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       # taz.de -- US-Kongress ohne Speaker: In Geiselhaft der extremen Rechten
       
       > Der US-Kongress ist derzeit handlungsunfähig. Dass auch die Demokraten
       > für die Abwahl McCarthys stimmten, ist verständlich.
       
   IMG Bild: Ort historischer Ereignisse diese Woche in den USA: Capitol in Washington D.C
       
       Es fällt außerordentlich schwer, das Schauspiel der vergangenen Woche auf
       dem Kapitolshügel in Washington noch mit nüchternen Worten zu analysieren.
       Einer Gruppe von gerade mal acht Abgeordneten des extremen rechten Rands
       der Republikaner im Repräsentantenhaus ist es gelungen, die Staatsgeschäfte
       im mächtigsten Land der Welt lahmzulegen.
       
       Denn mit der [1][Abwahl Kevin McCarthys als Sprecher des
       Repräsentantenhauses] ist die Abgeordnetenkammer vorerst beschlussunfähig.
       Abstimmungen über den neuen Haushalt, die eigentlich überfällig sind, sind
       erst einmal nicht möglich. In der Folge droht Mitte November wieder einmal
       der umfassende Ausgabenstopp für die Regierung, der sogenannte Shutdown.
       Der ließe nicht nur Millionen von Staatsbediensteten und Militärangehörigen
       ohne Gehalt, sondern würde auch weitere Militärhilfe an die Ukraine
       stoppen, die weiterhin täglich von den russischen Streitkräften bombardiert
       wird und vor einem äußerst schwierigen Winter steht.
       
       Es ist ein Fiasko mit Ansage: Seit die Republikaner im November 2022 eine
       knappe Mehrheit von 222 zu 213 im Repräsentantenhaus errangen, können
       wenige republikanische Abgeordnete der Mehrheit ihrer Fraktion ihren Willen
       aufdrücken. Und diese Gruppe namens Freedom Caucus nutzte ihre Macht
       weidlich aus. Sie ließ Kevin McCarthy 15 Wahlgänge bis zu seiner
       Bestätigung zappeln und rang ihm wichtige Ausschussposten ab. Vor allem
       änderte sie die Regel, wie McCarthy als Speaker abgewählt werden kann:
       Nicht mehr die Mehrheit ihrer Fraktion ist erforderlich, um dies zur
       Abstimmung zu bringen, sondern schon ein einzelner Abgeordneter kann ein
       Votum erzwingen. Fortan war McCarthy Geisel des Freedom Caucus.
       
       Und sie hängten ihm den Strick um den Hals, nachdem er plötzlich einen auf
       sechs Wochen befristeten Übergangshaushalt vorgelegt hatte, der dann mit
       Stimmen der Demokraten verabschiedet wurde. McCarthy hatte damit das
       Richtige getan und einen Shutdown vorerst hinausgeschoben, aber
       gleichzeitig sein politisches Ende provoziert.
       
       Theoretisch [2][hätten einige Stimmen aus den Reihen der Demokraten
       McCarthys Abwahl verhindern können]. Doch der hatte zuvor jedes Vertrauen
       zerstört, dass er nicht weiter versuchen würde, sie für den drohenden
       Shutdown verantwortlich zu machen und ihnen mit parlamentarischen Tricks
       Budgetkürzungen aufzuzwingen. Außerdem hatte er ein Amtsenthebungsverfahren
       gegen Präsident Joe Biden eingeleitet, obwohl es dafür keine triftigen
       Gründe gab. Die Demokraten wollten zeigen, dass die verfahrene Situation
       allein das Ergebnis der innerparteilichen Streitereien der Republikaner
       sei. Die traten in der hitzigen Parlamentsdebatte vor der Abwahl McCarthys
       offen zutage: „Denkt lange und gut darüber nach, ob ihr uns ins Chaos
       stürzen wollt“, warnte der Republikaner Tom Cole seine Kollegen.
       
       Aber wie wären die Radikalen des Freedom Caucus zufriedenzustellen? Das ist
       nur schwer zu beantworten, nicht einmal eine offizielle Liste seiner zwei
       bis drei Dutzend Mitglieder gibt es. Aber sie lassen erkennen, dass [3][sie
       Steuern und Ausgaben drastisch senken, Bundesbehörden radikal
       zurückstutzen, Regeln für die Umwelt oder den Schutz der arbeitenden
       Bevölkerung abschaffen] und Einwanderung so weit wie möglich reduzieren
       wollen. Sie nennen das „den Sumpf austrocknen“. Mehrheitsfähig ist all das
       nicht einmal in ihrer eigenen Partei. Aber Kompromisse sind tabu.
       
       ## Kurzfristiges Kalkül
       
       Es gibt auch ein kurzfristiges Kalkül in dem Krawall, den die Radikalen
       veranstalten: Er verschafft ihnen Aufmerksamkeit in den sozialen Medien und
       eine landesweite Bekanntheit, die sich unmittelbar in Spenden für ihren
       nächsten Wahlkampf umsetzen lässt. Politisch ist es die zugespitzte
       Fortsetzung einer Entwicklung, die mit der Tea-Party-Bewegung 2009 begann
       und sich heute als „Make America Great Again“ zu einem politischen Kult
       ohne Realitätsbezug gewandelt hat, an dessen Spitze Donald Trump steht.
       
       Ausgerechnet der schickt sich jetzt an, den Weg aus dem Chaos zu weisen.
       Schon am Dienstag will er nach Washington reisen und Gespräche mit
       republikanischen Parlamentariern führen. Bisher ist nicht absehbar, wer als
       Nachfolger McCarthys die erforderliche Stimmenzahl erreichen könnte. Es
       wurde gar vorgeschlagen, Trump zum neuen Speaker zu machen, da der
       Vorsitzende des Repräsentantenhauses erstaunlicherweise nicht zwingend aus
       den Reihen der Abgeordneten stammen muss. Allerdings darf er auch nicht
       unter Anklage stehen – so verlangt es die Geschäftsordnung der Kammer, die
       freilich von einer Mehrheit verändert werden könnte.
       
       Trump im dritthöchsten politischen Amt der USA – das wäre allerdings ein
       echter Treppenwitz der Geschichte.
       
       7 Oct 2023
       
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