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       # taz.de -- Frauenrechte im Nahen Osten: Das bisschen Wind im Haar
       
       > Kopftuch weg und dann wird alles gut? Die Protestaktionen der
       > iranischstämmigen US-Aktivistin Masih Alinejad stehen für westliche
       > Ideologien.
       
   IMG Bild: Szene aus dem Film „Mit wehenden Haaren gegen die Mullahs“
       
       Mit wehenden Haaren gegen die Mullahs“ heißt die ARD-Dokumentation über die
       iranisch-amerikanische Aktivistin Masih Alinejad, die am Mittwoch, den 10.
       August erschienen ist. Alinejad unterstützt aus dem Exil Proteste, bei
       denen Frauen im Iran das Kopftuch ablegen. Als ob das Abnehmen eines
       Kleidungsstückes aus Protest den Weg zur Gleichberechtigung und dem Schutz
       von Frauen ebnen könnte.
       
       Alinejad ermutigt Frauen im Iran, den [1][Hidschab] abzulegen und davon ein
       Video zu drehen. Die Videos stellt sie auf ihre Kanäle in den sozialen
       Medien, in denen ihr über sieben Millionen Menschen folgen. Ende Juli stand
       dann ein Auftragsmörder vor ihrem Haus in New York – mit einer geladenen
       AK-47 im Auto. Das FBI verhaftete ihn und fand heraus: Er war für den
       iranischen Geheimdienst unterwegs. Danach sagte Alinejad dem Fernsehsender
       CNN: „Ich dachte mir: Okay, ich bin sicher, endlich kann ich meine Freiheit
       in Amerika genießen, um den stimmlosen Menschen im Iran eine Stimme zu
       geben.“ Als ob Frauen noch eine Stimme bräuchten, die statt ihnen für sie
       spricht.
       
       Alinejad bedient in ihren Äußerungen die Erzählung, dass Frauen vom
       Kopftuch und damit vom Islam befreit werden müssten – und die USA als Land
       der Demokratie und Freiheit sie retten könne. Die Vorstellung des Kopftuchs
       als Gradmesser von Freiheit wurde vom Westen erst populär gemacht. Und sie
       ist verdammt gefährlich.
       
       Die Idee, dass weiße Männer Frauen of Color vor Männern of Color schützen
       können, stammt aus der Kolonialzeit: Mitten im algerischen
       Unabhängigkeitskrieg, im Mai 1958, startete das französische Militär eine
       Kampagne zur „Befreiung“ der algerischen muslimischen Frauen. Auf
       öffentlichen Plätzen in Algier wurden Frauen zusammengetrommelt, die
       medienwirksam ihr weißes Kopftuch, das Haik abnahmen und es verbrannten.
       Das Ganze wurde als spontaner Befreiungsakt inszeniert – tatsächlich aber
       waren die Frauen nicht freiwillig da, viele von ihnen wurden mit
       Armeelastwagen aus den Dörfern in die Stadt transportiert. Die
       „Emanzipationskampagne“ war der letzte klägliche Versuch der Kolonialmacht,
       zu zeigen, Frankreich könne das „rückständige“ Algerien „modernisieren“.
       
       In Wirklichkeit hatte das französische Militär Frauen während des
       Algerienkriegs eingesperrt, missbraucht und gefoltert. Einige Frauen
       gehörten der Befreiungsfront FLN an, versteckten Nachrichten oder Waffen
       unter ihren Gewändern. Deshalb versuchte die Kolonialmacht, sie zu
       „enthüllen“.
       
       Die Verbindung zwischen Terrorismus und Verhüllung fand ihren Höhepunkt in
       den USA mit den Anschlägen vom 11. September 2001. Muslimische Frauen aus
       den Händen von Terroristen zu befreien, diente der Bush-Administration als
       Legitimation für die Invasion in [2][Afghanistan]. Und weil Lügen um
       Massenvernichtungswaffen nicht reichten, um einen Angriff auf den Irak zu
       starten, wollte man Frauen aus den barbarischen Händen von Saddam Hussein
       befreien und für sie Schulen bauen – dabei waren die Frauen dort durch
       vorherigen „Staatsfeminismus“ besser gebildet als ihre Nachbarinnen.
       
       ## Fokus auf plakative Anliegen in fernen Regionen
       
       Frauen im Iran können nicht genießen, wie ihnen der Wind durch die Haare
       weht! Frauen im Iran dürfen nicht tanzen! Klar, dass auch konservative,
       rechte Medien auf den Diskurs aufspringen. Schaut, wie die Mullahs ihre
       Frauen unterdrücken! Dabei lassen sie gerne unerwähnt, dass auch Männer
       einem Kleidungszwang im [3][Iran] unterlegen sind: Auch sie sollen ihre
       Knie und Schultern verdecken.
       
       In den USA tanzt Alinejad mit offenen Haaren zur Musik einer Jazzband auf
       der Straße – fruchtbarer Boden für ihre Narrative. Statt komplexe Themen zu
       Hause anzugehen, fokussierten sich amerikanische Feminist*innen in den
       1990ern auf plakative Anliegen in entfernten Regionen: Kopftuchzwang,
       Genitalverstümmelung, Femizide. Damit erhielten sie Mitsprache in größeren
       politischen Diskussionen über die Rolle der USA als Verfechterin der
       Humanität.
       
       Problematisch ist auch, dass der Diskurs einen Gegendiskurs schafft. Auch
       das zeigt die Geschichte: Als Reaktion auf die Kolonialmacht Frankreich
       konzipierten die algerischen Nationalisten das Haik als symbolischen Ort
       der Tradition, der Kultur und des Widerstands. Der Schleier und der
       weibliche Körper wurden zu einem regelrechten Schlachtfeld. Heute wird das
       Kleidungsstück entweder als Objekt der Frauenunterdrückung verurteilt oder
       als Symbol der Emanzipation von westlichen Idealen gefeiert. Auch diese
       Spaltung und Ideologisierung hilft den Frauen nicht.
       
       Alinejads Idee ist, das Ablegen des Kopftuchs „erschüttere das Regime in
       seinen Grundfesten“. Wer käme in Deutschland auf die Idee, Nonnen zu
       ermuntern, ihr Kopftuch abzulegen – und so gegen das Patriarchat der Kirche
       zu kämpfen? Und selbst wenn sie es täten, würde es einen Unterschied
       machen? Könnten Frauen dann katholische Priesterinnen werden, mit gleicher
       Bezahlung und Ausstrahlung auf die ganze Gesellschaft?
       
       Frauenkörper dienen der Politisierung, überall. Frauen werden zur
       Projektionsfläche von Ängsten und Hass. Ungerechtigkeit in anderen Ländern
       anzuprangern ist einfacher, als die eigenen Missstände anzugehen. Wer
       glaubt, Frauen seien in Deutschland sicher, schaue in die Statistik: Alle
       drei Tage stirbt eine Frau oder ein Mädchen aufgrund ihres Geschlechts,
       getötet vom Partner oder Ex-Partner. Und wer glaubt daran, dass Frauen
       ausgerechnet durch ein Land befreit werden, dessen Ex-Präsident tönte, er
       packe sie „bei der Pussy“?
       
       Wer wirklich etwas für Frauen tun möchte, muss das Patriarchat bekämpfen –
       und steht damit vor einem Konstrukt aus globaler Politik, Kapital, Macht
       und Institutionen. Als ob es so einfach wäre, sich unbekleidet davor zu
       stellen.
       
       11 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Neumann
       
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