URI:
       # taz.de -- Konferenz zur Biodiversität: Das Rennen um die Artenvielfalt
       
       > Dieses Jahr soll sie nun endlich stattfinden, die wichtige UN-Konferenz
       > zur Rettung der Natur. Ein Ziel wird das Finden einer klaren Richtung
       > sein.
       
   IMG Bild: Ach, Schmetterling, du bist so schön! Früher gab es mehr von deiner Art
       
       Berlin taz | Einen Marathonlauf ohne Ziel – das hat Corona aus der
       wichtigsten Weltnaturschutzkonferenz seit Jahren gemacht. Sich immer wieder
       neu für die Verhandlungen zu motivieren, sei herausfordernd, heißt es aus
       Zivilgesellschaft und Wissenschaft, aber das sei okay. Schließlich gehe es
       um viel, nämlich um die Rettung der Vielfalt des Lebens. [1][Eigentlich
       sollten sich die Mitgliedsstaaten der Biodiversitätskonvention (CBD) im
       Herbst 2020 im chinesischen Kunming versammeln] und ein neues Abkommen
       beschließen.
       
       Die Pandemie verhinderte das. Seitdem gibt es immer neue Termine und immer
       neue Absagen. Die neueste: Die wichtigen Vorverhandlungen, die für Januar
       in Genf angesetzt waren, sollen wegen der nahenden Omikron-Variante nun im
       Frühjahr, vielleicht Ende März stattfinden. Und einige Wochen oder Monate
       danach dann die große Mitgliedsstaatenkonferenz.
       
       Die Biodiversitätskonvention soll 1. die biologische Vielfalt erhalten, 2.
       ihre nachhaltige Nutzung regeln und 3. Profite, die mit biologischer
       Vielfalt erzielt werden, gerecht verteilen, fasst Thilo Maack von
       Greenpeace das Übereinkommen zusammen. Um dorthin zu kommen, setzen sich
       die Staaten Ziele, die sie in einem Zehnjahres-Zeitraum verwirklichen
       wollen. Solche Ziele gab es bislang auch schon.
       
       [2][Sie waren gut, wurden aber verfehlt]. „Es wird künftig darum gehen,
       nicht nur klare Ziele zu formulieren, sondern auch genügend Geld zur
       Verfügung zu stellen, um sie zu erreichen“, sagt Maack, „sie regelmäßig zu
       überprüfen und am besten auch Sanktionsmechanismen einzubauen, wenn sie
       nicht erreicht werden.“ Es geht um starke Vereinbarungen. Russland und
       China führen in den Verhandlungen die Länder an, die ein schwaches Abkommen
       anstreben. Die EU wird von Beobachtern als progressiv eingeschätzt (und die
       USA sind als Nichtmitglied der Konvention nur Zuschauende).
       
       ## Ziele der Klimaschützer schon in die Politik durchgedrungen
       
       Neidisch blicken die Artenschützer auf die Kollegen vom Klimaschutz. Seit
       den Verträgen von Paris haben die eine Zahl, die es einzuhalten gilt und an
       der sich politische Entscheidungen ausrichten können: 1,5 Grad. „Inzwischen
       gibt es in der Wirtschaft, im Finanzsektor und in der Politik Berichte,
       Maßnahmen und Richtlinien, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen“, sagt Florian
       Titze vom WWF. „Klimaschutz ist notwendig, das haben die wesentlichen
       Akteure inzwischen mehrheitlich verstanden.“
       
       Die Notwendigkeit, Biodiversität zu schützen, laufe hingegen in vielen
       wichtigen Bereichen noch unter dem Radar – „etwa im Finanzsektor“, sagt
       Titze. So werde im Zusammenhang mit Naturschutz meist über öffentliche
       Gelder gesprochen, etwa über den Abbau naturzerstörender Subventionen oder
       über Förderprogramme für den Artenschutz. „Bei Investitionen von Banken,
       Unternehmen oder Aktienfonds etwa in Projekte für Bergbau, Plantagen oder
       in Infrastruktur spielt Naturschutz so gut wie keine Rolle“, sagt Titze,
       „das muss sich ändern.“
       
       Ein positives Beispiel sei etwa [3][die EU-Taxonomie, die Kriterien für
       nachhaltige Anlagen aufstellt.] Der Schutz der Biodiversität ist dabei
       einer von sechs Bereichen. Auch was die neue Bundesregierung in ihrem
       Koalitionsvertrag zum Thema Artenschutz geschrieben hat, liest sich für die
       Umweltorganisationen erst mal gut. Die Erwartungen an die „grüne Achse“ aus
       Landwirtschafts-, Umwelt-, Wirtschafts- und Außenministerium sind enorm.
       „Die Ampel wird nicht nur daran gemessen, ob mit ihrer Politik das
       1,5-Grad-Ziel von Paris einzuhalten ist“, sagt Maack, „sondern auch daran,
       was sie gegen das Artensterben unternimmt.“
       
