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       # taz.de -- Polizeiausbildungszentrum in den USA: Die Stadt der Polizisten
       
       > Bei Atlanta soll trotz massiver Proteste das größte
       > Polizeiausbildungszentrum der USA entstehen. Der Konflikt zeigt tiefe
       > Uneinigkeit im Land im Umgang mit Polizeigewalt.
       
       Atlanta taz | „Tortuguita“ – kleine Schildkröte – nannte sich Manuel Paez
       Terán. Seine letzten Monate verbrachte der 26-Jährige zusammen mit mehreren
       Dutzend jungen Leuten in Zelten und Baumhäusern in einem Waldstück im
       Südosten von Atlanta. Die Stadt will dort das größte
       Polizeiausbildungszentrum der USA bauen – mit Hubschrauberlandeplatz, mit
       Schießanlage und mit einer Modellstadt, in deren Häusern, Straßen und Bars
       die Polizei den urbanen Nahkampf üben kann. Die Waldverteidiger nennen das
       90-Millionen-Dollar-Projekt „Cop City“ – Bullen-Stadt. Sie wollen es
       verhindern.
       
       Für Tortuguita endete das Unterfangen in einem Kugelhagel der Polizei. Kaum
       war er tot, beschuldigten die Ermittler ihn, einen Polizisten angeschossen
       zu haben. Wenig später veröffentlichten sie auf Twitter das Foto einer auf
       dem Waldboden liegenden Pistole, die Tortuguita benutzt haben soll. Bis die
       Ermittler Mitte April die offizielle Autopsie vorstellten, ließen sie drei
       volle Monate verstreichen.
       
       Die lang erwartete Autopsie zeigt, dass Tortuguitas Körper von mindestens
       57 Kugeln durchsiebt war. Schmauchspuren an seinen Händen oder andere
       Hinweise darauf, dass er selbst geschossen hat, konnten die
       Gerichtsmediziner nicht finden.
       
       „Mein Kind war ein Pazifist“, sagt Belkis Terán, Tortuguitas Mutter, „er
       glaubte nicht an Schusswaffen. Er liebte Bäume.“ Die gebürtige
       Venezolanerin beschreibt das Aufwachsen ihrer drei Söhne als privilegiert.
       Die Familie verbrachte Jahre in Großbritannien, Russland, Ägypten, den USA
       und anderen Ländern, in denen ihr Mann stationiert war, der für einen
       Ölkonzern arbeitete.
       
       Der 18. Januar veränderte das Leben von Belkis Terán schlagartig. Seither
       pendelt die Mutter zwischen ihrem gegenwärtigen Wohnort in Panamá und
       Atlanta. Sie nimmt an Demonstrationen teil. Sie gibt Interviews. Und sie
       verlangt von den Ermittlern Erklärungen für den Tod ihres mittleren Sohnes:
       „Ich habe das Recht, es zu erfahren.“ Aber das Georgia Bureau of
       Information (GBI) mauert. Bislang hat es nicht einmal den Namen des
       Polizisten genannt, den Tortuguita angeschossen haben soll.
       
       Die Polizisten, die Tortuguita bei einer der Razzien in dem Waldstück
       töteten, sollen keine Körperkameras gehabt haben. Aber Kollegen einer
       anderen Einheit, die gleichzeitig den Wald durchkämmten, waren damit
       ausgestattet. Auf ihren Aufzeichnungen vom Morgen des 18. Januar ist zu
       hören, dass der Kugelhagel, in dem Tortuguita umkam, 11 Sekunden dauerte.
       „Ist dies ein Zielschießen?“, fragt ein Polizist in der Aufnahme. Ein
       anderer vermutet laut, dass der angeschossene Polizist von einer
       Polizeikugel getroffen wurde. [1][O-Ton: „Ihr habt euren eigenen Kollegen
       fertiggemacht.“]
       
       An einem Samstagmorgen sitzt Tortuguitas Mutter in einem T-Shirt mit
       Schildkrötenaufdruck in einer Gruppe von Anarchos, Klerikern,
       Umweltschützern und jungen Queer- und Transgender-Aktivisten im
       Schneidersitz auf dem von der Sonne erhitzten Asphalt vor dem Kapitol von
       Atlanta. Zwischen den Sitzenden gehen schwarz gekleidete, von Kopf bis Fuß
       vermummte junge Männer in kugelsicheren Westen und mit geschulterten
       halbautomatischen Waffen auf und ab. Sie sind die Ordner der Demonstration.
       Einer von ihnen begründet das militärisch anmutende Auftreten mit einer
       Drohung der rechtsradikalen [2][Proud Boys], die Demonstration zu stören.
       Eine ältere Demonstrantin macht die Republikaner in Georgia für die
       Schusswaffen verantwortlich.
       
