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       # taz.de -- Straßenhändler in Brasilien: Razzien gegen Camelôs
       
       > Viele in Brasilien sind auf den Straßenhandel angewiesen. Häufige Razzien
       > und Übergriffe durch Sicherheitskräfte machen es ihnen gerade schwer.
       
   IMG Bild: Straßenhändler in Rio de Janeiro
       
       Rio de Janeiro taz | Auf der weltbekannten Promenade des
       [1][Copacabana-Strandes] ist an diesem Nachmittag eigentlich alles wie
       immer. Aus den Touristenbars dröhnt Samba-Musik, und Bettler*innen dösen
       am Rand, während Menschen aller Altersgruppen über den siedend heißen
       Asphalt joggen, walken und skaten. Nur eine Sache ist anders: Im Schatten
       eines Baumes bildet sich eine Menschentraube. Es sind Straßenhändler*innen,
       die heute nicht arbeiten: Sie protestieren. Denn in den letzten Wochen hat
       es zahlreiche Übergriffe durch Sicherheitskräfte gegeben. Kurzzeitig drohte
       die Situation aus dem Ruder zu laufen.
       
       Eine der Demonstrant*innen ist Márcia Cristina Siqueira dos Santos,
       eine große 38-jährige Frau mit kurzen krausen Haaren. Sie reckt ein Schild
       mit einer Aufschrift in die Höhe: „Die Leben von Straßenhändlern zählen.“
       Wütend ist sie, dass am Tag davor schon wieder Mitarbeiter*innen der
       Stadtverwaltung und der städtischen Polizei anrückten und die Waren von
       Kolleg*innen beschlagnahmten. „Wir wollen doch nur in Frieden arbeiten.“
       
       Die Straßenhändler*innen (camelôs) gehören zu Rio de Janeiro wie der
       Karneval, die Eckkneipen mit Plastikstühlen und die malerische
       Hügellandschaft. Von Bierdosen bis Bikinis kann man dort fast alles kaufen.
       Auf Initiative von Bürgermeister [2][Eduardo Paes] gingen die
       Stadtverwaltung und die städtische Polizei in den letzten Wochen rabiat
       gegen Verkäufer*innen vor. Großangelegte, medienwirksam inszenierte
       Razzien. Waren wurden abgenommen, und an einigen Tagen arteten die
       Operationen zu regelrechten Straßenschlachten aus. Die Spuren davon sieht
       man auch noch an diesem Nachmittag: Einige der Demonstrierenden haben
       Wunden am Kopf.
       
       Die Stadtverwaltung argumentiert, die allermeisten Händler*innen würden
       ohne Genehmigungen arbeiten. Und das stimmt. „Wir würden gerne unsere
       Arbeit regularisieren“, schimpft Siqueira. „Aber die Stadtverwaltung setzt
       das nicht um.“ Rund 60.000 Straßenhändler*innen sollen derzeit auf
       eine Registrierung warten. Siqueira verkauft seit vielen Jahren Kleidung
       und Kunsthandwerk am Copacabana-Strand. Sie ist auf das Geld angewiesen,
       denn sie ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern und hat nur wenige
       Jahre die Schulbank gedrückt. Wie so viele Straßenhändler*innen ist
       sie schwarz und Bewohnerin einer Favela.
       
       ## Ein sozialer Aufstieg ist in Brasilien schwierig
       
       Der jüngste Konflikt in Rio de Janeiro spiegelt ein tiefliegendes Problem
       wider. Viele marginalisierte Menschen haben auf dem formellen Arbeitsmarkt
       Brasiliens keine Chance. Ein sozialer Aufstieg ist aufgrund des schlechten
       öffentlichen Bildungssystems schwierig. Fensterlose Klassenzimmer mit mehr
       als 40 Schüler*innen und völlig unterbezahlten Lehrer*innen sind
       keine Seltenheit. [3][Die Angriffe des rechtsextremen Ex-Präsidenten Jair
       Bolsonaro auf den Bildungssektor] haben die Situation noch zusätzlich
       verschärft.
       
       Millionen Brasilianer*innen sind darauf angewiesen, Süßigkeiten am
       Straßenrand zu verkaufen oder unangemeldete Gelegenheitsjobs zu erledigen.
       In ganz Brasilien arbeiten 40 Prozent der Bevölkerung informell. Rio de
       Janeiro ist der Bundesstaat mit der höchsten Rate. Viele hoffen nun auf den
       neuen Präsidenten Luiz Inácio „Lula“ da Silva. Im Wahlkampf übergaben
       Händler*innen einen Brief mit Forderungen an den ehemaligen
       Gewerkschaftsführer. Und Lula versprach, sich für sie einzusetzen.
       Allerdings: Viel wird auf städtischer Ebene entschieden.
       
       Beim Protest am Copacabana-Strand wuselt eine kleine Frau in knallorangenem
       T-Shirt umher. Es ist Maria de Lourdes, 48 Jahre, seit mehr als einem
       Vierteljahrhundert Straßenhändlerin. Heute ist sie die Vorsitzende einer
       Vereinigung von Straßenhändler*innen in Rio de Janeiro. Sie glaubt:
       Wenn sie und ihre Kolleg*innen keine Waren mehr verkaufen, landen sie in
       der Obdachlosigkeit. „Rio de Janeiro ist nur wundervoll für diejenigen, die
       Geld haben.“
       
       10 Feb 2023
       
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   DIR Niklas Franzen
       
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