URI:
       # taz.de -- Kölner Baustellen breiten sich aus: Der große Bauzaunreigen
       
       > Aus den Ruinen des jüdischen Viertels vor dem historischen Kölner Rathaus
       > soll eine archäologische Zone werden. Nur dauert deren Bau schon 15
       > Jahre.
       
   IMG Bild: Planen, nicht als Planen. Was da wohl drunter ist?
       
       Köln taz | Irgendwie war dieser Ort schon immer komisch: ein unwürdig
       asphaltierter 1950er-Jahre-Parkplatz, gelegen vor dem [1][historischen
       Kölner Rathaus] mit seiner fantastisch erlesenen Renaissance-Laube. Dazu,
       unmotiviert an einer Ecke des Parkplatzes, ein ausgemauertes Loch mit
       kleinem Treppchen, das circa fünf Meter nach unten zu einem kleinen Podest
       führt.
       
       Viele Jahre, während ich dort wohnte, habe ich mich gefragt, was das ist.
       Irgendwann erfuhr ich: Der „Podest“ war mal ein Bassin und das Ganze die
       Mikwe, ein jüdisches Ritualbad. Da konnte jeder drin rumturnen, Abfälle
       reinwerfen, es entweihen.
       
       Ende der 1980er Jahre kam dann eine Glaspyramide drauf. Damit war klar, es
       war bedeutend, trotzdem: Warum diese Merkwürdigkeit allein auf weiter Flut?
       Ein Ritualort in der Kölner Innenstadt, einfach so?
       
       ## Unter dem Schutz der Erzbischöfe
       
       Nein, so war es natürlich nicht. Auf diesem Platz zwischen Fußgängerzone
       und Altstadt liegt das besterhaltene jüdische Viertel des Mittelalters mit
       einer der ältesten bekannten Synagogen. Seit dem Jahr 321 residierten
       JüdInnen in Köln, wohl unter dem Schutz der Erzbischöfe. 1424, nach
       Pestausbrüchen und mehreren Pogromen, wurde die jüdische Bevölkerung
       ausgewiesen.
       
       Bis dato war das jüdische Viertel aber etwas Besonderes, wurde – ein
       seltener Fall – nachts nicht verschlossen. Warum? Aus Bequemlichkeit. Es
       lag ja direkt vorm damaligen Rathauseingang, und die Ratsherrn wollten nach
       ihren Sitzungen nächtens keinen Umweg in die Kneipe oder nach Hause nehmen,
       sondern liefen quer über den Platz. Ein typisch rheinischer Mix aus
       Pragmatismus und „Fünfe gerade sein lassen“.
       
       ## Archäologen fanden mehr
       
       Um diese ganze Vorgeschichte wussten Kölner Archäologen schon lange. Seit
       2007 gruben sie, fanden immer mehr, sogar Mauern aus der Römerzeit. Das
       Grabungsfeld wurde immer größer, reichte an das längst ausgegrabene
       Praetorium heran, den einstigen Sitz der römischen Statthalter der Kolonie
       (Colonia) Köln.
       
       Und während man so vor sich hingrub, keimte eine Idee: Eine große
       „Archäologische Zone“ wollte man aus dem Areal machen, mit Rundgang und
       jüdischem Museum. Gut, der Platz würde dann zugebaut, der Blick aufs
       historische Rathaus verbaut, aber sei’s drum.
       
       Und wie um schon mal einen Vorgeschmack auf die Nicht-mehr-Sichtbarkeit von
       Platz und Umgebungsbauten zu bieten, deckte man das ganze Areal mit Planen
       ab, zog Bauzäune drumrum. Für die Übergangszeit würde man also weder die
       weltberühmte Rathaus-Laube noch das Praetorium besichtigen können.
       
       Aber was heißt Übergangszeit: Seit 15 Jahren ist der Kölner Rathausplatz
       jetzt ein Un-Ort, und weder ZivilistInnen noch JournalistInnen können die
       Baustelle derzeit [2][besichtigen]. Mit dem Argument, ein solcher Rundgang
       verzögere den Baufortschritt, werden entsprechende Anfragen abschlägig
       beschieden.
       
