URI:
       # taz.de -- Bundesparteitag der Grünen: Yeah, Kompromisse!
       
       > Annalena Baerbock und Robert Habeck treten von der Grünen-Spitze ab. Zum
       > Abschied schwören sie ihre Partei auf die Zwänge des Regierens ein.
       
   IMG Bild: Baerbock und Habeck: Ein letztes Mal als Vorsitzende auf der grünen Parteitagsbühne
       
       Berlin taz | Ein bisschen ist es so, als ob die Band noch mal zusammen ist.
       Annalena Baerbock und Robert Habeck stehen am Freitagabend auf der
       Parteitagsbühne. Er, als Wirtschaftsminister zuletzt oft mit Sakko und
       Krawatte, trägt sein Hemd über der Jeans und hat die Ärmel hochgekrempelt.
       Die Abschiedsrede halten beide zusammen. „Wieder wie am Anfang“, sagt
       Baerbock. Ein Dream-Team, keine Differenzen, keine Reibung oder „was
       manchmal vielleicht reingelesen wurde in uns.“
       
       Die Grünen wechseln ihre Spitze: Beim Parteitag an diesem Wochenende wählen
       sie einen neuen Vorstand. Als Regierungsmitglieder dürfen Baerbock und
       Habeck nicht weitermachen. Vier Jahre lang haben sie bis zu diesem Freitag
       die Partei geführt – von 8,9 Prozent bei der Bundestagswahl 2017 bis zu den
       14,8 Prozent im vergangenen Jahr.
       
       Nach 16 harten Oppositionsjahren sind die Grünen mit den beiden zurück in
       die Regierung gelangt. Die in der Vergangenheit oft zerstrittene Partei
       trat unter dem scheidenden Führungsduo fast schon unerträglich
       diszipliniert auf, galt lange Zeit als perfekt organisiert. „Wir sind keine
       kleine Partei mehr“, sagt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner am Freitag
       zur Eröffnung des Parteitags. Die besten Grünen aller Zeiten.
       
       Inzwischen hat das Bild freilich Kratzer. Eigentlich hatten sich die Grünen
       ein noch besseres Wahlergebnis gewünscht. Im Wahlkampf leistete sich die
       Parteispitze entscheidende Fehler, mit der Harmonie von Habeck und Baerbock
       war es plötzlich nicht mehr so weit her – auch wenn die Abschiedsrede am
       Freitag einen anderen Eindruck erwecken soll.
       
       ## Demonstrativ gute Laune
       
       Im Herbst stieß dann das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen in der Partei
       nicht nur auf Begeisterung. Und mit der späten Ausbootung des eigentlich
       schon designierten Ministers [1][Toni Hofreiter] machten sich Baerbock und
       Habeck beim linken Parteiflügel zum Schluss noch mal unbeliebt.
       
       Das Regieren, es ist eben nicht so einfach. Und das ist auch das Thema
       dieser Abschiedsrede. Vor allem Habeck ist es, der die Partei auf
       Kompromisse einschwört, erstaunlicherweise aber über weite Strecken fast
       freudestrahlend. „Es ist kein ‚oh weh, oh weh – die schwierige
       Wirklichkeit!‘“, sagt er. „Es ist ein Privileg!“
       
       Am Anfang wirkt das noch ein bisschen bemüht. Die Grünen haben sich das
       Verkehrsministerium nicht holen können? [2][Dafür wurde Claudia Roth
       immerhin Kultlurstaatsministerin.] Die Grünen können das Vorhaben der
       EU-Kommission nicht verhindern, Atom- und Gasenergie in den
       Taxonomie-Regeln als nachhaltig zu labeln? „Ja, das ist ein schwieriges
       Kapitel.“
       
       Aber als Regierungspartei habe man nun immerhin Einfluss auf die
       Kommission. Die Grünen bemühen sich darum, zumindest noch Fußnoten in die
       EU-Regeln hineinzuverhandeln. In Habecks Worten: „Gut, dass wir uns darum
       kümmern können. Da soll man nicht drüber klagen, da soll man stolz drauf
       sein!“
       
       Einen großen Teil seiner Rede widmet er der KfW-Förderung für
       energieeffizientes Bauen. Diese Woche hatte er als Wirtschaftsminister
       überraschend das Förderprogramm gekappt, sehr zum Ärger Tausender
       Antragsteller*innen, die mit Zuschüssen für ihre Bauvorhaben gerechnet
       hatten, jetzt aber leer ausgehen.
       
       Habeck ist zumindest nicht allein schuld daran, mindestens
       mitverantwortlich sind die Umstände, die Kassenlage, die
       Vorgängerregierung, der Finanzminister und der Kanzler. Als
       Wirtschaftsminister musste Habeck den Programmstopp aber kommunizieren,
       damit zog er den meisten Ärger auf sich.
       
       Doch Habeck lamentiert nicht. „Ja, es ist unangenehm, diese Entscheidung
       politisch zu verantworten“, sagt er am Freitag auf dem Parteitag. Aber er
       sei ja Minister geworden, um Entscheidungen zu treffen und in Zukunft
       bessere Programme aufzulegen. „Wie gut, dass wir diese Entscheidung
       verantworten!“
       
       ## Topfplanzen und Standing Ovations
       
       Je länger er seine gute Laune demonstriert, desto stärker nimmt man sie ihm
       dann doch noch ab. Ob sich diese demonstrative Freude an den Kompromissen
       und Sachzwängen auf den Rest der Partei übertragen wird? Das Wochenende
       könnte Indizien bieten. Auf dem Programm steht eine Reihe von Abstimmungen
       über inhaltliche Anträge. Kampfdrohnen, [3][Julian Assange] und eben die
       Taxonomie.
       
