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       # taz.de -- Umgang mit dem Rechtsruck: Linke Hausaufgaben
       
       > Es klingt nur scheinbar paradox, ist aber dennoch wahr: Der politische
       > und gesellschaftliche Kampf gegen rechts wird links entschieden.
       
   IMG Bild: Für manchen ist die Sonnenblume, Parteisymbol der Grünen, ein wahres Feindbild
       
       Steuern wir auf ein neues autoritäres Zeitalter zu? Schon vor Jahren
       fühlten sich manche Historiker an die 1930er Jahre erinnert, als ebenfalls
       fast überall in Europa rechte Parteien erstarkten. Damals, immerhin, blieb
       Roosevelt-Amerika stabil. Heute erscheinen gerade die USA, mit ihrer
       [1][aus dem Ruder gelaufenen Rechten], als größter Risikofaktor.
       Gleichzeitig blicken manche inzwischen interessiert gen Asien. Selbst
       Leute, die man eher als linksgestrickte Freigeister kannte, sprechen
       auffallend nachsichtig über autokratische Modelle. China natürlich nicht,
       aber eine mildere Variante à la Singapur … Augenzwinkern: Diese endlosen
       Debatten wie bei uns gibt es dort jedenfalls nicht.
       
       „Wehret den Anfängen!“, ruft es an dieser Stelle aus dem Hintergrund. Und
       auch sonst begegnet einem vermeintlich Altbewährtes: präsidiale Mahnworte,
       Aufrufe zur Demokratie-Erziehung, Abgrenzungsrituale, ein verdoppeltes
       „gegen“. Alles zweifellos richtig. Viel wirksamer aber, behaupte ich, wäre
       etwas, das auf der „eigenen“ Seite zu schaffen wäre: eine intelligente,
       politisch robuste Linke.
       
       Gerade da stehen sich aber viele linke Milieus mit ihrer Neigung zur
       Übermoralisierung selbst im Weg. Diese führt (siehe die exzessive
       Correctness-Kultur in den USA) nicht zu mehr Moralität, sondern begünstigt
       – in einer finsteren Dialektik – den Durchmarsch der Amoralität eines
       Trump. Und sie führt zu [2][Abwehrreflexen] einer stillen, eher
       unpolitischen Mehrheit, die sich aus diesen Diskursen (trotz deren
       ständiger Inklusionsrhetorik) ausgeschlossen fühlt. Viele, da hat der
       Philosoph Julian Nida-Rümelin recht, haben „diese belehrende Kultur der
       Gebildeten“ satt.
       
       Zu gewinnen wären diese vielen hingegen mit einer überzeugenden Verbindung
       aus Werteorientierung und Realismus, einer Art humaner Realpolitik. Wie die
       aussehen könnte, müsste je nach Thema ausbuchstabiert werden, von
       klassischen politischen Feldern wie der Sozialpolitik bis zu
       empörungsintensiven kulturellen Themen: gendergerechte Sprache,
       Antirassismus. Aber selbst dort ließen sich versuchsweise gewisse Linien
       oder Kipppunkte identifizieren.
       
       Dass beispielsweise die aktive Verwendung des verletzenden N-Wortes
       indiskutabel ist, fände zweifellos überwältigende Zustimmung; Unbelehrbare
       stünden rasch allein. Und auch für subtilere [3][Formen der
       Diskriminierung] sind die meisten Menschen sehr wohl sensibilisierbar. Wird
       die Sache dagegen überdreht, etwa durch einen sprachlichen Exorzismus, der
       auch in ältere Texte eingreift, schlägt das Ganze um. Dann werden viele,
       die bis dahin durchaus erreichbar waren, einen ähnlich überdrehten
       Kontra-Affekt entwickeln und das ganze Thema genervt abwehren. Jene
       Unbelehrbaren wiederum reiben sich die Hände: Eben noch als verbohrte
       Minorität wahrgenommen, können sie sich jetzt als Kämpfer fürs
       Mehrheitsempfinden aufspielen. Von dieser politischen Mechanik profitiert
       allein die Rechte. Ein bisschen traurig, ihr wieder und wieder unfreiwillig
       zuzuarbeiten.
       
       Vergleichbares ließe sich auf praktisch jedem anderen Feld
       durchdeklinieren. Entscheidend ist auch gar nicht, wie das Ergebnis dabei
       im Einzelnen aussieht (vielleicht ja anders als eben angedeutet),
       entscheidend ist ein beweglicher Diskurs, der sich wachen Auges seinen Weg
       zwischen Idealen und trägen Wirklichkeiten sucht.
       
       Wird dieser Weg nicht fast immer in einer lauen „Mitte“ münden, kaum eine
       Handbreit vom Mainstream entfernt? Mag sein. Genau damit aber kommt die
       eigentliche Aufgabe in den Blick. Denn diese Mitte ist, historisch gesehen,
       ein bewegliches Ding. Wer vor zweihundert Jahren das forderte, was heute
       demokratischer Standard ist, galt als gefährlicher Extremist. Der Inhalt
       dessen, was konsensfähig und durchsetzungsfähig ist, die „Mitte“, lässt
       sich also verschieben. Radikale, in aller Schärfe vertretene Positionen
       sind in diesem Prozess überaus wichtig; sie leuchten gleichsam den
       inhaltlichen Kosmos aus. Nur müssen auch sie letztlich durch die Mühle der
       öffentlichen Meinungsbildung gehen. Das ist die berühmte
       „Überzeugungsarbeit“. Aus ihr gehen neue Mehrheiten hervor oder auch nicht.
       Das nennt sich Demokratie. Alles andere, so progressiv es sich gebärden
       mag, ist auf verdeckte Weise autoritär.
       
       Werden diese Zusammenhänge nicht verstanden, werden die richtigsten Impulse
       ins Leere laufen. Eine Politik, die als weltfremd und bevormundend erlebt
       wird, ist, gerade in einer Demokratie, chancenlos; schlimmer noch, sie
       diskreditiert auch den Teil der Anliegen, der berechtigt ist und, anders
       angegangen, sogar mehrheitsfähig wäre.
       
       Kurz: Mehr als Brandreden gegen rechts zählt die eigene politische
       Performance. Der viel beschworene Kampf gegen rechts wird links gewonnen –
       oder verloren.
       
       Es gibt, gerade auf der politischen Linken, einen Bedarf an Bescheidenheit.
       Aus inhaltlichen und nicht zuletzt aus taktischen Gründen. Denn gerade
       dort, wo – zu Recht – höhere Ansprüche und politische Ziele formuliert
       werden, ist die Fallhöhe entsprechend groß. Es ist kein Zufall, dass jene
       Kultur der Häme, die die letzten Winkel des Internets flutet, gerade die
       politische Linke als ihr Lieblingsobjekt entdeckt hat. Nie ist das
       Triumphgeheul größer, als wenn sich auch dort persönliche Inkonsequenzen
       und politische Fehlleistungen finden lassen.
       
       Die Antwort darauf erfordert keine heiligengleiche politische Praxis, aber
       doch eine Korrektur im Selbstverständnis. Statt der unterschwelligen
       Suggestion, man habe die richtigen Anschauungen abonniert und die Humanität
       gepachtet, ginge es um die kühlere Ansage: Unsere Politik ist, alles in
       allem, etwas humaner. Das wäre schon ziemlich viel. Heißt das, die
       politische Linke ist, wenn sie in ihren Selbstblockaden steckenbleibt,
       mitverantwortlich für den Aufstieg der Rechten? Ja. Selbstgerechte,
       eindimensionale Moralität ist zu wenig.
       
       11 Sep 2023
       
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