       Gloria Tatum weist mit dem Finger auf das Gebäude unter der vergoldeten
       Kuppel des Kapitols: „Die da drinnen sind es, die das offene Tragen von
       Schusswaffen erlaubt haben.“ Belkis Terán ist in der Demonstration umgeben
       von mehreren Schwarzen Frauen aus Georgia, deren Söhne und Geliebte von der
       Polizei in Atlanta getötet worden sind. Ein Sohn wurde bei einer
       Verkehrskontrolle getötet. Ein anderer, nachdem er verdächtigt wurde, ein
       Mobiltelefon gestohlen zu haben. Einen jungen Mann traf es beim Kiffen auf
       der Sitzbank einer Bahnstation des Nahverkehrsbetriebs Marta in Atlanta.
       
       Allein im letzten Jahr haben Polizisten in Georgia 62 Menschen getötet.
       Mehr als 90 Prozent der verantwortlichen Polizisten sind weder angeklagt
       noch disziplinarisch belangt worden – sie machen ihren Job weiter. Die
       Zunahme von tödlicher Polizeigewalt in den letzten Jahren ist ein
       landesweites Phänomen. 2022 Jahr haben Polizisten in den USA fast 1.200
       Menschen getötet – so viele wie seit 2013 nicht mehr. Afroamerikaner, die
       etwa 13 Prozent der US-Bevölkerung ausmachen, trifft diese Gewalt
       überproportional häufig. [3][Im vergangenen Jahr waren 26 Prozent der
       Polizeiopfer Schwarz.]
       
       „Tortuguita lebt“ und „Stop Cop City“, skandieren die Demonstranten. Wie
       die anderen hält auch Tortuguitas Mutter ihre Hände schützend vor den Kopf.
       Die meisten haben rote Kreuze auf ihre Handrücken gemalt. Eine private
       Autopsie, die im Auftrag der Familie entstanden ist, hat ergeben, dass
       Tortuguita im Schneidersitz mit erhobenen Händen saß, als er erschossen
       wurde. Die roten Kreuze symbolisieren Einschüsse.
       
       Der Tod des Umweltschützers – der erste, den die Polizei in den USA bei
       einer Aktion erschossen hat – gibt der Auseinandersetzung über das „Public
       Safety Training Center“, wie Cop City offiziell heißt, eine zusätzliche
       Dramatik. Aber neu ist die Kontroverse nicht. Sie spaltet die große Stadt
       des Südens seit Jahren.
       
       Als der Stadtrat von Atlanta im September 2021 eine öffentliche Anhörung
       über das Projekt organisierte, beteiligten sich mehr als 1.100 Bürger daran
       – darunter viele, die in den mehrheitlich von Afroamerikanern bewohnten
       Stadtteilen rund um das Waldstück leben. Von den insgesamt 17 Stunden
       langen Wortmeldungen richteten sich 70 Prozent gegen das Projekt. Anwohner
       kritisierten, dass die Schüsse und Sprengungen von dem Übungsgelände bis in
       die Klassenzimmer ihrer Schulen und Kinderzimmer hinein hallen und dass die
       Reste von Sprengstoffen, Schießübungen und simulierten Großbränden und
       ihrer Löschung das Feuchtgebiet um den South River und den benachbarten
       Jackson-See belasten würden. Viele verlangten einen Naherholungspark statt
       eines Polizeiausbildungszentrums. „Im wohlhabenden, weißen Stadtteil
       Buckhead im Norden von Atlanta würde niemand auf die Idee kommen, eine Cop
       City zu bauen“, lautete ein Einwand.
       