       Um eine Satzungsänderung wird es am Wochenende auch noch gehen. Auf das
       starke Mitgliederwachstum der letzten Jahre will die Parteispitze damit
       reagieren, dass sie die Hürden für die Basisbeteiligung erhöht. Schließlich
       wird am Samstagnachmittag noch der neue Parteivorstand gewählt. [4][Ricarda
       Lang und Omid Nouripour werden voraussichtlich auf Baerbock und Habeck
       folgen.]
       
       Erst mal geht am Freitag Abend aber die Abschiedsshow weiter. Als Habeck
       mit seiner kleinen Regierungserklärung durch ist, ergreift Baerbock noch
       mal das Wort, wie gewohnt etwas weniger leuchtend als er. Sie spricht von
       Erfolgen im Koalitionsvertrag, vor allem gesellschaftspolitische wie der
       Streichung des Paragrafen 219a oder die doppelte Staatsbürgerschaft.
       
       Dann kommt sie auf ihr neues Fachgebiet zu sprechen, die Außenpolitik. Es
       wird zwischendurch ein wenig technisch, vom „vernetzten Ansatz von Außen-
       und Sicherheitspolitik“ erzählt Baerbock zum Beispiel, bevor sie etwas
       weniger ministrabel am Ende doch noch die „beste Party ever“ ankündigt –
       für den nächsten Parteitag.
       
       Nicht für diesen, natürlich: Coronabedingt findet der Parteitag digital
       statt. Hunderte Delegierte sind größtenteils von zuhause aus zugeschaltet.
       Nur der Bundesvorstand, die grünen Minister*innen, Mitarbeiter*innen
       und ein Teil der Medien nimmt in Präsenz teil. Im Berliner Velodrom – eine
       der größten Veranstaltungshallen der Hauptstadt – ist die Kulisse
       aufgebaut, die Bühne mit Topfpflanzen dekoriert.
       
       Standing Ovations spenden die wenigen anwesenden Grünen zum Ende der Rede,
       was in so einem Setting immer eher traurig als fröhlich wirkt. Die
       Lichtorgel aber gibt alles, vor den Bildschirmen sieht das bestimmt gut
       aus. Dann verlassen Baerbock und Habeck zusammen die Bühne.
       
       28 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gruene-und-Ministeraemter/!5815457
   DIR [2] /Claudia-Roth-als-Kulturstaatsministerin/!5815441
   DIR [3] /Auslieferung-des-Wikileaks-Gruenders/!5830049
   DIR [4] /Gruenen-Duo-ueber-seine-Kandidatur/!5827984
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
       
       ## TAGS
       
   DIR Annalena Baerbock
   DIR Parteitag
   DIR Robert Habeck
   DIR GNS
   DIR Bündnis 90/Die Grünen
   DIR Parteitag
   DIR Parteitag
   DIR Parteitag
   DIR Partizipation
   DIR Bündnis 90/Die Grünen
   DIR GNS
   DIR Bündnis 90/Die Grünen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Grünen-Abgeordneter über EU-Taxonomie: „Olaf Scholz muss Farbe bekennen“
       
       Auf ihrem Parteitag haben die Grünen nach einigem Hin und Her ihre Position
       geschärft. Rasmus Andresen hofft jetzt auf eine Klage der Bundesregierung.
       
   DIR Bundesparteitag der Grünen: Besondere Umstände
       
       Die Grünen haben eine neue Parteispitze: Omid Nouripour und Ricarda Lang
       übernehmen den Vorsitz. Mit was für einer Partei bekommen sie es zu tun?
       
   DIR Doppelspitze der Grünen: Lang und Nouripour sind gewählt
       
       Die Grünen haben zwei neue Parteivorstände. Ricarda Lang und Omid Nouripour
       werden zukünftig an der Spitze der Partei stehen.
       
   DIR Bundesparteitag der Grünen: Die Basis zeigt ein bisschen Zähne
       
       Der Grünen-Parteitag erhöht die Hürden für die Mitgliederbeteiligung. Dabei
       bleibt er aber weit unter der Forderung des Vorstands.
       
   DIR Ämter bei den Grünen: Mit Resturlaub ins Rampenlicht
       
       Emily Büning bewirbt sich auf das Amt der Politischen Geschäftsführerin bei
       den Grünen. Sie will Fehler der letzten Bundestagswahl aufarbeiten.
       
   DIR Basisdemokratie bei den Grünen: Grüne bald in Reih und Glied?
       
       Auf dem Parteitag will der Bundesvorstand die Hürden zur Mitbestimmung in
       der Basis erhöhen. Dagegen regt sich Widerstand.
       
   DIR Grünen-Duo über seine Kandidatur: „Vielfältiger als unser Ruf“
       
       Ricarda Lang und Omid Nouripour wollen Grünen-Chefs werden. Ein Gespräch
       über Streit, sozial verträgliche Klimapolitik – und den vermasselten
       Wahlkampf.