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       # taz.de -- Als Jesus an Weihnachten zu uns kam: Integration bis zum Abwinken
       
       > Auch bei uns gab es einen Tannenbaum, obwohl wir im Türkischen kaum
       > passende Lieder haben. Am Anfang war alles ganz nett. Doch dann bekam ich
       > Angst.
       
   IMG Bild: Wenn Jesus leibhaftig wird: Probe im Passionsspielhaus Oberammergau für die Passionsspiele 2020
       
       Nachdem ich mit meiner Familie vergangenes Jahr zu Weihnachten bei meinem
       Kumpel Hans eingeladen war, bestanden meine Kinder darauf, dass wir dieses
       Jahr auch Weihnachten mit einem Tannenbaum feiern. Gut, dachte ich. Im
       gewissen Sinne würde ich damit meinen Teil zur Integration beisteuern, so
       wie es sich Politiker doch wünschen.
       
       Zahlreiche Freunde waren gekommen, um mitzuerleben, wie wir das Fest
       begehen. Alle standen um den Tannenbaum herum. Da es im Türkischen für den
       Anlass kaum passende Lieder gibt, sangen wir gemeinsam „O Tannenbaum“.
       
       Mein Freund Ali sagte: „Osman, bist du wahnsinnig geworden? Die
       [1][Christen] stellen doch den Tannenbaum auf, damit Jesus kommt! Was
       willst du machen, wenn er wirklich kommt? Ich schwöre dir, dieser Jesus ist
       so mächtig, der macht selbst dich zu einem Christen!“
       
       Bei Allah, das hatte ich nicht gewusst! Auf einmal bekam ich fürchterliche
       Angst und stotterte: „Auf der ganzen Welt warten Millionen auf ihn, wieso
       sollte er ausgerechnet zu uns kommen?“
       
       „Osman, er wird extra zu dir kommen, um aus einem [2][Moslem] noch einen
       Christ zu machen.“
       
       Am liebsten hätte ich den Tannenbaum sofort aus dem Fenster geworfen. Im
       Prinzip habe ich nichts gegen ein bisschen Integration, aber Christ will
       ich nicht werden. Doch mir wurde in dieser Sekunde mit Schrecken klar, dass
       mich nichts mehr retten kann: Plötzlich sah ich einen Schatten aus der
       Zimmerecke hervortreten. Bei Allah, Ali hatte recht: Jesus war da!
       
       Er sah genauso aus wie auf den Bildern. Ein Langhaariger mit Bart, der sich
       in ein Bettlaken eingehüllt hatte. Trotz der Kälte lief er mit Sandalen
       herum. Außerdem schleppte er noch alte Dachbalken auf dem Rücken mit sich.
       
       Die Türken gelten zwar als gastfreundlich, aber ich wusste nicht, wie ich
       mich Jesus gegenüber verhalten soll. Ich konnte ihm doch keinen Döner
       anbieten! Mit zitternder Stimme sagte ich zu ihm: „Lieber Herr Jesus, ich
       freue mich über ihren Besuch. Aber ich möchte heute kein Christ werden.“
       
       Mein Gast hob die Balken hoch und rief: „Das ist auch nicht nötig, mein
       Sohn! Ich freue mich aber sehr, dass auch die Türken in Deutschland an
       meinem Geburtstag mitfeiern. Wir sind alle Gottes Kinder! Die Menschen
       sollten auch endlich lernen, ohne Kriege auszukommen!“
       
       „Aber lieber Herr Jesus, an den vielen Kriegen bin ich wirklich nicht
       schuld!“
       
       „Ich weiß, mein Sohn, aber ich will dich nicht länger mit meinen Sorgen
       behelligen. Kannst du mir bitte helfen, diese Balken durch das Treppenhaus
       hinunterzutragen? Dieser moderne soziale Wohnungsbau ist nicht
       kreuzgerecht!“
       
       Plötzlich rüttelte jemand an meinen Schultern und ich hörte die Stimme
       meiner Frau Eminanim: „Osman, schläfst du etwa schon wieder?“
       
       28 Dec 2022
       
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