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       # taz.de -- Ökonom Jens Südekum zur Haushaltskrise: „Nicht auf Zeit spielen“
       
       > Die Schuldenbremse braucht eine Reform, sagt der Ökonom Jens Südekum.
       > Möglich wäre ein kreditfinanziertes Sondervermögen zur
       > Klima-Transformation.
       
   IMG Bild: Ohne Investitionen keine sozial-ökologische Transformation: Solarpark Ulrichshof bei Gross Mitzow
       
       taz: Herr Südekum: Es herrscht Krisenstimmung. Viele Leute machen sich
       [1][große Sorgen über den Bundeshaushalt und das fehlende Geld]. Ist die
       Lage wirklich so schwierig? 
       
       Jens Südekum: Wir erleben eine politische und juristische Krise. Das
       Bundesverfassungsgericht hat der Bundesregierung attestiert, [2][die
       Schuldenbremse im Grundgesetz verletzt zu haben]. Eine ökonomische Krise
       muss daraus aber nicht folgen.
       
       Nach dem Urteil hat die Koalition bereits einen Nachtragshaushalt für
       dieses Jahr ausgearbeitet. An den Ausgaben ändert sich dadurch wenig. 2024
       fehlen vielleicht 20 Milliarden Euro, 2025 etwas mehr. Das ist keine
       Katastrophe. 
       
       Das kommt darauf an, wie die Bundesregierung darauf reagiert. Kanzler Olaf
       Scholz hat in seiner Regierungserklärung noch nichts Genaues gesagt. Durch
       die Entscheidung des obersten Gerichts fehlen aber ab 2024 rund 60
       Milliarden Euro. Wenn diese staatlichen Ausgaben einfach wegfallen, würde
       das Bruttoinlandsprodukt etwa um einen Prozentpunkt schrumpfen. Und die
       gesamten Investitionen der Wirtschaft könnten um vier Prozentpunkte
       zurückgehen. Dann besteht die Gefahr, dass aus der [3][momentanen
       Stagnation eine längere und tiefere Rezession] wird.
       
       Die 60 Milliarden Euro, die das Verfassungsgericht annullierte, hatte die
       Bundesregierung in ihrem Klima- und Transformationsfonds eingeplant. Was
       bedeutet es konkret, wenn dieses Geld nicht fließt? 
       
       Viele der Programme sind bisher darauf ausgerichtet, dass die öffentliche
       Förderung größere private Investitionen auslöst. So soll ein
       [4][staatlicher Zuschuss von 10 Milliarden Euro für die Chipfabrik bei
       Magdeburg Investitionen des Unternehmens Intel von 30 Milliarden Euro]
       ermöglichen.
       
       Wenn das Geld fehlt, wären Arbeitsplätze in Gefahr? 
       
       Das auch, wobei unser Arbeitsmarkt ziemlich robust ist. Wegen des
       zunehmenden Fachkräftemangels halten viele Firmen ja an ihren
       Arbeitskräften fest. Eine große Arbeitslosenwelle befürchte ich deshalb
       kurzfristig nicht. Sorgen mache ich mir aber über die ausbleibenden
       Investitionen. Deutschland könnte den Anschluss verlieren.
       
       Als Berater von Wirtschaftsminister Robert Habeck betonen Sie den
       Epochenwechsel zur Klimaneutralität. Aber ist es wirklich so relevant, ob
       ein Stahlproduzent oder ein Hersteller von Solarzellen die Förderung für
       die neue Fabrik 2024 oder erst ein Jahr später erhält? 
       
       Es ist keine gute Idee, auf Zeit zu spielen. Man muss die geopolitische
       Situation betrachten. Andere Länder kämpfen jetzt um die Ansiedlung der
       Technologien von morgen. Die [5][USA verwirklichen ein großes Förder- und
       Investitionsprogramm, um neue Fabriken für Halbleiter, Batterien und grünen
       Wasserstoff zu errichten]. Solche Investitionsentscheidungen sind schwer
       rückgängig zu machen. Deutschland und Europa müssen da mithalten. Sonst
       verabschieden sich die großen Projekte von hier.
       
       Schaffen das die Unternehmen nicht ohne Staat? 
       
       Die Investitionen etwa in die Stahlproduktion mit grünem Wasserstoff
       rechnen sich für die privaten Unternehmen jetzt noch nicht. Das wird sich
       in Zukunft absehbar ändern. Aber der Staat muss eine Anschubfinanzierung
       bereitstellen, vor der die Geschäftsbanken zurückschrecken. Das ist eine
       außergewöhnliche Situation. Eine Transformation in dieser Größenordnung gab
       es in der Geschichte des Kapitalismus noch nicht.
       
       Auch wenn die Bundesregierung nun die 60 Milliarden Euro nicht mit Schulden
       finanzieren kann, sind ihr nicht die Hände gebunden. Zum Beispiel bleiben
       im Bundeshaushalt jedes Jahr Milliarden übrig, weil sie nicht ausgegeben
       werden können. Lässt sich das fehlende Geld 2024 und 2025 durch
       Umschichtungen erwirtschaften? 
       
       Das kann man versuchen. Allerdings halte ich einige Vorschläge in dieser
       Richtung für pure Ablenkungsmanöver. Mit Kürzungen bei der geplanten
       Kindergrundsicherung oder dem Bürgergeld lassen sich vielleicht zwei
       Milliarden Euro einsparen. Das reicht auf keinen Fall.
       
       Leichte Kürzungen hier und da, Abschmelzen von Steuerprivilegien wie der
       Begünstigung von Dienstwagen, Verschiebung von einigen
       Investitionsprojekten auf 2026 oder 2027 – warum soll so ein Potpourri
       nicht möglich sein? 
       
       Auf diese Art werden die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP wohl versuchen,
       Kompromisse zu finden. Aber die großen Investitionsprogramme müssen dabei
       unbedingt erhalten bleiben. Deswegen rate ich dazu, eine Verständigung mit
       der Union anzustreben. Wir brauchen grundsätzliche Reformoptionen. Eine
       bestünde darin, im Grundgesetz ein weiteres Sondervermögen zur Finanzierung
       von Investitionen in die Klimaneutralität einzurichten – analog dem
       [6][Sondervermögen für die Bundeswehr]. Besser wäre es jedoch, die
       Schuldenbremse grundsätzlich so zu reformieren, dass regelmäßig höhere
       Investitionen aus Bundesmitteln erlaubt wären.
       
       Warum sollte die Union der angeschlagenen Ampel-Koalition in dieser Weise
       aus der Patsche helfen? 
       
       Weil auch die Bundesländer, in denen die Union regiert, von dem Problem
       betroffen sind. Die CDU-Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt und Sachsen,
       Reiner Haseloff und Michael Kretschmer, sorgen sich um [7][dortige
       Firmenansiedlungen]. Berlins CDU-Bürgermeister Kai Wegner hat sich ähnlich
       geäußert. Auch Parteikollege Hendrik Wüst in Nordrhein-Westfalen scheint
       mir nicht abgeneigt. Außerdem könnte die Union, wenn sie irgendwann wieder
       im Bund regiert, in einer ähnlichen Bredouille stecken wie jetzt die Ampel.
       
       28 Nov 2023
       
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