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       # taz.de -- Regierung in Österreich: Posten statt Prinzipien
       
       > In Österreich sind Papiere aufgetaucht, in denen Regierungsparteien
       > Positionen unter sich aufteilten. Warum haben die Grünen da mitgemacht?
       
   IMG Bild: Vizekanzler Werner Kogler bei der Wahlparty der Grünen 2019 in Wien
       
       Wien taz | Hinterzimmerdeals sind in der Politik kein neues Phänomen. Aber
       selten werden sie in ihrer obszönen Dreistigkeit bekannt. Heute heißt so
       etwas elegant „Sideletter“, enthält aber nicht weniger schamlose
       Vereinbarungen.
       
       Da wurde – ungeachtet der gesetzlich vorgeschriebenen Mechanismen – die
       Präsidentschaft des Verfassungsgerichtshofs auf Jahre bereits mit konkreten
       Personen besetzt, die Versorgung von Parteileuten durch
       Aufsichtsratsmandate haarklein nach Parteizugehörigkeit festgeschrieben,
       der öffentlich-rechtliche ORF aufgeteilt. So nachzulesen in einem
       Sideletter zum Koalitionsvertrag von ÖVP und FPÖ aus dem Jahr 2017.
       
       Dass dieses Papier existierte, wusste man aus einer Bemerkung des längst in
       Ungnade gefallenen Ex-Vizekanzlers und [1][FPÖ-Chefs Heinz-Christian
       Strache]. Ein FPÖ-Politiker hatte die geheime Abmachung jetzt auf Wunsch
       der Staatsanwaltschaft herausgerückt. Sie verwandelte sich damit in eine
       Beilage zum Gerichtsakt und wurde damit den Anwälten der Parteien
       zugänglich. So fand sie automatisch den Weg in die Medien.
       
       Niemand wunderte sich, dass die machtbesessene ÖVP und die auf Platzierung
       von Parteileuten fixierte FPÖ die wichtigen Posten der Republik derart
       untereinander aufgeteilt hatten. „Überraschend war höchstens, wie
       detailliert manche Sachen aufgeschrieben sind“, sagt Laurenz
       Ennser-Jedenastik, Assistenzprofessor für Sozialpolitik an der Uni Wien. Er
       hat schon vor zehn Jahren eine quantitative Analyse publiziert, in der er
       Postenbesetzungen im staatsnahen Bereich untersuchte. Das wenig
       überraschende Ergebnis: Ein Großteil der begünstigten Personen ist
       politisch einer der jeweiligen Regierungsparteien zuzuordnen.
       
       ## Geheimabsprachen mit Sprengkraft
       
       Dagegen sind die Grünen von jeher mit dem Ruf nach Transparenz angetreten.
       Peinlich für die [2][kleinere Regierungspartei], dass – kaum war der
       ÖVP-FPÖ-Sideletter bekannt – ein ähnliches Geheimpapier aus den
       Koalitionsverhandlungen vor zwei Jahren auftauchte. Anders als bei den
       Traditionsparteien werden bei den Grünen die wichtigen Entscheidungen vom
       Bundeskongress basisdemokratisch beschlossen. Eine Geheimabsprache, die
       nicht einmal allen Mitgliedern des Koalitionsverhandlungsteams bekannt war,
       birgt also gewaltige Sprengkraft innerhalb der Ökopartei.
       
       Die Grünen gingen nicht so weit, sich auf konkrete Personen festzulegen,
       ließen sich aber das Vorschlagsrecht für Verfassungsrichter oder auch
       [3][Spitzenfunktionäre im ORF] schriftlich zusichern. In einem politischen
       Abtausch akzeptierten sie dafür unter anderem den Wunsch der ÖVP, ein
       Kopftuchverbot für Lehrerinnen zu erlassen.
       
       Vizekanzler Kogler rechtfertigte sein Vorgehen nach dem Auffliegen des
       Deals damit, dass ohne diese Absprache die ÖVP alle Posten besetzt hätte.
       Und das Kopftuchverbot habe man hingenommen, weil es ohnehin vor dem
       Verfassungsgerichtshof nicht halten würde, es sei also ein „Nullum“. Warum
       hatte man es dennoch unterschrieben? Kogler: „Zur Psychologie der ÖVP ist
       dieser Satz stehengeblieben.“
       
       Der erwartbare innerparteiliche Shitstorm setzte trotzdem ein. Wiens
       Ex-Vizebürgermeisterin Birgit Hebein von der Fundifraktion sah die geheimen
       Absprachen, von denen sie selbst als Mitverhandlerin keine Kenntnis gehabt
       habe, als „irritierend“. Ex-Justizsprecher Albert Steinhauser sprach von
       einem „Kulturbruch“.
       
       ## Chance für mehr Transparenz
       
       Erstaunt über die Entrüstung zeigte sich allerdings Johannes Rauch,
       langjähriger Grünen-Chef in Vorarlberg: „Das ist Teil des politischen
       Geschäfts.“ Er will in der Veröffentlichung des Sideletters im Übrigen ein
       „Manöver“ der „beleidigten“ Gruppe um Ex-Bundeskanzler Kurz erkennen.
       
       Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), der nach dem überstürzten [4][Abgang von
       Kurz] im vergangenen Dezember um ein konstruktives Verhältnis mit den
       Grünen bemüht ist, hat den Verdacht indirekt bestätigt.
       
       Der Politologe Ennser-Jedenastik will den Grünen „mit einigem gutem Willen“
       bescheinigen, dass sie bei ihren Personalvorschlägen keine Günstlinge
       versorgen, sondern kompetente Personen nominieren. Sie hätten, anders als
       die FPÖ, „die Institutionen nicht fundamental untergraben“. Was den
       Sideletter an sich betrifft, so sei es gar nicht so einfach, mit einer
       lange Jahre geübten Tradition zu brechen. Hätten sich die Grünen geweigert,
       wäre das so etwas „wie einseitige Abrüstung“, die der ÖVP freie Hand für
       ihre Personalwünsche gegeben hätte.
       
       Die jetzige Aufregung könnte aber Reformen für mehr Transparenz anstoßen.
       Bei der nächsten Regierungsbildung würde bei der ersten Pressekonferenz
       sicher sofort nach Sideletters gefragt werden. Auch andere demokratische
       Reformen hätten ihren Ursprung in einem Skandal gehabt.
       
       3 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
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