       Der militärische Charakter des Projekts stieß auf harte Kritik. Cop City
       wird der Gewalt und dem Rassismus in den Reihen der Polizei zusätzlichen
       Aufschwung geben, befürchten viele.
       
       Nach der öffentlichen Kritik an Cop City stimmte der Stadtrat mit zehn zu
       vier Stimmen für das Projekt. Die Mitglieder des politischen Establishments
       an der Spitze von Atlanta – inklusive Bürgermeister Andre Dickens und
       seiner Amtsvorgängerin Keisha Lance Bottoms, die das
       Polizeiausbildungszentrum auf die Tagesordnung gesetzt hat – sind
       Demokraten. Viele stammen aus Dynastien von Bürgerrechtsaktivisten. Mit den
       erzkonservativen und mehrheitlich weißen Republikanern, die die ländlichen
       Gebiete von Georgia sowie die Regierung des Bundesstaates kontrollieren,
       haben sie wenig gemeinsam. Aber wenn es um das Polizeiausbildungszentrum
       geht, ziehen beide Parteien am selben Strang. Beide argumentieren, dass ein
       neues Ausbildungszentrum die Stadt sicherer mache. Seit Dutzende von
       Anti-Cop-City-Demonstranten verhaftet wurden, sind sich Sprecher beider
       Parteien auch darin einig, dass „Agitatoren von außerhalb“ verantwortlich
       für die Unruhe seien.
       
       Priscilla Grim ist eine dieser „outside agitators“. Am ersten
       Märzwochenende ist die 49-jährige New Yorkerin zu einer Aktionswoche nach
       Atlanta gereist. „Ich glaube nicht, dass wir Cop City brauchen“, sagt sie,
       „wir brauchen Gesundheitsversorgung, wir brauchen Bildung, Wohnungen und
       öffentlichen Nahverkehr.“ Als sich während eines Konzertes während der
       Aktionswoche eine Gruppe von Vermummten absetzte und anderswo im Wald
       Steine und Brandsätze gegen Polizisten und Baufahrzeuge schleuderte,
       reagierte die Polizei mit Wucht. Sie trieb Dutzende Konzertbesucher,
       darunter Priscilla Grim, auf einen Parkplatz. Dort trennte sie
       Ortsansässige und Auswärtige voneinander. Wer eine Adresse in Atlanta
       hatte, durfte gehen, die anderen kamen in Haft.
       
       Am selben Tag erschienen Priscilla Grims Name und ihr Foto auf einer von
       der Polizei veröffentlichten Liste von 23 „gewalttätigen Agitatoren“, gegen
       die wegen „heimischem Terrorismus“ ermittelt wird. Nur einer von ihnen lebt
       in Georgia.
       
       In den folgenden 31 Tagen bekam Priscilla Grim nur alle 12 bis 14 Stunden
       etwas zu essen und musste 24 Stunden am Tag Licht in ihrer Zelle ertragen.
       Als sie am 6. April gegen eine Kaution von 20.000 Dollar freikam, hatte die
       Computerspezialistin ihren Arbeitsplatz an der Fordham-Universität
       verloren. Bei ihrer Jobsuche spürt sie bereits den Makel: „Wer stellt schon
       eine heimische Terroristin ein?“
       
       Bislang ist weder Priscilla Grim noch ein anderer Cop-City-Gegner angeklagt
       und keiner verurteilt worden. Aber trotz der Unschuldsvermutung hat ihre
       Bestrafung begonnen. Eine Cop-City-Gegnerin ist nach ihrer Freilassung von
       der Jurafakultät an der University of North Carolina Chapel Hill verwiesen
       worden. Einer anderen kündigte eine Bank das Konto.
       
       In Georgia wegen heimischem Terrorismus Verurteilten drohen bis zu 35 Jahre
       Gefängnis. Schon als das entsprechende Gesetz 2017 im Kapitol debattiert
       wurde, warnten Bürgerrechtler, es würde die freie Meinungsäußerung
       einschränken. Der Gesetzestext ist vage gefasst. Danach ist ein heimischer
       Terrorist, wer „die kritische Infrastruktur mit dem Ziel beschädigt, die
       Regierungspolitik zu verändern“.
       
