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       # taz.de -- Jelena Ossipowa demonstriert in Russland: „Den Krieg sofort beenden“
       
       > Die 77-jährige Frau protestiert seit einem Jahr in Sankt Petersburg. Sie
       > sagt, sie habe nichts zu verlieren – und kein Geld, um Strafen zu
       > bezahlen.
       
   IMG Bild: „Inzwischen verhaften sie mich nicht mehr.“ Die Allein-Aktivistin Jelena Ossipowa in Sankt Petersburg
       
       Jelena Ossipowas Wohnung in St. Petersburg ist vollgestellt mit Gemälden:
       Porträts, Landschaftsmalerei, vor allem aber Antikriegsplakate. Ossipowa
       ist berühmt in ihrer Stadt, sie protestiert auf den Straßen mit ihren
       Bannern und Plakaten gegen das Putin-Regime und gegen den Krieg. Ende
       Januar wollte die oppositionelle Jabloko-Partei eine Ausstellung mit ihren
       Bildern in der Parteiniederlassung in St. Petersburg zeigen. Einen Tag
       blieb die Schau geöffnet, dann beendete die Polizei sie und konfiszierte
       alle Gemälde.
       
       taz: Frau Ossipowa, protestieren Sie immer noch auf den Straßen von St.
       Petersburg? 
       
       Jelena Ossipowa: Ja. Ich sehe das als meine Lebensaufgabe an. Ich kann
       nicht zu Hause bleiben und nichts tun. Im normalen Leben male ich gerne
       Blumen, Landschaften oder Architektur. Jetzt male ich Antikriegsbanner und
       protestiere gegen den Krieg.
       
       Sie kämpfen seit 21 Jahren gegen das Putin-Regime an, sind immer wieder von
       der Polizei abgeführt oder verhaftet worden … 
       
       … inzwischen verhaften sie mich nicht mehr. Sie nehmen mir meine Plakate
       weg und bringen mich nach Hause. Vor dem russischen Angriffskrieg hat die
       Polizei manchmal noch versucht, mich zu schützen, wenn ich auf der Straße
       protestiert habe. Einige von ihnen sind gute Menschen.
       
       Haben Sie heute Angst, wenn Sie gegen den russischen Angriffskrieg auf die
       Straße gehen? 
       
       Nein, ich habe keine Angst. Was können sie jetzt schon mit mir machen? Ich
       bin alt, gesundheitlich geht es mir nicht gut. Ich habe sowieso kein Geld,
       um die Geldstrafen zu bezahlen, die sie mir aufbrummen. Ich habe nichts
       mehr, nur meine Bilder. Ich bekomme monatlich 6.000 Rubel Rente
       (umgerechnet ca. 75 Euro; d. Red.). Eigentlich sollte sie 12.000 Rubel
       betragen, aber sie zahlen mir nur die Hälfte. Kürzlich konnte ich immerhin
       zwei meiner Bilder verkaufen. Oft aber haben die Leute, die meine Bilder
       mögen und wertschätzen, nicht das Geld, um sie zu bezahlen.
       
       Vor Kurzem haben Sie eine Ausstellung mit Antikriegsplakaten in St.
       Petersburg eröffnet. Einen Tag später wurde sie von der Polizei
       geschlossen, die Kunstwerke wurden beschlagnahmt. Was wirft man Ihnen vor? 
       
       Mein Fall wird gerade untersucht. Sie werden sicher etwas finden, dessen
       ich schuldig bin! Die Polizei hat mich angerufen und nach den Namen der
       Leute gefragt, die mir bei der Organisation der Ausstellung geholfen haben.
       Ich habe sie natürlich nicht verraten.
       
       St. Petersburg war lange ein Zentrum der russischen Opposition – wie viel
       ist davon geblieben? Mit wem stehen Sie in Kontakt? 
       
       Viele Oppositionelle haben das Land verlassen. Andere sind in Haft oder
       tot. Ich hatte zum Beispiel Kontakt zu Olga Smirnowa, der Gründerin der
       Gruppe „Der friedliche Widerstand“. Sie ist im Mai 2022 verhaftet worden
       (ihr drohen 10 Jahre Gefängnis wegen „Diskreditierung der russischen
       Armee“; d. Red.). Jelena Grigorjewa wurde 2019 getötet, sie war eine
       Aktivistin der Antikriegs- und LGBTIQ*-Bewegung. Zu ihr hatte ich eine gute
       Beziehung, manchmal standen wir zusammen mit unseren Plakaten am
       Newski-Prospekt. Die Journalistin und Oppositionspolitikerin Irina Slawina
       aus Nischni Nowgorod war auch eine wichtige Figur, sie hat sich 2020 durch
       Selbstverbrennung das Leben genommen. Es existiert zwar immer noch eine
       innerrussische Opposition, aber die Informationen darüber sind natürlich
       kaum zugänglich.
       
       Wie kann man denn seinen Protest derzeit überhaupt noch äußern? 
       
       Es gibt immer noch einige Formen der Opposition wie Flugblattaktionen und
       Antikriegsgruppen im Internet. Ich hatte auch die Idee, einen meiner
       Slogans auf T-Shirts zu drucken, zum Beispiel: „Wer bleibt noch übrig, wenn
       ihr alle Feinde tötet?“ Wenn viele Menschen diese T-Shirts gleichzeitig auf
       der Straße tragen, können die Behörden ja nicht jeden von ihnen verhaften.
       Ich habe kürzlich einigen jungen Oppositionellen diese Aktion
       vorgeschlagen.
       
       Warum haben Sie nie daran gedacht, ins Exil zu gehen? 
       
       Ich wollte einfach nie aus Russland auswandern. Ich würde mir natürlich
       gern andere Länder ansehen, aber ich möchte mein Heimatland nicht
       verlassen.
       
       Was sind Ihre Gedanken und Wünsche gut ein Jahr nach Beginn des russischen
       Angriffskrieges? 
       
       Russland muss den Krieg sofort beenden und die Armee aus der Ukraine
       abziehen. Ein neuer Präsident muss gewählt werden. Es sollte in Russland
       Gesetz werden, dass ein neuer Präsident nicht für die sowjetischen oder
       russischen Sicherheitsbehörden gearbeitet haben darf. Wir dürfen nie wieder
       dahin kommen, wo wir jetzt sind.
       
       6 Mar 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
   DIR Pavel Filipov
       
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