       ## 30 Prozent der Erde sollen unter Schutz stehen
       
       Um die Vielfalt der Arten und ihren Wert greifbarer zu machen, benutzen
       auch die Naturschützer inzwischen häufig eine Zahl: 30. 30 Prozent der Erde
       sollen, so steht es auch in den vorläufigen Verhandlungstexten, unter
       Schutz gestellt werden. In Europa bedeute das, extensiv genutzte
       Kulturlandschaften zu schützen, sagt Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum
       für Umweltforschung in Halle. Der renommierte Agrarökologe hat unter
       anderem an dem Bericht zur Lage der Arten und Ökosysteme mitgewirkt, der
       den Verhandlungen zur Biodiversitätskonvention zugrunde liegt.
       
       [4][Eine echte Wildnis ohne jede menschliche Nutzung] hält er in
       Deutschland nur für einen kleinen Teil der Fläche für sinnvoll. „Ganz
       überwiegend ist der Erhalt von extensiv genutzten Weideflächen, von Heiden
       oder Auenlandschaften gemeint“, sagt Settele. Auch an den wenigen Orten der
       Welt, wo noch intakte Urwälder vorkämen – etwa im Amazonas oder im Kongo –,
       lebten Menschen, deren Interessen geschützt werden müssten. „In den
       Regenwäldern haben die Menschen den Wald viel vorsichtiger beeinflusst“,
       sagt Settele, „auch hier können Totalreservate nicht das Ziel sein.“ Für
       die Natur sei der Mittelweg der beste: Pflanzen und Tiere müssten geschützt
       werden, der Mensch solle aber eine Rolle spielen.
       
       Doch welche? Und wer darf beim Natur-Monopoly die Miete kassieren? Auch
       darum geht es bei den weit verästelten Verhandlungen über ein neues
       Abkommen im Rahmen der CBD. Im beschaulichen Gatersleben in der fruchtbaren
       
       Mitte Sachsen-Anhalts arbeitet der Agrarwissenschaftler Andreas Börner am
       Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK).
       Auch er erwartet die Verhandlungen für ein neues Rahmenabkommen mit großem
       Interesse. Börner ist Herr über die Genbank der IPK, einer gewaltigen
       Sammlung von Samen. Rund 151.000 Samen von Gersten-, Roggen- und
       Weizensorten, von Erbsen, Linsen, Zwiebeln, Bohnen, Kohl, Salaten und
       Minzen überdauern in Einmachgläsern in einem großen Kühlraum bei Minus 18
       Grad Celsius die Zeiten. Die Genbank des IPK, das ist so etwas wie das
       Gedächtnis der deutschen Kulturpflanzenzucht.
       
       Jährlich wächst die Sammlung. Sorten, deren Zulassung beim Bundessortenamt
       in Hannover ausläuft und die von den Züchtern nicht mehr an Landwirte
       verkauft werden, wandern als Stichprobe nach Gatersleben. Der Schatz der
       Sammlung besteht aber in den alten Sorten, die schon seit den 1920er Jahren
       auf der ganzen Welt gesammelt und seit 1945 in Gatersleben aufbewahrt
       werden. „Diese Sammlungen wäre heute nicht mehr möglich“, sagt Börner.
       
       Früher schon, da brachen Expeditionen in die Mongolei auf, in den Iran,
       nach Albanien, Georgien, Tunesien oder Äthiopien und brachten von dort etwa
       Weizensorten mit, die in sehr heißen, trockenen Gebieten wuchsen:
       Gerstensorten, die auch mit geringen Mengen Salz auf dem Acker klarkamen.
       
       In Gatersleben sammelte man einige Exemplare, trocknete, beschrieb,
       archivierte sie und krümelte ihre Samenproben in Einmachgläser. Heute
       beugen sich Biologen und Bioinformatiker über diese Samen, sequenzieren
       ihre Genome und machen sie digital verfügbar. Mit diesen Daten können
       Wissenschaftler und Firmen weltweit Pflanzen erforschen, verändern und
       vermarkten. [5][Neue gentechnische Verfahren wie CRISPR/Cas] beruhen auch
       darauf, dass das Erbgut von Pflanzen digital verfügbar ist.
       
