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       # taz.de -- Gefühle statt Handlungen: Wir stellen die falschen Fragen
       
       > Auch Journalist:innen rennen so manchem Trend hinterher. Die Folge:
       > Sie stellen dämliche Fragen. Eine entledigt gar Politiker ihrer
       > Verantwortung.
       
   IMG Bild: „Was macht das mit Ihnen?“, eine beliebte Frage derzeit im Journalimus
       
       Stellen Sie sich vor, Sie hören, wie eine hochseriöse Journalistin in einem
       hochseriösen Programm eines hochseriösen Radiosenders zu einer hochseriösen
       Sendezeit einem hochseriösen Politiker eine Frage stellt, die eine
       Prostituierte ihrem Freier stellen könnte: „Was macht das mit Ihnen?“
       
       Dem Anlass entsprechend würde die Prostituierte der Frage vielleicht noch
       die Worte „Na, Baby“ voranstellen: „Na Baby, was macht das mit dir?“, würde
       sie dann lauten. Der auf diese Weise Befragte würde die Frage zwar sehr
       genau verstehen, könnte aber trotzdem nicht sonderlich präzise darauf
       antworten. Denn, wer kann schon so genau sagen, was es mit einem macht,
       wenn man gerade mit jemandem rummacht? Der interviewte hochseriöse
       Politiker fand sich in genau dieser Lage wieder.
       
       Wenn etwas frühmorgens im Deutschlandfunk behandelt wird, ist es allerdings
       todernst und kein lustiges Vergnügen mit ironischen Anspielungen.
       Politikerinnen und Auskenner (meist im Bereich Natur- oder
       Gesundheitskatastrophen) tätigen dort Aussagen zum Ernst der Lage, an denen
       sich alle anderen den Tag über abarbeiten können.
       
       An besagtem Morgen (ein Oktobertag 2021) war es aber nicht der geladene
       Experte – es ging um EU-Zollfragen im Rahmen des Brexit –, der mir den
       Ernst der Lage erklärte. Es war die Interviewerin, die den Mann, der zu
       drohenden Vertragsverletzungsverfahren und einem Handelskrieg Auskunft
       geben sollte, allen Ernstes fragte: „Was macht das mit Ihnen?“
       
       Was er ihr antwortete, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass diese
       Frage mit mir etwas machte, das sich ungefähr so beschreiben lässt:
       „Uuaaaaaaaahhhh!!!!!!“
       
       ## Handlungen sind wichtig, nicht innere Zustände
       
       Talkmaster und Kamingesprächsführer im TV hatten diese „Was macht das
       mit?“-Frage kultiviert, mit der vorgetäuscht wurde, dass der Interviewer
       Politikern und VIPs so richtig auf die Pelle rücke, dass er so nah an sie
       rankomme wie sonst höchstens ihre Sexualpartner.
       
       Mittlerweile trifft man diese Frage überall da, wo das Geschäft mit Fragen
       gemacht wird: „Impfgegner organisieren sich im Netz. Was macht das mit der
       Gesellschaft?“ (Das Erste) – „Weihnachten online – was macht das mit uns?“
       (Der Tagesspiegel) – „Die Städter ziehen aufs Dorf. Aber was macht das mit
       dem Land?“ (FAZ) … Und auch die entsprechende Antwort wird inzwischen wie
       eine Nachricht behandelt: „Die taz-Fotografin Marily Stroux wurde 28 Jahre
       lang vom Hamburger Verfassungsschutz observiert. [1][‚Das macht was mit
       mir‘, sagt sie.“] (taz)
       
       Sicher, man kann Politiker und andere so fragen, wie man Kassierer im
       Laden anspricht: „Was macht das?“ (Antwort: „3,50 Euro.“) Aber eigentlich
       nur dann, wenn man diese Menschen als Patienten oder Geschlechtspartner auf
       seiner Couch oder als Testpersonen für ein neues Schlafmittel befragt.
       
       Politiker aber werden für das Preisgeben innerer Zustände weder gewählt
       noch bezahlt. Sondern dafür, dass sie ihren Job machen. Werden sie als
       Menschen mit Gefühlsleben befragt, nimmt man sie aus ihrer Verantwortung.
       Nicht, was etwas mit ihnen macht, sondern was sie selbst machen, ist das,
       was wir von ihnen wissen wollen sollten.
       