       Jetzt, wo das Gesetz zum ersten Mal angewandt wird, sieht Marlon Kautz vom
       „Atlanta Solidarity Fund“ die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet.
       Selbst wenn am Ende kein Cop-City-Gegner wegen heimischem Terrorismus
       verurteilt werden sollte, sorgen bereits die Ermittlungen nach Marlon
       Kautz’ Einschätzung für „politische Einschüchterung“. Zusätzlich entsteht
       eine „enorme Belastung“ für Organisationen wie seine. Der Atlanta
       Solidarity Fund hat die harten Haftbedingungen der Cop-City-Gegner
       öffentlich gemacht, den Inhaftierten Rechtsbeistand geleistet und die
       Kautionszahlungen übernommen. Von manchen Cop-City-Gegnern haben die
       Gerichte mehr als 300.000 Dollar Kaution verlangt.
       
       „Natürlich haben wir Proteste erwartet“, sagt der demokratische Stadtrat
       Michael Bond, „nach den aufsehenerregenden Todesfällen von Afroamerikanern
       durch die Hand der Polizei ist dies der schlechteste mögliche Zeitpunkt, um
       ein neues Polizeiausbildungszentrum zu bauen.“ Aber er hält das Projekt für
       überfällig: weil die Polizei jahrzehntelang „unterfinanziert“ gewesen und
       weil das bisherige Ausbildungszentrum baufällig sei.
       
       Michael Bond ist überzeugt, dass die Mehrheit der Wähler hinter ihm steht.
       Er schließt das daraus, dass er haushoch wiedergewählt worden ist, nachdem
       er für das Projekt gestimmt hat. Er betrachtet die Cop-City-Gegner als eine
       „interneterfahrene Minderheit“, die weiß, wie sie sich Gehör verschaffen
       kann. Über jene, die Molotowcocktails werfen und Fallen im Wald aufgestellt
       haben, sagt der Stadtrat, „das ist nicht der Stil von Atlanta“. Damit meint
       er die Philosophie der Gewaltfreiheit des ermordeten Bürgerrechtlers Martin
       Luther King, dessen Geburtshaus, Kirche und Denkmal heute
       Touristenattraktionen im Zentrum von Atlanta sind.
       
       Einer der führenden Republikaner im Senat von Georgia teilt die
       Einschätzung über die Mehrheitsmeinung. „Die Bürger haben drei
       Prioritäten“, sagt Randy Robertson, „sie wollen Sicherheit, Sauberkeit und
       Zugang zu Transportmitteln haben.“ Der Republikaner, der früher selbst
       Polizist war und der weiterhin an Polizeischulen unterrichtet, nennt das
       Ausbildungszentrum „eine Notwendigkeit, um die Polizei auf den neuesten
       Stand zu bringen. Genau wie der Stadtrat betont er, dass das Zentrum nicht
       nur für die Ausbildung der Polizei, sondern auch der Feuerwehr gedacht ist.
       Für die Waldschützer benutzt der Republikaner den Ausdruck
       „Ökoterroristen“.
       
       Eine Umfrage der Emory-Universität in Atlanta weist in eine andere Richtung
       als die beiden Politiker. Danach sind nur 48 Prozent der Atlantans für Cop
       City. Unter den Afroamerikanern in der Stadt befürworten lediglich 43,5
       Prozent das Projekt.
       
       Anders als der weiße Senator kennt Stadtrat Michael Bond den „Stress“ von
       Polizeibegegnungen aus eigener Erfahrung. Als er in den 80er Jahren
       studierte, hieß es, nur wenige afroamerikanische Männer würden das Alter
       von 25 Jahren erreichen. Heute, als Stadtrat, lobt er einerseits die
       Qualität der Polizeiarbeit in Atlanta – wo die Ausbildung knapp zehn Monate
       dauert und damit ein Vielfaches länger ist als an den meisten Orten der USA
       – und will sie zugleich mithilfe des Polizeiausbildungszentrums verbessern.
       
       In Cop City ist die Stadt Atlanta nur Juniorpartner. Sie will ein Drittel
       der Kosten übernehmen. Für das Gros der Kosten – 60 Millionen Dollar oder
       zwei Drittel – kommt die private Polizeistiftung Atlanta Police Foundation
       (APF) auf. Stadtrat Michael Bond sieht darin kein Problem. Er nennt die APF
       eine „Unterstützungsorganisation“ und bestreitet, dass sie die
       Polizeiausbildung beeinflussen kann. Das Curriculum, sagt er kategorisch,
       „machen wir“.
       
