anerkannte Architekt*innen, Künstler*innen und
       Kurator*innen handelt, die sich auch durch linke,
       gesellschaftskritische Positionen und Projekte zu Themen wie nachhaltige
       Stadtentwicklung, Flüchtlingspolitik und der Aufdeckung von
       Menschenrechtsverletzungen einen Namen gemacht haben.
       
       Einige wenige von ihnen leben laut Mieter*innen bereits in ihren
       Wohnungen, nutzen diese aber oft nur als Zweit- oder Drittwohnungen –
       andere Eigentümer*innen vermieten ihre Wohnungen noch, wieder andere
       haben gleich zwei Wohnungen gekauft mit dem Plan, sie zusammenzulegen.
       
       ## Das war ein Schock
       
       Als John Chambers und Sandra Ehlermann 2005 mit dem ersten Kind in die 152
       Quadratmeter große Wohnung im damals noch sehr viel gemischteren Kiez
       eingezogen sind, waren sie glücklich. Sie haben in der Wohnung zwei weitere
       Kinder bekommen und aufgezogen, fühlen sich verwurzelt in der
       Nachbarschaft, kennen viele – von der Kassierer*in bis zur
       Ladenbesitzer*in –, pflegen Freundschaften in allen sozialen
       Schichten, wie sie sagen. Als 2016 das Haus verkauft wurde, war das ein
       Schock.
       
       Damals lebten noch 40 Menschen von der Arzthelfer*in bis zum
       Telekommunikationsinstallateur*in, von der Buchhändler*in bis zur
       Justizwachtmeister*in im Haus, berichten sie. Inzwischen sind es laut
       Mieter*innen nur noch etwa halb so viele, nach einer Leerstandsmeldung
       von ihrer Seite sei wieder aufgestockt worden.
       
       Chambers und Ehlermann erfuhren im Januar 2016 von einer neuen
       Hausverwaltung, der Concentra Immobilien Management GmbH, dass ihr Haus als
       ganzes an eine „BGB-Gesellschaft Ebersstraße 3“ verkauft worden sei. Im
       Februar machten sie schriftlich ihr Vorkaufsrecht geltend. Im Dezember 2016
       wurde ihnen mitgeteilt, wer die neuen Eigentümer*innen ihrer Wohnung
       seien.
       
       Ehlermann und Chambers erzählen, dass sie damals einen Anwalt konsultiert
       haben. Der habe mitgeteilt, das Vorkaufsrecht könne nicht geltend gemacht
       werden, weil auf ganze Häuser kein Vorkaufsrecht besteht. „Die Eigentümer
       haben eine Gesetzeslücke ausgenutzt, nach der eine Eigentümergemeinschaft
       ein Haus als Ganzes kaufen kann und erst nach dem Kauf eine
       Teilungserklärung macht, die dann einzelne Wohnungen einzelnen Mitgliedern
       der Eigentümergemeinschaft zuordnet“, so Ehlermann.
       
       ## In Berlin gängige Praxis
       
       Sebastian Bartels, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, bestätigt
       gegenüber der taz, dass dies in Berlin leider gängige Praxis sei und eine
       große Lücke für die Mieter*innen darstelle – und das war vor dem
       Inkrafttreten des Umwandlungsverbots in Berlin 2021 der Fall und ist es
       auch danach geblieben.
       
       Für Ehlermann und Chambers scheint die verpasste Chance Schnee von gestern
       im Vergleich dazu, wie die Eigentümergemeinschaft in der Ebersstraße das
       ohnehin marode Haus seit 2016 immer weiter herunterwirtschaftet. Die Liste
       der schlampigen und oft schlecht angekündigten Baumaßnahmen und der oft nur
       notdürftigen Reparaturen, die erst nach vielen Ermahnungen erfolgten, ist
       endlos und reicht von nicht verschließbarer Haus- und Kellertür, defektem
       Licht im Flur und im Hof inklusive Rattenbefall und verstopftem Abfluss,
       einer mangelhaften Baustellenabsicherung bis hin zu einem bodentiefen Loch
       im Hausflur zwischen der 4. und 5. Etage, das zunächst nicht abgesichert
       wurde. Erst nach mehrfachen Aufforderungen und Androhungen von Konsequenzen
       durch die Mieter*innen habe sich jemand gekümmert.
       
       Von der stümperhaften Baustellenabdeckung beim Dachausbau berichtet auch
       Andreas Pokora, der vor etwa 20 Jahren zu seiner Partnerin zog, die seit
       1987 in dem Haus wohnt. Er hatte einen erheblichen Wasserschaden in der
       Wohnung, der nie fachgemäß getrocknet worden, sondern überstrichen und
       anderswo abgehängt worden sei, berichtet er.
       
       Deshalb sei er sogar schon vor Gericht gezogen. Wegen derselben Abdeckung
       floss das Wasser auch schon in Kaskaden das Treppenhaus herab, wegen
       fehlender Regenrinnen und falsch angebrachter Rüstung im Hof kam der Regen
       in Sturzbächen die Fassade herunter und drang teilweise durch die ohnehin
       verrottenden Fenster in Wohnungen, wegen des verstopften Abflusses im Hof
       kam es auch im Keller zu Überschwemmungen. Videos und Fotos der
       Mieter*innen, die der taz vorliegen und dies belegen, würden einen ganzen
       Bildband füllen.
       