       Ein Beispiel: Die Gaterslebener Wissenschaftler entschlüsseln das Genom der
       salztoleranten Gerstensorte aus dem Iran und veröffentlichen es auf einer
       Open-Source-Plattform. Mit diesen Informationen können Pflanzenzüchter
       Sorten entwickeln, die die Eigenschaften moderner Gerste mit der
       Salztoleranz der alten verbinden. Dank der neuen gentechnischen Methoden
       geht das schneller und preisgünstiger als früher. Doch: „Unter welchen
       Bedingungen dürfen wir das künftig?“, fragt Börner. „Müssen wir den
       Herkunftsländern einen Wertausgleich erstatten, wenn wir Sorten aus ihrem
       Gebiet sequenzieren?“
       
       ## Neokolonialistischer Diskurs muss aufgebrochen werden
       
       Dahinter steht die Frage, wem der Artenreichtum der Welt gehört. „Lokalen
       Bevölkerungsgruppen, Konzernen, Nationen?“, fragt Josef Settele. Bei den
       Verhandlungen gehe es auch um nationale Souveränität, um die
       gemeinschaftliche Nutzung öffentlicher Güter und das Machtgefälle zwischen
       dem Globalen Norden und dem Süden. Sowohl dem Schutz der Biodiversität als
       auch ihrer Nutzung liege ein „neokolonialistischer Diskurs“ zugrunde, sagt
       Settele.
       
       Den gelte es zu entschärfen. Zum Beispiel, indem die Bedürfnisse und auch
       das Wissen indigener Völker in die Berichte und Verhandlungen einflössen –
       und zwar sachlich. „Indigen ist nicht automatisch gut“, sagt der
       Wissenschaftler, „auch hier gilt es, nachhaltige von zerstörerischer
       Nutzung zu unterscheiden.“
       
       Das Problem sei, sagt Greenpeace-Campagner Maack, dass China in den
       Verhandlungen zum neuen Abkommen relativ erfolgreich versuche, die Staaten
       des Globalen Südens um sich zu versammeln und ihre Interessen vorschiebe,
       um ein weniger starkes Abkommen durchzusetzen. Der Endlosmarathon kommt dem
       Land dabei offenbar durchaus gelegen.
       
       Doch noch ist das Rennen offen: Bislang haben auch die Naturschützer einen
       langen Atem.
       
       3 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Beginn-der-Weltnaturkonferenz/!5807014
   DIR [2] /Nabu-Praesident-zur-Klimakonferenz/!5811636
   DIR [3] /EU-Plaene-zu-nachhaltiger-Energie/!5825548
   DIR [4] /Naturschutzkonzept-Rewilding/!5722261
   DIR [5] /Akademie-fuer-neue-Agrogentechnik/!5762713
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Holdinghausen
       
       ## TAGS
       
   DIR Natur
   DIR Biodiversität
   DIR Artenvielfalt
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR EU-Taxonomie
   DIR klimataz
   DIR Kolumne Die Woche
   DIR Biodiversität
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Biodiversität
   DIR Biodiversität
   DIR Gesundheit
   DIR Klimakonferenz in Dubai
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Artensterben
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Razzia, Iran-Proteste, Kernfusion: Alte Ingenieursreligion
       
       Nancy Faeser will halbautomatische Waffen verbieten. Das iranische Regime
       richtet Protestierende hin. Und die Kernfusion macht falsche Hoffnungen.
       
   DIR UN-Biodiversitätskonferenz: Die Uhr tickt, die Welt verhandelt
       
       Bei dem internationalen Gipfel soll ein Abkommen zum Schutz der
       Biodiversität beschlossen werden. Doch die Zeichen stehen schlecht.
       
   DIR Museen warnen vor Artensterben: Ein dringender Appell
       
       Forschungsmuseen legen eine „Berliner Erklärung“ vor. Sie warnen vor den
       drohenden Verlust von bis zu einer Million Arten.
       
   DIR Artenschutz in Krisenzeiten: „Kein Nice-to-have in guten Zeiten“
       
       Das Artensterben gefährdet unsere Ernährung, warnt der Chef der
       Weltnaturschutzunion. Regierungen müssen handeln.
       
   DIR Digitale Sequenzinformationen: Wem gehört die Vielfalt?
       
       Dank öffentlich zugänglicher Erbgutdatenbanken werden Wirkstoffe wie
       Antibiotika hergestellt. Forscher haben nun untersucht, wer davon
       profitiert.
       
   DIR Gutachten zu „Planetarer Gesundheit“: Umweltschäden gefährden Gesundheit
       
       Forscher:innen untersuchen im Auftrag der Bundesregierung, wie sich der
       Zustand der Natur auswirkt.
       
   DIR Nabu-Präsident zur Klimakonferenz: „Wir erleben eine Krise der Natur“
       
       Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger warnt davor, die Biodiversität zu
       vernachlässigen. Warum die FDP und das Agrarministerium ein Problem sind.
       
   DIR Staaten versprechen Waldschutz: Kathedralen der Natur
       
       Regierungen und Unternehmen wollen die Entwaldung bis 2030 weltweit
       stoppen. Umweltschützer sind skeptisch, aber etwas mehr Hoffnung gibt es.
       
   DIR Kampf gegen das Artensterben: Schulze drängt auf Neustart
       
       Zum Auftakt der Weltartenschutzkonferenz im chinesischen Kunming fordern
       Politik und Umweltverbände mehr Schutz für Ökosysteme.