       ## Zunehmend seelsorgerische Betrachtung der Gesellschaft
       
       Alles überbewertet? Es ist doch nur eine Frage? Sicher, auch die Sprache
       von Journalisten folgt nur ganz gewöhnlichen Trends, die inzwischen
       seltener von „der Straße“ als von Twitter kommen. („Was macht das mit
       euch?“ wird dort gern über skurrile Fotos von Jan Josef Liefers in
       glitzerblauen Pluderhosen oder von Grünkohl mit Pinkel gestellt.)
       
       Auch an verwandten Trendfragen des Journalismus wie „Dürfen wir noch
       Discount-Ware kaufen?“ oder „Müssen wir jetzt alle Flugscham haben?“ lässt
       sich der gesellschaftliche oder teilgesellschaftliche Trend erkennen, der
       sich in der „Was macht das mit?“-Frage spiegelt: eine zunehmend
       seelsorgerisch ausgerichtete Betrachtung von Gesellschaft. Die Rede von
       „toxischen Beziehungen“, die Anzahl an neuen Sachbüchern, in denen es um
       Sinn, Selbstsorge und Seelenheil geht, geben davon Kunde.
       
       Wenn nun seriöse Journalisten die „Was macht das mit?-“Frage stellen,
       können sie keine seriösen Antworten erwarten.
       
       Es könnte natürlich sein, dass die Frage eine Verzweiflungstat ist, weil
       Politiker mittlerweile so durchgecoacht sind, dass sie auf so gut wie alle
       Fragen mit „Ach wissen Sie …“ antworten und dann irgendwas erzählen, was
       keine Antwort auf die Frage ist. Olaf Scholz beispielsweise könnte auf jede
       Frage antworten: „Ach wissen Sie, heute gab es in der Bundestagskantine
       Grünkohl mit Pinkel, das hat mir ganz gut geschmeckt.“ Und niemandem würde
       es auffallen, da er sowieso nie irgendwas Fundamentales zur Sache sagt.
       
       ## Das Kerngeschäft muss das Geschäft mit den Fragen bleiben
       
       Es könnte aber auch sein, dass man die Inszenierung der Politik
       verinnerlicht hat und glaubt, die politischen Probleme (wer bezahlt für was
       wie viel?) kämen über uns wie die Apokalypse, das Pfingstwunder oder
       Feenstaub. Und Menschen, die dafür gewählt und bezahlt werden, Politisches
       zu erkennen, zu entscheiden, zu kontrollieren und zu lösen, würden von
       ihrem Berufsfeld auch bloß angeweht wie vom Duft des Grünkohls (mit
       Pinkel).
       
       Die Pandemie bestärkt diesen Eindruck, und mit der relativen
       Unberechenbarkeit des Virus entschuldigen denn auch Politiker ihr Handeln.
       Und das fliegt ihnen nun heftig um die Ohren.
       
       Aber nur, weil das „Establishment“, „die Schwatzbude“, „die da oben“ und
       „die Presse“ – traditionelle Feindbilder des Rechtsextremismus – im Fokus
       von Protesten (Stuttgart), Putschversuchen (Washington, D. C.) und
       populistischen Regierungen (Boris Johnson) liegt und man Politiker und
       demokratische Institutionen vor pauschalisierenden Anfeindungen in Schutz
       nehmen möchte, sollte der Journalismus sein Geschäft nicht aufgeben: das
       Geschäft mit den Fragen.
       
       Zugegeben, die früher mal trendige Frageformulierung „Welche Auswirkungen
       hat (dieses und jenes) auf unsere Gesellschaft?“ war auch nicht präziser.
       Es wurde nur eine vulgärsoziologische (sagte man früher auch gern)
       Komponente hineingeheimst, während die derzeitige „Was macht das
       mit?“-Frage eine ist, auf die man eigentlich nur antworten kann:
       „Bauchschmerzen“. Oder: „Nichts“.
       
       Vielleicht wird auch einfach viel zu viel gefragt: Tausend Talkshows,
       tausend Podcasts – ständig wird irgendwer zu irgendwas befragt, und man
       fragt sich schon, wann die Leute eigentlich was machen, wenn sie ständig
       darüber reden, was das mit ihnen macht.
       
       Dabei ist die Frage als solche, also der Interrogativsatz, ein Gut von
       höchstem Wert. Man sollte sie auch so behandeln. Als ein Objekt mit Würde.
       Denn nur, weil es heißt, dass es keine dummen Fragen gäbe, ist nicht
       ausgemacht, dass diese Aussage einer wissenschaftlichen Überprüfung
       standhalten würde.
       
       2 Jan 2022
       
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