URI:
       # taz.de -- Verhältnis von Deutschland zu Israel: Kapituliert vor rechtem Narrativ
       
       > Vor dem Hintergrund des Holocaust meidet das offizielle Deutschland die
       > Konfrontation mit Israel. Damit begeht es Verrat an den eigenen Werten.
       
   IMG Bild: Es gibt viele Stimmen in Israel
       
       Abraham Burg, ehemals Chef der Jewish Agency und Parlamentspräsident,
       veröffentlichte jüngst in der Tageszeitung [1][Haaretz] einen Text, worin
       er die Position des [2][Zentralrats der Juden] in Deutschland scharf
       angreift. Es geht um Themen wie das Verhältnis zum Staat Israel,
       Antisemitismus oder den Umgang mit dem Holocaust. Burg greift in seinem
       Essay die hiesige Debatte über jüdische Identität auf, die der Autor Maxim
       Biller mit einer Feststellung über [3][Max Czollek] auslöste, von dem er
       behauptete, kein Jude im Sinne der Halacha zu sein.
       
       „Ein jüdischer Autor, der nicht im konservativen Chor singt, ist mundtot
       gemacht worden, weil seine Mutter keine Jüdin ist“, schreibt Burg und
       bringt als weiteres Beispiel den [4][Skandal um Peter Schäfer]: „Der
       Direktor des Jüdischen Museums wurde wegen eines Twitter-Eintrags über
       freie Meinungsäußerung zur Kündigung gezwungen.“ Burg greift die Haltung
       Deutschlands auf offizieller Ebene zu diesen Themen an und behauptet, dass
       Deutschland vor dem Narrativ der israelischen Rechten kapitulierte.
       
       Recht hat er. Die kollektive Psychologie der israelischen Rechten ist
       nichts anderes als komplette Paranoia: Jede Kritik am israelischen Staat
       wird umgehend als Antisemitismus ausgelegt, und jedes gewaltsame Vorgehen
       Israels ist legitim, weil es als Ausdruck des Rechts der Juden auf ihr Land
       und Verwirklichung des Ausrufs „Nie wieder Auschwitz“ interpretiert wird.
       Auf diese Art wird die israelische Gewalt durch ein verzerrtes
       Holocaustverständnis legitimiert.
       
       Die einzige Lektion, die die Rechte aus dem Holocaust mitnimmt, ist Stärke
       und Nationalismus (nicht etwa Nächstenliebe oder etwas in der Art). Die
       verborgene Lehre ist das Narrativ des Opfers: Wir sind das ewige Opfer, und
       Opfer darf man nicht kritisieren. Wenn Deutschland mit dieser Haltung
       kooperiert, kommt das im Grunde einer Verleugnung des humanistischen und
       liberalen Erbes gleich, mit anderen Worten: Deutschland nimmt Abstand zu
       den eigenen Lehren, die es aus dem Holocaust ziehen müsste.
       
       Gleichzeitig wird ignoriert, dass es in Israel auch andere Stimmen gibt:
       Stimmen der liberalen und humanistischen Linken. Andererseits schrumpft
       diese Linke und verschwindet zunehmend von der Bildfläche. Insofern ergibt
       die deutsche Position einen gewissen Sinn. Übrigens ist inzwischen ein Teil
       dieser Linken nach Berlin übersiedelt. Israels Linke wandert nach
       Deutschland aus, weil sie es als eine Bastion des Humanismus, der Toleranz
       und Offenheit betrachtet. Und was erwartet sie dort?
       
       Sie findet sich wieder in einem paranoiden, verängstigten und gewaltsamen
       Diskurs, der Assoziationen an die Rhetorik eines Likud-Parteitags weckt. Es
       scheint, als seien die Deutschen hier in eine Falle geraten, um nicht zu
       sagen in eine Art Benommenheit. Ihr Reflex, sobald das Thema Holocaust
       aufkommt, der Wunsch zur Wiedergutmachung, die Empfindlichkeit und Vorsicht
       sind zum Instrument in den Händen sowohl zynischer Israelis geworden, die
       ein sehr begrenztes und dummes Geschichtsverständnis haben, als auch einer
       Bande von Hofjuden.
       
       Engstirnige jüdische Macher, die im Zentralrat der Juden Deutschlands
       sitzen. Was es braucht, sind deutsche Politiker, denen es gelingt, die
       deutsche Rhetorik und das deutsche Agieren aus diesem Sumpf herauszuziehen
       und wieder eine vernünftigere Haltung einnehmen zu lassen:
       Einfühlungsvermögen einerseits, liberaler Humanismus auf der anderen Seite.
       Deutschland auf offizieller Ebene muss verstehen: Rechts ist rechts und
       Faschismus ist Faschismus, auch wenn es um die jüdische Rechte und
       jüdischen Faschismus geht.
       
       7 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.haaretz.com/israel-news/2022-07-26/ty-article/.premium/germany-is-providing-a-kosher-stamp-for-the-occupation/00000182-35e3-d7e9-af96-3df31e960000
   DIR [2] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/nach-den-regeln-der-religion/
   DIR [3] /Debatte-um-Vaterjuden/!5801855
   DIR [4] /BDS-Tweet-des-Juedischen-Museums-Berlin/!5600322
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hagai Dagan
       
       ## TAGS
       
   DIR Holocaust
   DIR Israelkritik
   DIR Rechte
   DIR Kolumne Fernsicht
   DIR BDS-Movement
   DIR BDS-Movement
   DIR Fernsehen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kontroverse um die Documenta15: Anklagepunkt „BDS-Nähe“
       
       Die „FAZ“ und Springer unterstellen der Journalistin Dische-Becker eine
       Nähe zu Antisemiten. Worin ihre Schuld genau bestehen soll, erklären sie
       nicht.
       
   DIR Erfolg für Palästina-Komitee Stuttgart: Meinungsfreiheit für Israelboykott
       
       Die Stadt Stuttgart will „antisemitischen Gruppen“ keinen Platz auf ihrer
       Webseite einräumen. Vor Gericht erlitt sie nun eine Niederlage.
       
   DIR Kritik an Gaza-Reportage: Programmdirektor Schuster
       
       Erneut kritisiert der Zentralrat der Juden in Deutschland das
       Arte-Programm: Eine Reportage über den Gaza-Steifen sei zu einseitig.