URI:
       # taz.de -- Verdi-Bundeskongress in Berlin: Diskussionsbedarf über Frieden
       
       > Der Ukraine-Krieg ist eines der großen Themen auf dem seit Sonntag
       > stattfindenden Verdi-Bundeskongress. Kanzler Scholz streift ihn nur am
       > Rande.
       
   IMG Bild: Auf Kritik aus den Verdi-Reihen geht Olaf Scholz in seiner Rede nicht ein. Mit einer Ausnahme
       
       Berlin taz | An der Zufahrtsstraße zum Kongresshotel steht am Sonntag in
       Berlin ein kleines Häuflein Demonstrant:innen. „Nein zu Krieg und
       Aufrüstung“ oder „Gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden“ steht auf
       ihren Plakaten. Die klassische Weiße-Taube-auf-blauem-Grund-Fahne weht
       neben ein paar Verdi-Winkelementen. Der [1][DKP-Vorsitzende Patrik Köbele]
       versucht die Parteizeitung Unsere Zeit zu verteilen. Die meisten
       Gewerkschaftsdelegierten gehen schnellen Schrittes an ihm vorbei.
       
       Gleichwohl ist auch in der Halle der Ukraine-Krieg ein großes Thema. Als
       Olaf Scholz zum Beginn des Bundeskongresses der Dienstleistungsgewerkschaft
       Verdi die große Bühne betritt, halten über den Saal verteilt Delegierte
       Zettel in die Höhe. „Bildung statt Bomben“, „Rente statt Rüstung“, „100
       Milliarden für Soziales“ oder auch „100 Milliarden für Klima“ ist darauf zu
       lesen.
       
       In seiner Ansprache geht der Bundeskanzler darauf nicht ein. Stattdessen
       bemüht er sich, seine Verbundenheit mit den Gewerkschaften zu
       demonstrieren. „Als Gewerkschafter beklage ich sehr wohl, dass die
       Tarifbindung zurückgegangen ist“, sagt er. „Und als Bürger und als Kanzler
       der Bundesrepublik Deutschland setze ich mich dafür ein, dass wir wieder
       mehr Tarifbindung bekommen.“ Denn es bräuchte mehr Tarifverträge und nicht
       weniger.
       
       Das hören die knapp über 900 anwesenden Delegierten gerne. Beifall erntet
       Scholz auch, als er bekundet, sich all jenen entgegenzustellen, die sagten,
       weil die Zeiten schwierig seien, müsse der Sozialstaat zurückgefahren
       werden. „Das Gegenteil ist richtig, das Gegenteil ist der Fall“, ruft der
       Kanzler aus. Auch kritisiert der Sozialdemokrat die gegen die
       gewerkschaftlichen Stimmen getroffene Entscheidung der
       Mindestlohnkommission, die im ersten Schritt eine Anhebung des gesetzlichen
       Mindestlohns um nur 41 Cent auf 12,41 Euro beschlossen hatte.
       
       ## Werneke: „Gebührende Zeit“ für Diskussion über Krieg und Frieden
       
       Ganz zum Schluss seiner zwölfminütigen Rede geht Scholz dann doch noch auf
       ein Transparent ein, das ihm entgegengehalten wird. „Verhandeln statt
       schießen! Für Waffenstillstand und Friedensverhandlungen!“ ist da zu lesen.
       „Es ist eine zynische Aussage, jemanden, auf dessen Territorium die Panzer
       eines anderen Landes rollen, zu sagen, er solle verhandeln, statt sich zu
       verteidigen“, hält er dagegen. Die Grundlage für Verhandlungen könne nur
       sein, „dass der russische Präsident einsieht, er muss Truppen
       zurückziehen.“ Auch hierfür bekommt Scholz keinen geringen Applaus.
       
       Nicht nur aufgrund seiner gravierenden wirtschaftlichen Auswirkungen
       [2][sorgt der Ukraine-Krieg für erhebliche Diskussionen] auf dem bis
       Freitag tagenden 6. Verdi-Bundeskongress. „Als Gewerkschaften sind wir Teil
       der Friedensbewegung – und bleiben das auch“, sagt Verdi-Chef Frank Werneke
       in seiner Rede am Sonntagnachmittag. Das bedeute jedoch in der aktuellen
       Situation, sich in einem „Spannungsverhältnis“ zu befinden.
       
       „Uns vereint, dass wir nicht akzeptieren, wenn die Politik in Deutschland
       überwiegend in militärischen Kategorien denkt und handelt“, so Werneke.
       Einig sei man sich daher auch in der Ablehnung des Zwei-Prozent-Ziels der
       Nato und auch des 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögens, das die
       Bundesregierung für die Bundeswehr beschlossen hat.
       
       Unterschiedlich werde jedoch auch innerhalb von Verdi bewertet, „welcher
       Weg der richtige ist, um den Krieg zu beenden“. Das gelte insbesondere für
       die Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine. „Wir werden uns auf unserem
       Kongress die gebührende Zeit nehmen, um über den Krieg und seine Folgen
       miteinander zu debattieren“, kündigt Werneke an. Und er appelliert, diese
       Diskussion „mit gegenseitigem Respekt und ohne Unterstellungen zu führen“.
       
