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       # taz.de -- Waldschutz-Expertin über Lieferketten: „In Supermärkten landet Urwaldholz“
       
       > Die EU verhandelt über ein Waldschutzgesetz. Gesche Jürgens von
       > Greenpeace erklärt, welche Verwässerungen sie durch die Holzlobby
       > fürchtet.
       
   IMG Bild: Finnland lobbyiert in der EU für die Forstwirtschaft, hier ein Harvester im Südwesten des Landes
       
       taz: Frau Jürgens, gerade haben [1][Greenpeace-Aktivist:innen einen
       Frachter im Lübecker Hafen geentert]. Warum?
       
       Gesche Jürgens: Dieser Frachter hat eine Ladung Papierrollen aus Schweden
       und Finnland gebracht. Eine Untersuchung von Greenpeace hat herausgefunden,
       dass in deutschen Supermärkten Holz aus finnischen Urwäldern landet, etwa
       in Einweg-Verpackungen. Das ist ein Skandal. Wir müssten Wälder viel mehr
       wachsen lassen, auch als Verbündete im Kampf gegen die Klimakrise – doch
       weltweit passiert das Gegenteil. Das zeigt, dass wir ein starkes
       EU-Waldschutzgesetz brauchen.
       
       Genau so ein Gesetz soll es ja geben, am Mittwoch haben das EU-Parlament
       und die zuständigen Minister:innen der EU-Regierungen schon mal darüber
       verhandelt. Was soll da passieren?
       
       Die EU arbeitet an einem neuen Gesetz mit dem Ziel, dass nur noch Produkte
       auf den Markt gebracht werden, die nachweislich nicht zur Waldschädigung
       beigetragen haben. Das ist sehr gut, denn wir haben lange genug versucht,
       Waldschutz mit freiwilligen Maßnahmen zu erreichen, und festgestellt: Es
       braucht ein Gesetz. Nun kommt es darauf an, dass das Gesetz nicht von der
       Holz- und Agrarlobby abgeschwächt wird.
       
       Was sind denn die Streitpunkte? 
       
       Zum Beispiel, welche Produkte mit dem Gesetz reguliert werden. Im Vorschlag
       der EU-Kommission sind zwar Rindfleisch, Holz, Palmöl und Kaffee erfasst –
       Kautschuk, Mais und Hühner- und Schweinefleisch fehlen jedoch. Und das
       EU-Parlament möchte [2][im Gegensatz zur Kommission und zum
       EU-Minister:innenrat] auch „andere bewaldete Gebiete“ abdecken, den
       Finanzsektor mit in die Pflicht nehmen, Menschenrechte schützen und
       strengere Kontrollen festschreiben.
       
       Wie würde sich das Gesetz auf europäische Wälder auswirken? 
       
       Das hängt von den Verhandlungen ab. Finnland und Schweden lobbyieren dafür,
       dass nur Urwälder erfasst werden. Das sind in Europa aber weniger als drei
       Prozent. Zudem versuchen Sie zu verhindern, dass auch Waldschädigung durch
       Forstwirtschaft berücksichtigt wird. So würde sich die EU aus der
       Verantwortung stehlen. Hier braucht es eine starke Gegenstimme der
       deutschen Regierung.
       
       Kann dieses Gesetz, das ja bei den Lieferketten ansetzt, überhaupt etwas
       anderes werden als ein Papiertiger? 
       
       Das ist tatsächlich eine Gefahr. Wenn das Gesetz zu schwach wird, dann
       wachsen einfach die Corporate-Social-Responsibility-Abteilungen der
       Konzerne und sonst ändert sich nicht viel. Wenn jedoch die konsequenteren
       Vorschläge des EU-Parlaments in die finale Version des Gesetzes kommen,
       dann ist es eine echte Chance für die Wälder weltweit.
       
       Wäre es nicht sinnvoller, das Thema im Rahmen des Lieferkettengesetzes zu
       behandeln? 
       
       Theoretisch ja, praktisch nein. Es kann für Unternehmen tatsächlich ein
       Problem sein, wenn es für ähnliche Themen unterschiedliche Regulierungen
       gibt und niemand so genau sagen kann, wie diese zusammenpassen. Doch der
       Fokus des [3][Lieferkettengesetzes] sind Menschenrechte. Umweltaspekte
       kommen dort leider nur am Rande vor.
       
       Werden die betroffenen Produkte teurer, wenn das Gesetz funktioniert? 
       
       Das kann man nicht so allgemein sagen. Die Produktionskosten machen oft nur
       einen Bruchteil des Ladenpreises aus. Derzeit sind die Produkte, die
       Mensch, Tier und Natur respektieren, leider meist die teuersten im Laden.
       Das ist ein Fehler im System.
       
       Aber es wird doch weniger Holz auf dem Markt geben, wenn weniger Bäume
       gefällt werden? 
       
       Das stimmt. Beim Holz ist darum das Wichtigste, dass wir aufhören, diesen
       wertvollen Rohstoff zu verschwenden. Vor allem für Einwegprodukte wie
       Verpackungen oder Werbeprospekte. Und dass wir aufhören, [4][frisches Holz
       aus dem Wald zu verbrennen], um Energie zu produzieren. Jetzt wird in
       Deutschland darüber gesprochen, die Kohlekraftwerke auf Holz umzurüsten.
       Ich hoffe, wir können das verhindern.
       
       Korrekturhinweis: In einer früheren Version hatten wir Frau Jürgens falsch
       zitiert und geschrieben „Wir müssten Wälder aufforsten und pflegen“. Das
       haben wir korrigiert und schreiben nun: „Wir müssten Wälder viel mehr
       wachsen lassen“.
       
       10 Nov 2022
       
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