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       # taz.de -- Ausstellung in Osnabrück: Dicht dran an der Distanz
       
       > Von intensiven Porträts bis Drohnenvideos: Eine Ausstellung im
       > Osnabrücker Kunstraum Hase29 zeigt, wie nah sich Nähe und Ferne sein
       > können.
       
   IMG Bild: Erzeugt eine angstbesetzte Nähe: Peter Bogers vor seiner Arbeit „Glued Eye“
       
       Manchmal stehen Wohnungslose vor der Fensterfront des [1][Osnabrücker
       Kunstraums Hase29]. Das hat prosaische, praktische Gründe: Die Überdachung
       schützt vor Regen und Schnee, die Hausecken blocken den Wind. Isomatte und
       Schlafsack lassen sich hier ausrollen, mitten in der Stadt.
       
       Seit Ende Februar kommen manche von ihnen vielleicht auch, um sich selbst
       zu sehen, oder ihre Freunde und Bekannten, als Kunstwerk. In der
       Tageswohnung der Osnabrücker Sodi, des katholischen Vereins für soziale
       Dienste, hat der französische Porträtist Guillaume Bruère für die
       Ausstellung „See me – touch me“ sensible, fast hypnotische Psychogramme von
       Wohnungslosen erstellt.
       
       Die kleinen, spontanen, skizzenhaften Blätter hängen gleich rechts vom
       Eingang, von draußen gut zu sehen, auch in der Nacht. „Das haben wir für
       all jene gemacht, denen die Hemmschwelle zu hoch ist, zu uns reinzukommen,
       sagt Kuratorin Elisabeth Lumme. „Wir sind ja ein sehr offenes Haus. Aber
       manchmal ist die Scheu eben doch zu groß.“
       
       Menschen sehen uns an, vom Leben gezeichnet. Einige wirken fragend, fast
       amüsiert, andere still, in sich gekehrt. Nähe erzeugt Bruère dadurch,
       zwischen den Porträtierten und denen, die ihnen in die Augen sehen. Auch
       das Porträtieren selbst ist ein Akt größter Nähe. „Ein äußerst intensiver
       Prozess“, sagt Bruère. „Psychisch sehr anstrengend. Da gerätst du schnell
       an die Grenzen deiner Kraft.“ Pause. „Ich spüre dabei sehr viel. Auch viel
       Leid, viel Fragilität.“
       
       „See me – touch me“ widmet sich, sehr experimentell, programmatisch
       verstörend, dem „Spannungsfeld von Nähe und Distanz“. Neben Bruère, der
       auch fast wandfüllende Seelenzustände zeigt, deformierte Körper und
       Gesichter, mit einem Mund statt eines Auges, mit einem Auge statt eines
       Mundes, sind Positionen von Peter Bogers, Josephine Garbe und Benedikt Hipp
       zu sehen, von der Skulptur bis zur Rauminstallation. Sehr heterogen ist
       das, aber zugleich eine Symbiose.
       
       ## Beklemmende Blicke
       
       Besonders beklemmend ist „Glued Eye“ von Peter Bogers. Da ist ein Auge, auf
       einem Monitor. Es zuckt, rollt, weitet und verengt sich. Ein
       fluoreszierender Leuchtfaden geht von ihm aus, wie ein Laserstrahl. Trifft
       auf einen Videobeamer. Bohrt sich hinter ihm weiter durch den Raum bis zur
       gegenüberliegenden Wand. Filmbilder tanzen dort um ihn herum,
       Überwachungsaufnahmen von Satelliten, Drohnen, Helikopterkameras. Verfolgte
       fliehen auf ihnen, Kampfjets fliegen Ausweichmanöver.
       
       Der Faden, scheint es, ist locked on target. Wählt sich sein
       Beobachtungsobjekt. Fixiert es. Folgt ihm. Lässt es nicht mehr los. Erzeugt
       eine angstbesetzte, unentrinnbare Nähe. Dazu Funkverkehr, polizeilich,
       militärisch: „into the treeline“, „now going eastbound“, „walks into the
       field“. Ein Motorradfahrer gibt Vollgas. Jugendliche springen aus einem
       Auto, eine Mauer hinab. Die Kamera lässt sie nicht entkommen.
       Erbarmungslos, unerbittlich. Bewaffnete suchen Deckung in einem Graben.
       Kommt jetzt der Kill?
       
       Weit weg, nah dran. „See me – touch me“, der Auftakt des Jahresprogramms
       des Kunstraums Hase29 macht uns eine Ambivalenz bewusst, die jeder von uns
       in sich trägt. Wer ihre Interpretation der „Grundbefindlichkeit der
       Gesellschaft im Ausnahmezustand“ als Kommentar zur Covid-19-Pandemie
       versteht, greift jedoch zu kurz.
       
       Benedikt Hipp zeigt Keramiken. Auf den ersten Blick wirken sie
       unspektakulär, trotz ihrer Glutspuren und Aschepartikel, vom offenen Feuer.
       Ihr wahres Leben entwickeln sie erst vor der Kamera, in der Videoanimation
       und Soundcollage „Aeon“. Himmelskörpern gleich schweben sie durch die
       Dunkelheit wie durch die Endlosigkeit des Alls. Groß wie Planeten wirken
       sie auf ihren gewundenen Bahnen, doch das Kosmische ist zugleich wie ein
       Blick durch ein Mikroskop. Zuweilen, je nach Drehung, nach Lichtwinkel,
       wirkt ihr Ton dabei wie Metall. Zuweilen gleicht ihre Härte geschundener,
       verbrannter Haut, die in Fetzen hängt. Dazu ist eine Stimme zu hören.
       Flüsternd. Worte wie „Körperlichkeit“ brennen sich ein.
       
       Eines der Keramikobjekte, ein stilisierter, amuletthafter Fuß, weist den
       Weg in einen schmalen, weißen Raum. Dort konfrontiert uns Josephine Garbes
       Video „Zeig ich“ mit einem erschreckenden Anblick. Ein zutiefst
       deformierter Mensch tritt uns entgegen, das Gesicht verfremdet durch einen
       Belag rätselhafter Materialität und Färbung. Manchmal wirkt die Nase wie
       ein Schnabel, die Verwachsungen bewegen sich, dehnen sich, reißen auf,
       ballen sich zusammen. Der Mensch heult, seufzt, faucht. Ist es ein Mensch?
       Leidet er? Dicht stehen wir vor ihm.
       
       Eine starke Schau. Nicht zum ersten Mal gelingt es dem kleinen Kunstraum
       Hase29, eine Ausstellung zu zeigen, die ebenso gut in einer Metropole wie
       Hamburg oder Berlin bestehen könnte, in einer Kunsthalle großen Namens.
       Nähe und Distanz: Beides gibt es nicht ohne einander. Wie Mut und Angst.
       
       8 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Transfeindlicher-Angriff-in-Osnabrueck/!5812425
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Harff-Peter Schönherr
       
       ## TAGS
       
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