       Die Polizeistiftung APF ist eine gemeinnützige Organisation, deren
       ausschließliches Anliegen die Polizeiarbeit ist. Ausgestattet mit den
       Spenden von Dutzenden von großen Konzernen, die ihren Hauptsitz in Atlanta
       haben (von Coca-Cola über die Bank of America bis hin zu der
       Fluggesellschaft Delta), ist die APF die treibende Kraft hinter Cop City.
       Sie ist eine der finanziell stärksten und eine der ältesten
       Polizeistiftungen in den USA. Ihr Geschäftsführer, Dave Wilkinson, verdient
       besser als der Bürgermeister und als der Polizeichef der Stadt.
       
       Die APF sorgte dafür, dass Atlanta die engmaschigste Kameraüberwachung der
       USA bekam. Im Juni 2020, als in Atlanta der von Polizisten mit
       Rückenschüssen getötete [4][Rayshard Brooks] beerdigt wurde und als quer
       durch die USA Demonstrationen gegen Polizeigewalt stattfanden, zahlte die
       Stiftung jedem der 2.000 Polizisten der Stadt eine Prämie von 500 Dollar.
       Das Geld sollte ihre „Moral heben“.
       
       Der Präsident von Atlantas Zweig der ältesten US-Bürgerrechtsbewegung, die
       National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), ist im
       Prinzip für ein neues Polizeiausbildungszentrum. Richard Rose stört sich
       auch nicht an dem Standort. „Wir haben genug Waldgebiete in Atlanta.“ Aber
       Richard Rose wehrt sich gegen das Geld und den Einfluss der
       Polizeistiftung. „Die APF hat nie die Gewalt der Polizei kritisiert“, sagt
       er: „Wer persönlich nicht von der gegenwärtigen Polizeipraxis betroffen
       ist, wird sie auch nicht ändern.“ In der fortgesetzten Gewalt der Polizei
       sieht der Bürgerrechtler die alte „Sklavenfängermentalität“ aus den
       Anfängen der Landesgeschichte. Die Milizen, die damals nach entflohenen
       Sklaven suchten, waren eine Vorform der heutigen Polizei.
       
       Weil die USA „von allen demokratischen Ländern die schlechteste
       Polizeiarbeit macht“, wünscht sich der 74-jährige Bürgerrechtler eine
       grundsätzlich andere Polizei. Möglicherweise mit neuen Leuten an der
       Spitze, die aus einer anderen Tradition kommen: „Vielleicht Sozialarbeiter,
       oder Psychologen.“
       
       Als Reaktion auf die anhaltenden Proteste gegen das Ausbildungszentrum hat
       Bürgermeister Andre Dickens Ende März eine Task Force einberufen. Die
       Mitglieder hat der Bürgermeister selbst ausgewählt. Anfang Juli sollen sie
       ihm Empfehlungen geben. Ob der Bürgermeister ihren Wünschen folgen wird,
       ist offen. Schon beim ersten Treffen der Task Force Mitte April kommt es
       zum Eklat. Der Vertreter der Bürgerrechtsgruppe ACLU wirft den
       Organisatoren mangelnde Transparenz vor, weil sowohl die Diskussionen als
       auch der Versammlungsort wie eine Geheimsache behandelt werden. Er verlässt
       die Task Force. NAACP-Präsident Richard Rose will vorerst in der Task Force
       bleiben. Er hofft, dass er es in der Task Force schafft, neue Kriterien für
       die Ausbildung von Polizisten zu entwickeln.
       
       Zu solchen Kompromissen mit Stadt, Polizei und Polizeistiftung sind die
       Gegner von Cop City nicht bereit. Viele von ihnen sind in den
       zurückliegenden Jahren für die Abschaffung der Polizei auf die Straße
       gegangen, weil sie sie für nicht reformierbar halten. Andere haben
       verlangt, dass zumindest die finanziellen Mittel für die Polizei gekürzt
       und dass einige ihrer Aufgaben – darunter Einsätze bei psychisch Kranken
       und bei häuslichen Konflikten – in andere Behörden verlagert werden.
       
