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       # taz.de -- Dominator bei der Spanienrundfahrt: Attacken mit Verstand
       
       > Der Belgier Remco Evenepoel zeigt bei der Vuelta seine vielfach
       > gepriesenen Qualitäten. Angst bereiten ihm nur die Coronafälle unter den
       > Fahrern.
       
   IMG Bild: Ausgeprägte Beinkraft: Evenepoel kann sein Potential wieder ausschöpfen
       
       Remco Evenepoel fürchtet bei der Vuelta a España nicht mehr die Konkurrenz.
       Etwas anderes macht ihm Sorgen. Er forderte die Organisatoren auf, im
       Zielbereich so wenig Menschen wie möglich zuzulassen. Abgänge
       corona-erkrankter Fahrer reduzierten in den letzten Tagen das Peloton.
       Selbst seine Freundin trifft er nur im Freien und mit Abstand, versicherte
       er.
       
       Auf dem Rad ist Remco Evenepoel derzeit sehr überzeugend. Das rote Trikot
       scheint festgewachsen auf seinen Schultern. Er holte es sich auf der 6.
       Etappe mit einer beeindruckenden Tempofahrt im Baskenland. Dabei wies er
       den Dreifachgewinner der Vuelta, [1][den Favoriten Primoz Roglic], in die
       Schranken. Er scheint mit der Konkurrenz zu spielen, distanzierte Roglic
       auf der 9. Etappe erneut und wurde zudem den bis dahin ärgsten Verfolger,
       Enric Mas, los.
       
       Den Spanier demütigte er schließlich beim Zeitfahren. Er kam, obwohl zwei
       Minuten später gestartet, bis auf Sichtweite an Mas heran. Roglic, immerhin
       Olympiasieger im Zeitfahren, nahm er 48 Sekunden ab. „Phänomenal“,
       „gigantisch“, „absolut niederschmetternd“ – so lauten die Attribute, mit
       denen ihn die heimische Presse derzeit bedenkt. Evenepoel, der erst mit 17
       Jahren dem Fußball ade sagte und sich ganz auf den Radsport zu
       konzentrieren begann, ist auf dem besten Wege, die hohen Erwartungen an ihn
       zu erfüllen.
       
       Als er im Jahr 2018 bei Nachwuchsrennen 18 Tagessiege bei 27 Renntagen
       holte und in der Saison darauf im zarten Alter von 19 Jahren den
       hammerharten Eintagesklassiker in San Sebastián vor der versammelten
       Weltelite der Erwachsenen gewann, verglich man ihn in Belgien bereits mit
       Radsportlegende Eddy Merckx. Der Altmeister setzte noch einen drauf, und
       sagte: „Er kann noch besser werden als ich.“
       
       ## Probleme nach schlimmem Sturz
       
       Der Youngster, dessen Selbstbewusstsein so stark ausgeprägt zu sein scheint
       wie seine Beinkraft, nahm dies als Bestätigung. Der rasante Aufstieg wurde
       jedoch im August 2020 mit einem schlimmen Sturz bei der Lombardei-Rundfahrt
       unterbrochen. Acht Monate dauerte die Wettkampfpause. Das Comeback beim
       Giro d’Italia 2021 ging dann schief. Zehn Tage hielt er mit den Besten mit.
       Dann kam die Schotterpistenetappe nach Montalcino – und die
       Klassementträume waren ausgeträumt. Dem Quereinsteiger in den Radsport
       fehlte es damals an technischen Fähigkeiten auf dem Rad bei
       Schotteruntergrund. Aber auch die Kräfte reichten nicht. Vorzeitig brach er
       sein Grand-Tour-Debüt ab.
       
       Wegen all dieser Malaisen sieht Evenepoel [2][nun diese Vuelta] als seine
       erste „richtige“ Grand Tour an. Das ganze Jahr hat er sich darauf
       vorbereitet. Im Frühjahr zeigte er beim Klassiker Lüttich – Bastogne –
       Lüttich, dass er in guten Tagen dem Feld tatsächlich so weit enteilen kann
       wie einst Eddy Merckx. Kurz vor der Vuelta wiederholte er in San Sebastián
       dieses Kunststück. Und bei der Vuelta knüpft er daran an.
       
       Sehr aggressiv bestritt er die ersten anderthalb Wochen. Damit liegt er im
       Plan. Bis einschließlich des Zeitfahrens in Alicante am Dienstag wollte er
       einen Vorsprung herausfahren – und den dann bis nach Madrid verteidigen.
       Das kündigte er beim Vuelta-Start schon an. Und bestätigte jetzt erneut das
       Vorhaben. „In den nächsten Tagen will ich anders fahren. Ich habe mir genau
       angesehen, [3][wie Jonas Vingegaard die Tour de France gewonnen hat.] An
       Tagen, an denen es Sinn machte, hat er attackiert. Dann aber ist er sehr
       defensiv gefahren. Es ist leichter, drei Minuten Vorsprung zu verteidigen
       als drei Minuten aufzuholen“, sagte er.
       
       Selbst weiß er freilich auch noch nicht, wie stark er am Ende von drei
       Wochen ist. Beim Giro 2021 stieg er nach 17 Tagen, noch vor den letzten und
       entscheidenden Bergen, aus. Allerdings scheint die Konkurrenz, in
       allererster Linie Mas und Roglic, aktuell nicht in der Lage zu sein, großen
       Druck auf den Führenden auszuüben.
       
       Dessen größte Sorge gilt daher auch Corona. Er kritisierte, dass im
       Zielbereich des Zeitfahrens kaum ein Zuschauer eine Maske trug und forderte
       von den Organisatoren strengere Maßnahmen. „So wenig Menschen wie möglich
       in der Ankunftszone, lasst ab 5 km vor dem Ziel niemanden durch. Das ist
       die einzige Option“, sagte er der Tageszeitung Het Laatste Nieuws. Der
       Jungstar, der sonst das Bad in der Menge so liebt, will auf dem Wege zu
       seinem bislang größten Triumph am liebsten ganz allein sein. Paradoxe
       Radsportwelt.
       
       1 Sep 2022
       
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