       Dabei hat sich der Bau nicht um Tage, sondern – zum großen öffentlichen
       Unmut – um Jahre verzögert. Statt 2021 soll das Areal mit dem handlichen
       Titel „MiQua – LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln“ nun
       wohl 2023 eröffnen. Das unter anderem deshalb, weil sich der gemeinnützige
       Verein zur Förderung des Museums 2009 zurückzog und man neu (und kleiner)
       planen musste.
       
       Und damit es nicht langweilig wird, hat man daneben ein zweites großes
       Bauzaun-Areal geschaffen. Dieser Zaun ist nicht adrett hellbraun wie auf
       dem Rathausplatz, sondern grellrot, ansonsten gleichen sich Bilder und
       Geschichten: Hier soll der Erweiterungsanbau des
       [3][Wallraf-Richartz-Museums] entstehen. Den hatte die Stadt dem
       Sammlerehepaar Corboud 2001 „in Aussicht gestellt“ im Gegenzug für „auf
       ewig geliehene“ Impressionisten-Gemälde.
       
       ## Baustelle auf hohlem Boden
       
       2013 wurde der Architekten-Siegerentwurf präsentiert, eine Baustelle
       eingerichtet. Aber Luftaufnahmen zeigen: Bis heute steht hinter dem Bauzaun
       kein Stein. Inzwischen verstarb der Stifter, und seine Witwe hat erst
       gedroht und dann begonnen, Gemälde zurückzuziehen.
       
       Die Stadt „entdeckte“ daraufhin sehr kurzfristig, dass Hohlräume im Boden
       den Anbau gefährden und man ganz neu planen muss. Dabei ist die instabile
       Bodenbeschaffenheit längs des Rheinufers gut bekannt. Lange vor dem
       Einsturz des Kölner Stadtarchivs infolge eines U-Bahn-Baus hatten Geologen
       vor dieser Gefahr gewarnt.
       
       Ach, vielleicht sollte man sich das Ganze einfach schöntrinken im „Ech
       Kölsch“ gegenüber. Mit Blick auf das schöne alte Farina-Haus. Dort wurde
       seit 1723 das „Eau de Cologne“ hergestellt. Heute ist es ein Duftmuseum.
       
       17 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.stadt-koeln.de/artikel/06215/index.html
   DIR [2] /Juedisches-Leben-in-Koeln/!5748613
   DIR [3] /Ausstellung-mit-125-Van-Gogh-Bildern/!5077485
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Petra Schellen
       
       ## TAGS
       
   DIR wochentaz
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Köln
   DIR Archäologie
   DIR wochentaz
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR wochentaz
   DIR wochentaz
   DIR Köln
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kunstaktion mit Nachwirkungen: Auto-Engel über den Dächern
       
       Es ist ein „poetisches Ärgernis“: Seit über 30 Jahren thront HA Schults
       „Flügelauto“ auf dem Kölner Zeughaus-Turm.
       
   DIR Geschichtsträchtige Kapelle: Werner hängt hier nicht mehr
       
       Die Mutter-Rosa-Kapelle in Oberwesel hieß bis vor 15 Jahren
       „Wernerkapelle“. Ihr Altarbild zeigte einen Schutzpatron der
       Judenverfolgung.
       
   DIR Neue Töne in altem Klostergemäuer: Klosterimmobilie für einen Euro
       
       Das frühere Kloster Weißenohe bei Nürnberg stand 2008 vor dem Verkauf an
       Neonazis. Das wurde verhindert. Eine Chorakademie soll bald einziehen.
       
   DIR Nach Elefant benannter Weg: Ein tierisch irritierender Name
       
       In Frankfurt trägt ein Pfad den Namen der Elefantin Baroda. Sie war mal
       beliebt in der Stadt, lebte später aber in Hamburg, wo sie starb.
       
   DIR Jüdisches Leben in Köln: Acht Meter tief Geschichte
       
       In Köln schaufeln derzeit Archäologen das alte Judenviertel aus. Ein Besuch
       in der wohl spannendsten Grube der Republik.
       
   DIR Kölner Kulturprojekt: Jüdisches Museum auf der Kippe
       
       Die Gründung einer Stiftung, die das Museum finanzieren soll, wird immer
       mehr verzögert. Der Kölner Stadtrat findet das Museum gut, will aber nicht
       einspringen.