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       # taz.de -- Angst vor mehr russischen Angriffen: Putins große Show zum Jahrestag
       
       > Die russische Propaganda läuft auf Hochtouren. In der Ukraine fürchtet
       > man Putins Vorliebe für Symbole – und damit eine Großoffensive zum
       > Jahrestag.
       
   IMG Bild: Die Mär vom gerechten Krieg: Putin vor russischen Soldaten, Dezember 2022
       
       Das Mädchen steht stramm vor der russischen Trikolore. „Mein lieber Onkel
       Sascha, du bist bei der militärischen Spezialoperation, du bist so weit von
       zu Hause weg, du tust deine ehrenvolle Pflicht, wir sind stolz auf dich.“
       Irgendjemand hat das Kind im Haus der Kulturen im Dorf Golowino gefilmt,
       knapp 20 Kilometer weiter verläuft die ukrainische Grenze, der Krieg ist
       nah, das Mädchen strahlt in die Kamera.
       
       Sie fährt fort mit dem auswendig gelernten Gedicht im Dienst der russischen
       Kriegspropaganda. Und lässt sich ausstellen. Wie auch andere Kinder und
       Jugendliche, die so ihren „Stolz“ auf „unsere Helden“ ausdrücken. „Wir
       warten nur mit einem Sieg auf euch.“
       
       Die Kremlpartei Einiges Russland lässt zum Jahrestag des russischen
       Überfalls auf die Ukraine – den das Land als „Vertretung eigener
       Interessen“ bezeichnet – Junge und Alte auftreten. „Unseren Helden“ hat sie
       die Aktion genannt, im Russischen verbergen sich im Wort „unser“ die drei
       Buchstaben, mit dem die sogenannte „Spezialoperation“ abgekürzt wird, SWO.
       Der Begriff ist alltäglich geworden, als stünden dahinter nicht Tod und
       Verderben.
       
       Auf Geheiß der Partei sollen die Menschen Ermunterungsrufe für die Armee
       aufnehmen. Es ist eine Ansammlung der offiziellen Floskeln von „Die Kraft
       liegt in der Wahrheit“ bis „Der Sieg wird unser sein“. Manche Frauen und
       Kinder haben sich Uniformen angezogen und posieren so vor der Kamera.
       
       ## Kinder, Frauen, Veteranen im Dienst der Propaganda
       
       Die föderale Jugendagentur nennt ihre Aktion ähnlich: „Unsere Helden“.
       Während der ganzen Woche soll es quer durchs Land allerlei ideologisch
       aufgeladene Veranstaltungen geben: Soldaten, die aus der Ukraine
       zurückgekehrt sind, sollen vor Schulklassen auftreten, manche von ihnen
       sollen offenbar auch mit den Veteranen des Zweiten Weltkriegs
       zusammenkommen, alten, gebrechlichen Männern, für die sich der Staat vor
       allem dann zu interessieren scheint, wenn diese für sein Heldenepos von
       Nutzen sind.
       
       Es soll Graffiti-Kurse für Jugendliche geben, um die Gesichter Gefallener
       zu malen. Schüler sollen Briefe an Soldaten schreiben, Kindergartenkinder
       Bilder malen. Das Moskauer Siegesmuseum stellt Trophäen aus dem Krieg in
       der Ukraine aus und bewirbt diese, als sei das ein einzigartiger Schatz.
       
       Als erfolgreich wird auch die Aktion „Stricksocken“ beworben: Dabei treffen
       sich Frauen in verschiedenen Kultureinrichtungen und stricken Socken für
       ihre Männer, Söhne, Väter – mit einem dicken Z, dem Symbol von Russlands
       Vernichtungskrieg. Auch Kerzen für die Schützengräber sollen her: Die
       Jugendagentur bittet um Metalldosen, Karton und Paraffin.
       
       Das „wichtigste Ereignis“, so die Organisatoren, sei das „feierliche
       Konzert“ im Moskauer Sportstadion Luschniki am Mittwoch. „Für echte
       Patrioten“, heißt es in der Ankündigung. Auch Präsident Wladimir Putin soll
       auftreten.
       
       ## Raketen im Alltag
       
       Putin liebe Symbolik, also sei am 24. Februar jedes Szenario denkbar,
       glauben viele Ukrainer*innen, denen alles andere als nach Feiern zumute
       ist. „Für am wahrscheinlichsten halte ich weitere massive Raketenangriffe“,
       sagt die 25-jährige Olesja aus Kyjiw. Sie ist erst vor Kurzem aus
       Tschechien zurückgekehrt, wo sie die letzten neun Monate verbracht hat.
       
       Die Meinung der jungen Frau ist in Kyjiw weit verbreitet. „Sie sind so
       berechenbar, dass sie durchaus Raketenangriffe starten können, weil sie
       denken, dass uns das erschrecken oder schockieren wird, so wie im
       Morgengrauen vom 24. Februar, vor einem Jahr“, sagt Tatjana, die die ganze
       Zeit seither in Kyjiw verbracht hat. „Aber dieser schreckliche Morgen darf
       sich nicht wiederholen“, fährt die 42-Jährige fort. „Es klingt furchtbar,
       aber in den vergangenen zwölf Monaten sind Raketenangriffe zu einem Teil
       unseres Kriegsalltags geworden.“
       
       Gleichzeitig ist in Kyjiw oft die Meinung zu hören, dass Russland einen
       weiteren Angriffsversuch auf die ukrainische Hauptstadt unternehmen und die
       ukrainische Grenze im Norden des Landes durchbrechen könnte. „Gerade vor
       dem Hintergrund der jüngsten kühnen Äußerungen des belarussischen
       Präsidenten Alexander Lukaschenko gegenüber westlichen Journalisten ist ein
       solcher Versuch nicht auszuschließen“, glaubt Andrei.
       
       „Aber unsere Armee ist im vergangenen Jahr viel schlagkräftiger geworden,
       ja, die gesamte Verteidigung ist stärker geworden, und alle haben die
       Gräultaten noch vor Augen, die die Besatzer in Irpin und Butscha verübt
       haben. Wenn die Russen erneut versuchen, dort einzumarschieren, erwartet
       sie ein Blutbad unserer Jungs“, ist der 27-Jährige überzeugt, der 2017 bis
       2019 im Donbass gekämpft hat.
       
       ## Das schwierigste Jahr
       
       Der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine,
       Oleksi Danilow, hat vor Kurzem erklärt, dass der Kreml „bestimmte Aktionen
       vorbereitet“, weil er „Daten liebt“. „Am 24. Februar möchte Russlands
       Regierung ihren Bürgern von Erfolgen berichten“, glaubt Danilow.
       
       Gleichzeitig erklärte der Verteidigungsminister der Ukraine, Oleksij
       Resnikow, dass sich Russland angesichts der Konzentration seiner Truppen
       entlang der ukrainischen Grenzen auf eine große Offensive vorbereite: „Sie
       kann in zwei Richtungen durchgeführt werden: im Donbass oder im Süden.“
       Auch Präsident Wolodimir Selenski rechnet in naher Zukunft mit
       Veränderungen im Kriegsverlauf.
       
       „Dieses Jahr wird das schwierigste in der Geschichte der unabhängigen
       Ukraine sein. Es gibt das Gefühl, dass am 24. Februar ein neues Jahr für
       die Ukraine beginnt. Wir wollen, dass dieses Jahr ein siegreiches ist. Wir
       glauben daran und tun alles dafür“, sagte er bei einem Briefing am 15.
       Februar.
       
       20 Feb 2023
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Inna Hartwich
   DIR Anastasia Magasowa
       
       ## TAGS
       
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