URI:
       # taz.de -- Auf einem Kreuzfahrtschiff: Traum aus dem Lockdown
       
       > Wie geht es an Bord der Schiffe zu, die von Kiel nach Oslo fahren? Und wo
       > sind die Betrunkenen? Unsere Autorin hat sich auf Entdeckungsfahrt
       > gemacht.
       
   IMG Bild: Ganz langsam Richtung Oslo
       
       „MS Color Fantasy“ taz | Der Himmel war blau, und Kiel – mitten im
       soundsovielten Lockdown – ein Sehnsuchtsort. [1][Kiel], mit seinen
       Backsteinquadern, seinen Marinas und seinen Hinweisschildern zum
       [2][Norwegenkai].
       
       Im Winter waren diese Hinweisschilder noch ein leeres Versprechen. „Leider
       haben wir keine Möglichkeit, den Fahrgastbetrieb zwischen Norwegen und
       Deutschland aufrechtzuerhalten“, teilte die norwegische Reederei Color-Line
       im Dezember 2021 mit. Schuld seien die neuen Coronamaßnahmen der Regierung.
       
       Der Verkehr der Kreuzfahrtschiffe „Color Magic“ und „Color Fantasy“ wurde
       schrittweise ein-, mehrere hundert Mitarbeiter*innen freigestellt. Was
       blieb, waren die Hinweisschilder, die Sehnsucht und die glitzernde Förde.
       
       Doch seit Februar [3][fahren sie wieder]. Täglich starten die
       Schwesternschiffe ihre 20-stündige Überfahrt. Das Versprechen kann
       Wirklichkeit werden.
       
       ## Auf dem Sonnendeck
       
       Endlich an Bord der „Color Fantasy“! Aus Hochhaushöhe streift der Blick die
       immer kleiner werdende Stadt, ihre Fischbuden und Segler, später Wohnmobile
       und Strandkörbe in sandigen Ostseebuchten. In der Ferne ahnt man die
       schwedische Küste oder die dänische, sieht Offshore-Windparks, [4][die
       Großer-Belt-Brücke], sowieso den Himmel, der mit einem Sonnenuntergang aus
       Lila und Orange um die Ecke kommt, und immer wieder das weite Meer.
       
       In Allwetterjacken und maritimen Ringelshirts verweilen die Passagiere auf
       dem Sonnendeck, bilden eine freundliche Koexistenz aus lesenden Rentnern,
       aus Großfamilien, von denen sich manches Mitglied schon nachmittags einen
       Underberg zwischen die Schneidezähne klemmt, aus Anglerfreunden,
       Hobbyfotografen mit dicken Objektiven, Frauen in Ankerprint-Pullis und
       gelangweilten Jugendlichen, die nahende Möwen mit Pommes füttern.
       
       Wer einen der herumstehenden Balkonstühle ergattern kann, trägt ihn so
       stolz wie eine Hermès-Handtasche, zieht mit ihm um in den Windschatten, von
       Backbord nach Steuerbord, von Reling zu Reling. Dort dann halblaute
       Gespräche gestandener Männer über Höhenangst, die Gewinnausschüttung jüngst
       erworbener Windenergie-Aktien, 50 Jahre Ehe und den leisen Stolz, eine
       „Minikreuzfahrt“ zu wagen.
       
       ## Sommerhäuser im Oslofjord
       
       Am fischhaltigen Abendbüfett spielt ein Pianist „The Winner takes it all“,
       während sorgsam gestapelte Miesmuschelberge durchs Restaurant balanciert
       werden. Die Eistheke ist doppelt so lang wie ein Kinderbett, das Programm
       in der „Show Lounge“ ein kurzweiliges, gnadenlos übersteuertes
       Miniaturmusical.
       
       Die dauertrunkenen Skandinavier, die angeblich weder in Kiel noch in Oslo
       von Bord gehen, muss ich suchen und finde sie – und nicht nur sie – ganz
       oben in der „Observation Lounge“: zwischen unsicheren Cha-Cha-Schritten und
       gekühltem Champagner, zwischen beseelt tanzenden Mittfünfzigerinnen, einer
       beißenden Überdosis Aftershave und einer kreischenden
       Junggesellinnen-Abschiedsrunde, die Cocktails in allen Farben des
       Regenbogens bestellt. Das sanfte Wiegen der Fähre lässt hier manchen
       zusätzlich wanken, aber vermutlich auch den hartnäckigsten Tresensteher
       irgendwann wohlig schlafen.
       
       Am nächsten Morgen hängt der säuerliche Rauch-Alkohol-Atem schwer in den
       raumkapselartigen Fahrstühlen, liegt die im Duty-Free erworbene Stange
       Zigaretten quer wie ein Baguette über dem benachbarten Frühstückstisch.
       Doch jenseits des Panoramafensters künden waldreiche Inseln mit
       vorgelagerten Felsen vom norwegischen Fjord, genauso wie Raffinerien,
       kleine Häfen und rot, blau und weiß gestrichene Sommerhäuser aus Holz.
       
       [5][Oslo]! Velkommen til Oslo!
       
       27 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Portraet-der-Landeshauptstadt-Kiel/!5849468
   DIR [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Norwegenkai
   DIR [3] https://www.colorline.de/kiel-oslo
   DIR [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Storeb%C3%A6ltsbroen
   DIR [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Oslo
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Ullmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Kreuzfahrt
   DIR Oslo
   DIR Kiel
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Anschlag
   DIR Backpacker
   DIR Klima
   DIR Kreuzfahrt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Ehemaliges Haus von Hermann Göring: Neues Flair für Nazi-Villa
       
       In einem Dorf bei Nürnberg richtete die Stadt Hermann Göring ein Gästehaus
       ein. Jetzt wird die ehemalige Nazi-Villa zu einer Begegnungsstätte.
       
   DIR Ehemaliger Knast als Lernort: Wo die „Rowdys“ landeten
       
       In der Berliner Keibelstraße dient eine DDR-Untersuchungshaftanstalt heute
       als Lernort. Schulklassen können hier in engen Zellen viel lernen.
       
   DIR Nach Schüssen auf Schwulen-Bar in Oslo: Angriff wohl islamistischer Terror
       
       Der Chef des norwegischen Geheimdienstes sagt, der Festgenommene habe eine
       entsprechende Vorgeschichte. Der Täter war den Behörden seit 2015 bekannt.
       
   DIR Co-Gründer des Verlags Lonely Planet: „Reisen bewirkt auch Gutes“
       
       Vor 50 Jahren fuhr Tony Wheeler von London bis nach Australien. Daraus
       entstand der Reisebuchverlag Lonely Planet. Internet und Klimakrise
       änderten vieles.
       
   DIR Klimabilanz der Kreuzfahrtindustrie: Schöner Kreuzfahren
       
       Die Branche könnte ihre Klimabilanz mit relativ einfachen Mitteln
       verbessern. Die Industrie setzt sie nur nicht um – und der Staat lässt sie
       gewähren.
       
   DIR Kreuzfahrten vor dem Neustart: Pest der Meere
       
       Nach der Corona-Zwangspause hofft die oft kritisierte Kreuzfahrtbranche, an
       ihr Wachstum anknüpfen zu können. Die Schiffe sind eine Welt für sich.