# taz.de -- Vorbilder der Kindheit: Ein Hoch auf die Tanten
> Ohne ihre zwei Tanten wäre unsere Autorin nicht, wer sie heute ist. Sie
> findet: Es ist an der Zeit, die Tante zu feiern.
IMG Bild: Ein Hoch auf das Tante-Sein
Geile Tante. Ja, vielleicht werde ich einfach eine. Ob ich mal Elternteil
werden will, werde ich oft gefragt, ob ich Tante werden will nicht. Dabei
ist es ja wohl an der Zeit, das Tantensein so was von abzufeiern.
Ohne meine zwei Tanten wäre ich heute nicht, wer ich bin, nicht wo ich bin
und nicht wie ich bin: Wer nimmt denn bitte für seine zwölfjährige Nichte
jede [1][„Star Trek“]-Sendung auf Videokassetten auf und schickt sie ihr
alle paar Wochen per Post, weil zu Hause das Kabelfernsehen zu teuer ist?
Wer lässt denn genau diese Nichte, die gerade ihr queeres Erwachen hat,
nach dem Abi bei sich in den USA wohnen, sodass sie dort nicht nur
[2][Gender Studies entdecken], sondern vor allem eine Cousine fürs Leben
kennen lernen wird, die nun das niedlichste kleine Bündel von Mensch
großzieht?
Nenncousine würde man auf Old-School-Deutsch wohl sagen. Da verstecken sich
überhaupt so einige Sprachsnacks: Base, Muhme, Oheim, immer so über Kreuz,
ob nun Mutter- oder Vaterseite, sind das Vaterschwestern, Mutterschwestern,
der Mutterbruder. Erbrechtlich dichotom einmal durch die Jahrhunderte so
durchgedacht, nur dass sich mit der Zeit die Alterslinien verschieben, aus
Base plötzlich Cousine wird oder ganz allgemein eine weibliche Verwandte.
Das tolle am Oheim, Lateinisch Avunculus? Seine soziale Elternschaft wurde
gefeiert. Wo ist dieses ganze Wissen, wo sind diese Praktiken eigentlich
hin?
Scheinbar alles verschüttet unter der 2. Bedeutung von Tante, die der Duden
ausspuckt: nämlich, „… Tante (abwertend)“. Alte Tante, Klatschtante, ihr
kennt das ja. Gefühlt macht die deutsche Sprache hier mal wieder einen auf
Alleingang. In Italien oder Mexiko ist „Zia“ oder „Tia“ ein liebevoller
Ausdruck für ältere Verwandte oder Menschen, die man sehr schätzt und
respektiert.
## Verwandtes Wort oft „kinderlos“
In Wörterbüchern wird bei „Tante“ als verwandtes Wort oft „kinderlos“
angegeben. Das kennen die Briten wiederum auch. Tante = kinderlos, das geht
in Richtung „Spinster“, [3][wobei die Spinsters, die Jungfern], wie die
Jungfrauen der Antike ja einfach die Frauen sind, die sich entscheiden,
keine Ehe mit einem Mann einzugehen. Da, wo Abwertung angehängt wird, ist
ja meist eine Stärke zugegen, mit der irgendjemand nicht klarkommt.
Von wegen kinderlos: In der Linguistik ist „Tante“ auch ein Wort, dass in
der Sprache von Kindern im Altfranzösischen eine sogenannte spielerische
Umbildung erfuhr. Klingt ja auch bisschen wie „aunt“ nur mit T vorne dran,
oder? Da müssen ganz schön viele Kinder ständig Tante gesagt haben, um es
in die Sprachwissenschaft zu schaffen. Und das Wort ist verwandt mit dem
Lallwort „Amme“ – „Lallwort“. Was für eine großartige Wortschöpfung, da ist
mir das Deutsch für einen Moment wieder weich und warm.
## Die besten Vorbilder
Ich jedenfalls habe meine Tanten selten „Tante“ genannt. Wieso mit diesem
abwertenden Hauch hantieren, wenn ich in meinen Tanten die zwei besten
Vorbilder hatte und habe, die man sich nur wünschen kann.
Gerade haben wir uns entschieden, das Grab meiner Tante, die mich mit den
Stapeln lebensrettender Science-Fiction versorgt hat und die viel zu früh
gestorben ist, für weitere zehn Jahre zu behalten. Was sollten wir auch
anderes antworten auf eine Auflösungsanfrage. Wir pilgern gern zweimal im
Jahr in die Stadt, in der niemand mehr von uns lebt. Weil wir dann alle
wieder zusammen sind.
Danke, liebe Tanten. Ich komm in euren Klub.
23 Nov 2023
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## AUTOREN
DIR Noemi Molitor
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