       Die Gegner von Cop City haben die breiteste oppositionelle Allianz in der
       Geschichte von Atlanta auf die Beine gestellt. Zu ihnen gehören
       Bürgerrechts-, Umweltschutz- und Antirassismusgruppen, Klerikale und
       Angehörige vom linken Flügel der Demokratischen Partei. Die jungen
       Waldverteidiger sind in der Allianz nur eine Minderheit.
       
       „Jeder Polizist in Georgia, der einen unbewaffneten schwarzen Mann
       erschießt, hat eine Ausbildung“, sagt Reverend Keyanna Jones, „wir brauchen
       kein neues Polizeiausbildungszentrum.“ Die 43-jährige Geistliche war eine
       wortgewaltige Cop-City-Kritikerin bei den Anhörungen im Stadtrat. Und sie
       hat ihre Opposition auch in Kirchen, in Bürgerinitiativen und in die Reihen
       der Demokratischen Partei in Atlanta getragen. Keyanna Jones wohnt in der
       Nähe der geplanten Cop City. Sie hat „fünf Schwarze Kinder“, um deren
       Sicherheit sie fürchtet. Und sie betrachtet das Projekt als eine
       Verkörperung all dessen, was in der Polizeikultur der USA nicht stimmt.
       
       Handgemalte Bilder von kleinen Schildkröten weisen den Weg ins Innere der
       Baptistenkirche an der Park Avenue, wenige Häuserblocks vom Kapitol von
       Atlanta entfernt. Auf den Holzbänken im Inneren der Kirche sitzen an diesem
       frühen Abend Hunderte von Atlantans, die keine Cop City wollen – viele
       Frauen, viele Afroamerikaner, viele Kinder, alle Altersgruppen. Es ist eine
       Bürgerversammlung. Aber kein Stadtrat oder anderer gewählter Politiker
       lässt sich blicken. Die afroamerikanische Aktivistin Mary Hooks vergleicht
       die Polizeistiftung APF mit dem rassistischen Geheimbund KKK. „Es geht
       nicht um unsere Sicherheit“, sagt sie, „es geht darum, uns zu
       kontrollieren.“ Kamau Franklin von den Community Movement Builders, einer
       Schwarzen Grassroot-Organisation in Atlanta, bezeichnet Cop City als „Ort,
       an dem Terroristen ausgebildet werden sollen“.
       
       Die Cop-City-Gegner haben dem „Intrenchment Creek Park“ im Südosten von
       Atlanta den Namen zurückgegeben, den er vor der Vertreibung der indigenen
       Muscogee hatte: Weelaunee. Tortuguitas Mutter hat im Weelaunee-Wald die
       Asche ihres Kindes verteilt. Wenig später hat die Polizei bei einer Razzia
       die Waldverteidiger vertrieben und ihre Baumhäuser und Zelte zerstört.
       Seither fallen in dem Wald die Bäume und Bulldozer ebnen das Land ein. Am
       Rand des Waldes stehen Schilder: „Zutritt verboten“.
       
       Die Versammelten in der Baptistenkirche sind überzeugt, dass sie Cop City
       dennoch verhindern können. „Die Opposition dagegen wird ständig breiter“,
       sagt Reverend Keyanna Jones. Auf den Kirchenbänken liegt während der
       Bürgerversammlung ein buntes Flugblatt aus. Es beschreibt die Eröffnung
       eines „Tortuguita-Gemeinschaftszentrums“ im Weelaunee-Wald. An der Stelle,
       wo einst die Polizei Schießen und Nahkampf plante, spielen Kinder im Sand.
       Und Erwachsene blicken auf eine Zeit zurück, in der die Bürger von Atlanta
       den Machtkampf gegen eine Polizeistiftung gewonnen haben, die von
       multinationalen Konzernen finanziert wurde.
       
       9 May 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://theintercept.com/2023/02/09/cop-city-body-camera-footage/
   DIR [2] /Urteil-nach-Sturm-auf-das-Kapitol/!5932450
   DIR [3] https://policeviolencereport.org/
   DIR [4] /Nach-Tod-von-Rayshard-Brooks/!5696229
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
       ## TAGS
       
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