       ## Gemischte Bilanz von Wernekes erster Amtszeit
       
       Zunächst stehen allerdings am Montag die Vorstandsneuwahlen auf dem
       Programm. Werneke wird erneut antreten. Seine Wiederwahl wie auch die der
       beiden Stellvertreterinnen Andrea Kocsis und Christine Behle dürfte jedoch
       nur eine Formsache sein. [3][Seit vier Jahren steht der gelernte
       Verpackungsmittelmechaniker] an der Spitze von Deutschlands zweitgrößter
       Einzelgewerkschaft.
       
       Die Bilanz des heute 56-Jährigen, der [4][2019 den Gründungs- und
       Langzeitvorsitzenden Frank Bsirske abgelöst] hat, fällt gemischt aus.
       Mitunter äußerst mickrigen Tarifabschlüssen in der Coronazeit, die schon
       vor Beginn des ukrainekriegbedingten starken Inflationsanstiegs zu
       Reallohnverlusten führten, stehen ganz ordentliche Abschlüsse in diesem
       Jahr gegenüber. „Alle Tarifauseinandersetzungen waren in der Hochzeit der
       Pandemie ein Ritt auf der Rasierklinge“, sagte Werneke dazu.
       
       Das lässt sich auch an den Mitgliederzahlen ablesen. Von 2019 bis 2022
       sanken sie um fast 100.000 auf nur noch knapp 1,86 Millionen. Die
       Arbeitskämpfe in diesem Jahr zum Beispiel [5][bei der Deutschen Post] oder
       im [6][öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen] haben hingegen zum
       ersten Mal seit zehn Jahren wieder dazu geführt, dass es mehr Zu- als
       Abgänge gegeben hat. So verzeichnete Verdi bislang mehr als 140.000
       Neueintritte. „Wir werden in diesem Jahr auch im Saldo mit einem deutlichen
       Mitgliederzuwachs von mehreren zehntausend Mitgliedern abschließen“,
       prognostizierte Werneke zum Kongressauftakt.
       
       17 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /DKP-Chef-ueber-die-Zulassung-zur-Wahl/!5786016
   DIR [2] /Bundeskongress-der-Gewerkschaft/!5960376
   DIR [3] /Verdi-Bundeskongress-in-Leipzig/!5626392
   DIR [4] /Verdi-Bundeskongress-in-Leipzig/!5625172
   DIR [5] /Beigelegter-Tarifkonflikt-bei-der-Post/!5918542
   DIR [6] /Tarifeinigung-im-oeffentlichen-Dienst/!5927175
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pascal Beucker
       
       ## TAGS
       
   DIR Frank Werneke
   DIR Verdi
   DIR Arbeitskampf
   DIR GNS
   DIR Frieden und Krieg
   DIR Olaf Scholz
   DIR Soziale Bewegungen
   DIR Verdi
   DIR Bundeskongress
   DIR Bundeskongress
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Lohnerhöhung
   DIR Berufsgewerkschaften
   DIR Energiekrise 
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Vorstandswahl beim Verdi-Kongress: Die meisten Stimmen und Applaus
       
       Rebecca Liebig ist die erste Schwarze Frau im Verdi-Bundesvorstand. Die
       Delegierten der Gewerkschaft wählten sie mit stolzen 94,7 Prozent.
       
   DIR Verdi-Bundeskongress: Für mehr soziale Klimagerechtigkeit
       
       Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sucht den Schulterschluss mit der
       Klimabewegung. Gleichzeitig mahnt Verdi an, ihn sozial zu gestalteten.
       
   DIR Ver.di-Bundeskongress in Berlin: Werneke bleibt Bundesvorsitzender
       
       Auf dem ver.di-Bundeskongress in Berlin wurde ein neuer Bundesvorstand
       gewählt. Als ver.di-Vorsitzender wurde Frank Werneke im Amt bestätigt.
       
   DIR +++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Selenski vergleicht Putin mit Hitler
       
       Der ukrainische Präsident warnt im US-Fernsehen vor einem Dritten
       Weltkrieg, wenn Putin nicht gestoppt werde. Die Ukraine erobert ein
       weiteres Dorf zurück.
       
   DIR Bundeskongress der Gewerkschaft: Krieg und Frieden bei Verdi
       
       Der Ukrainekrieg beschäftigt die Gewerkschaft vor ihrem Bundeskongress.
       Auch Schlichtungsvereinbarungen werden diskutiert.
       
   DIR Streit um den Industriestrompreis: Wernekes guter Punkt
       
       Der Industriestrompreis birgt sozialen Sprengstoff. Warum Geld in
       Unternehmen stecken, wenn das Dienstleistungsgewerbe zugucken muss?
       
   DIR Billige Energie für Konzerne: Industriestrom spaltet Gewerkschaften
       
       Verdi fürchtet die soziale Sprengkraft von subventionierter Energie für
       Unternehmen. IG Metall und DGB sind dafür, um Jobs in Deutschland zu
       halten.