       Die Mieter*innen der Ebersstraße empfinden ihre Wohnungen immer weniger
       als Schutzraum, in dem man mal abschalten könne, sagen sie. Während Corona
       hatten viele von ihnen die Kinder zu Hause und arbeiteten im Homeoffice,
       während das Haus von allen Seiten eingerüstet und Fenster verklebt wurden,
       was allerdings weder den Lärm noch den Dreck abhielt. Bei Chambers und
       Ehlermann dauerte einmal die Reparatur der Heizung trotz sechswöchiger
       Fristsetzung vom Schornsteinfeger und 13 E-Mails an die Hausverwaltung drei
       Monate.
       
       ## „Andere Prioritäten“
       
       Schlimmer noch traf es eine andere Familie im Haus, die in diesem Text
       nicht namentlich genannt werden möchte: Zwecks Mietminderung haben sie ihre
       Briefe an die Hausverwaltung dokumentiert und der taz vorgelegt. In diesen
       geht es um eine Heizung, die sowohl 2022 als auch 2023 mehrere Monate
       defekt war, und Schimmelbefall in einem der beiden Bäder. Aus der
       Korrespondenz, die insgesamt 66 Seiten füllt, geht hervor, dass es 14
       Monate dauerte, bis die Reparaturen begannen, sowie weitere 11 Monate, bis
       Schimmelbeseitigung, Strangsanierung, Austausch von undichten Rohren und
       Wiederherstellung von allem erledigt war.
       
       „Die Hausverwaltung“, so die Mieter*innen übereinstimmend, „sagt uns
       immer wieder explizit, dass die Eigentümergemeinschaft „andere Prioritäten“
       habe. Und John Chambers fasst nach: „Warum macht sich eine Hausverwaltung
       die Arbeit, Hunderte von E-Mails und Beschwerden abzuweisen, anstatt
       einfach ihren Job zu tun? Trifft da eine Eigentümergemeinschaft bewusste
       Entscheidungen?“
       
       Einige Mails der Hausverwaltung an Chambers und Ehlermann legen nahe, dass
       sich die Eigentümer*innen, die eigentlich teilweise sogar vom Fach sind,
       vor dessen Erwerb nur unzureichend über den Zustand des Hauses informiert
       haben – zumindest ist den anwesenden Mieter*innen kein Fall bekannt, in
       dem eine Besichtigung der Wohnung vor Erwerb stattfand.
       
       Eine mündlichen Anfrage der Linken an die Bezirksverordnetenversammlung
       Tempelhof-Schöneberg aus dem Jahr 2021 legt nahe, dass zumindest einer der
       Eigentümer zwei Wohnungen zusammenlegen wollte, dies aber nicht genehmigt
       wurde, weil die Ebersstraße seit Februar 2018 zum Milieuschutzgebiet
       gehört. Auch die Mieter*innen geben an, ihren Eigentümer*innen
       wiederholt mitgeteilt zu haben, dass Zusammenlegungen in diesem Haus nicht
       gestattet seien.
       
       ## Paradigmatisch für eine Entwicklung
       
       Die Eigentümer*innen der Ebersstraße 3 möchten kein Statement zu den
       Vorwürfen ihrer Mieter*innen abgeben. Verlauten lassen sie dies nicht
       selbst, sondern durch die Medienrechtskanzlei Schertz Bergmann, die sich
       unter anderem durch die Vertretung von Rammstein-Sänger Till Lindemann
       einen Namen gemacht hat.
       
       Das Haus ist nur eins unter vielen ähnlichen – aber es steht paradigmatisch
       für eine Entwicklung in Berlin, die zunehmend die Stadt zu untergraben
       droht. „Eigentum“, bringt es John Chambers auf den Punkt, „scheint selbst
       hier nicht zu verpflichten.“
       
       Chambers, der in Irland aufgewachsen ist, fühlte sich immer sehr wohl in
       seiner Wahlheimat Berlin – einer Stadt, in der nach wie vor zahlreiche
       Menschen mit mittleren und kleinen Einkommen überzeugt sind, das Recht zu
       haben, dort zu leben. „Für mich stellt sich in unserem Haus die große
       Frage, wie wir eigentlich alle zusammenleben wollen“, sagt er, „was dieses
       Stadt eigentlich braucht, um weiter lebenswert zu sein.“ Und nach einer
       Pause: „Hier wird für mich der soziale Vertrag mit Füßen getreten.“
       
       15 Jan 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Messmer
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
   DIR Mieten
   DIR Verdrängung
   DIR Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
   DIR Heizkosten
   DIR Mieten
   DIR Mieten
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Sozialbauten am Hafenplatz in Kreuzberg: Mieter*innen fürchten Verdrängung
       
       Die Gebäude mit fast 400 Wohnungen sollen einem „lebendigen
       Innenstadtquartier“ weichen. Die Bewohner*innen wehren sich gegen den
       Abriss.
       
   DIR Protest gegen Immobilienriesen: Frieren für Vonovia
       
       Tausende Vonovia-Mieter*innen haben hohe und undurchsichtige
       Heizkostennachforderungen erhalten. Die Betroffenen geraten in Existenznot.
       
   DIR Unerhörte Räumungsklage in Tegel: Kündigung nach 84 Jahren
       
       Seit 2010 wehren sich Mieter*innen der Siedlung Am Steinberg gegen
       Luxussanierungen. Nun soll ein 84-Jähriger aus seiner Mietwohnung raus.
       
   DIR Heimstadens fehlerhafte Mieterhöhungen: Ein Einzelfall nach dem anderen
       
       Der Wohnkonzern Heimstaden fordert in Berlin massenhaft überzogene
       Mieterhöhungen. KritikerInnen sehen darin bewusste Täuschung.