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       # taz.de -- Wahlen in Frankreich: Encore une fois?
       
       > Der amtierende Staatspräsident Emmanuel Macron ist sich seiner Wiederwahl
       > so sicher, dass er sich nicht einmal Zeit für den Wahlkampf nimmt.
       
   IMG Bild: Ça roule: Emmanuel Marcon unterwegs im westfranzösischen La Pommeraye, 2022
       
       Paris taz | Wer wird Frankreichs nächstes Staatsoberhaupt? Auf den Plakaten
       vor allen Schulen sind die Gesichter und Slogans der zwölf Kandidierenden
       zu sehen, die für die erste Runde am 10. April im Rennen sind. Allen voran,
       gemäß Umfragen im buchstäblichen Sinne, der Amtsinhaber Emmanuel Macron.
       Rund 70 Prozent der Französinnen und Franzosen würden heute darauf wetten,
       dass er für weitere fünf Jahre gewählt wird. Genau das sagen auch sämtliche
       Politologen und Meinungsforscher voraus.
       
       Und da der Ausgang der Wahl bereits festzustehen scheint, sinkt das
       Interesse am Wahlkampf. Zudem gibt es nicht wenige Französinnen und
       Franzosen, die aus Prinzip oder aus Wut nie oder nicht mehr wählen wollen –
       einmal mehr rechnet man mit einer großen Zahl an Enthaltungen.
       
       Viele Bürger*innen Frankreichs antworten auf die Frage, ob sie sich für
       die Wahlen interessieren, dass die Kampagnen an ihren eigentlichen
       Forderungen und Erwartungen vorbeigehe. Die Hauptsorge in Frankreich ist
       heute die sinkende Kaufkraft und die Angst vor dem Krieg. Doch auf diesem
       Terrain erscheinen ihnen die Kandidierenden wenig überzeugend und noch
       weniger repräsentativ. Wie schon bei früheren Wahlen fühlen sich vor allem
       die Bürger*innen in entlegenen ländlichen Gebieten oder den
       Stadtrandgebieten, der Banlieue, von den Politikern im „Wasserkopf“ Paris
       ignoriert. Und Paris ist bekanntlich nicht Frankreich.
       
       „Im ersten Durchgang wählst du, im zweiten eliminierst du“, lautete bei den
       Präsidentschaftswahlen die Devise, seitdem eine Mehrheit der
       Wahlberechtigten den wenig motivierenden Eindruck hat, dass sie am Ende
       jeweils nur noch für ein „kleineres Übel“ stimmen kann. Das ist eigentlich
       seit dem Jahr 2002 so, als sich zur Überraschung der meisten nicht [1][der
       Sozialist Lionel Jospin], sondern der Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen
       für die Stichwahl gegen den amtierenden Präsidenten Jacques Chirac
       qualifizieren konnte.
       
       Frustriert und ohne Begeisterung legten dann die meisten
       Linkswähler*innen ihren Chirac-Wahlzettel in die Urne, weil sie
       wenigstens Le Pen verhindern wollten. Auch in diesem Jahr dürfte sich das
       Szenario wiederholen, da der Präsident eine breite politische Mitte besetzt
       und seine wichtigsten Gegner eher als extremistisch eingestuft werden.
       
       Aus dem benachbarten Ausland betrachtet scheint die Aussicht, dass
       Frankreich höchstwahrscheinlich und ohne Risiko eines abrupten politischen
       Wechsels weiterhin von Macron präsidiert wird, eher beruhigend zu sein. Mit
       Macron, das weiß man in den EU-Partnerstaaten, droht weder ein „Frexit“
       noch ein Austritt aus der Nato.
       
       Man kennt vielmehr seine ehrgeizigen Ziele bezüglich der „europäischen
       Souveränität“ im Bereich der Verteidigung, der Industrie und der
       Energieversorgung. Und in der Regel wird die Suppe dann in Brüssel nicht so
       heiß ausgelöffelt, wie sie Macron in Paris angerichtet hat. Die Perspektive
       einer Kontinuität dürfte zumindest für diejenigen in Europa, die aus
       Frankreich keinen Druck zu einer echten Wende wünschen, willkommen sein. In
       Frankreich dagegen kommt Langeweile auf.
       
       Macron hat seinen Wunsch nach einer zweiten Amtszeit zur Fortsetzung seiner
       Innen- und Außenpolitik in einem Brief an seine Landsleute ausgeführt. Er
       beschränkt seine persönlichen Auftritte in der Zeit vor dem 10. April auf
       eine einzige große Veranstaltung im Pariser Businessviertel La Défense. Für
       seine auf ein striktes Minimum reduzierte Kampagne hat er eine Ausrede: Er
       sei mit der EU- und Außenpolitik, namentlich mit seiner Telefondiplomatie
       als Vermittler zwischen den Präsidenten Putin und Selenski, derzeit so sehr
       ausgelastet, dass er für Debatten mit seinen innenpolitischen Konkurrenten
       keine Zeit erübrigen könne.
       
       Doch ist eine Wahl ohne wirkliche Debatte legitim? Das fragt kein
       Geringerer als der französische Senatspräsident [2][Gérard Larcher]. Er
       unterstützt zwar offiziell (in Wirklichkeit aber ziemlich halbherzig) die
       konservative Kandidatin Valérie Pécresse, bisher aber stand er dem
       Präsidenten stets loyal gegenüber.
       
       Dennoch wird es wenigstens in den letzten Tagen vor dem ersten Wahlsonntag
       spannend, denn da geht es um den zweiten Platz: Wer wird in der Stichwahl
       gegen Macron antreten und am 20. April das Fernsehduell gegen ihn
       bestreiten? Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement national hat wie
       schon vor fünf Jahren die größten Chancen.
       
       Seit Monaten liegt sie in den Wahlumfragen zwar deutlich hinter dem
       Präsidenten, fast ebenso klar aber vor ihren Rivalen. Nur Jean-Luc
       Mélenchon, der linke Kandidat von La France insoumise, kann sie eventuell
       noch einholen und sogar überrunden. Mélenchon versucht darum alles, um
       Sympathisanten der übrigen linken Kandidat*innen abzuwerben, indem er
       sich ihnen als einzige „nützliche Wahl“ verkauft.
       
       Derzeit steht Mélenchon bei rund 15, Le Pen bei 20 Prozent. Und beide klar
       hinter Macron, dem 28 bis 30 Prozent vorausgesagt werden. Der grüne Yannick
       Jadot liegt weiterhin bei etwa 6 Prozent auf verlorenem Posten. Und die
       Sozialistin Anne Hidalgo befindet sich mit vermutlich nur 2 bis 3 Prozent
       noch hinter oder gleichauf mit dem Kommunisten Fabien Roussel, in derselben
       Kategorie der Randfiguren wie Philippe Poutou und Nathalie Arthaud, die für
       zwei verschiedene trotzkistische Parteien kandidieren und je kaum mehr als
       1 Prozent erreichen dürften.
       
       Für die Grünen (EELV), die sich noch bei den Europa- und Kommunalwahlen als
       Sieger feiern ließen, sind die Präsidentschaftswahlen immer etwas
       kompliziert. Dennoch bleibt es erstaunlich, dass sich ihr Kandidat Jadot
       trotz der Aktualität der Klima- und Energiewende nicht mehr Gehör
       verschaffen konnte. Selbst im Bereich der Umweltpolitik scheint Mélenchon
       ihn ausgestochen zu haben.
       
       Natürlich würde ein Etappensieg des linken Volkstribuns Mélenchon gegen Le
       Pen für die Schlussdebatte der Wahlen und die Zeit danach einiges ändern.
       Macron, der in seiner ersten Amtszeit einen liberalen Mitte-rechts-Kurs
       verfolgt hat, müsste sich gegen einen linken Gegner mit ganz anderen
       sozialpolitischen und radikalen Ideen für eine Verfassungsänderung
       behaupten, statt auf die ewig gleichen nationalistischen und
       fremdenfeindlichen Argumente der Rechten antworten zu müssen.
       
       Auch die Ausgangslage für die Wahl der Abgeordneten der Nationalversammlung
       im Juni würde sich völlig verändern. Bisher allerdings steht die
       französische Linke durch ihre Spaltung zutiefst geschwächt da, während die
       Rechte auf eine historische Revanche hofft.
       
       Diese reaktionäre, nationalistische und EU-feindliche, antimuslimische und
       zum Teil offen rassistische Rechte, repräsentiert durch Marine Le Pen und
       zwei andere Kandidaten, Eric Zemmour und Nicolas Dupont-Aignan, hat
       jedenfalls lange die Wahldebatte fast in Gänze dominiert. Laut Umfragen war
       das rechtsextreme Lager noch nie so stark. Falls die Voraussagen der
       Institute zutreffen sollten, ziehen die drei zusammengezählt ein Drittel
       der Stimmen an sich, was für Frankreich, das sich weiterhin auf die
       humanistischen Grundwerte der Aufklärung und der Revolution beruft,
       bedenklich oder gar peinlich wäre.
       
       Für die Konservative Valérie Pécresse blieb zwischen dieser lautstarken und
       auftrumpfenden Rechten und dem aus der Mitte nach rechts abgleitenden
       Macron nur wenig Platz. Zudem hat sie mit ihren ersten Auftritten ihre
       Kampagne von Beginn an so sehr verpatzt, dass eine ganze Reihe Kollegen von
       Les Républicains (LR) sie im Stich gelassen haben oder sogar offen zu
       Macron überlaufen, während einige wenige Le Pen oder Zemmour vorziehen.
       
       Die konservative Partei LR steht nach diesem Wahlkampf vor einer Krise, wie
       sie die ehemalige Regierungspartei der Sozialisten bereits seit ihrer
       Niederlage von 2017 kennt. Mit seinem absehbaren Sieg und seiner Wiederwahl
       am 24. April wird Macron nicht nur seine „Reformpolitik“, sondern auch sein
       vor fünf Jahren begonnenes Werk des Abbruchs der traditionellen Parteien zu
       Ende führen.
       
       2 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Lionel_Jospin
   DIR [2] https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%A9rard_Larcher
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
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