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       # taz.de -- Mboro über Totenschädel aus Tansania: „Die Toten zu Hause beerdigen“
       
       > Mnyaka Sururu Mboro kämpft seit Jahren für eine Aufarbeitung der
       > deutschen Kolonialzeit. Zusammen mit anderen gründete er den „Berlin
       > Postkolonial“.
       
   IMG Bild: Mnyaka Sururu Mboro im Büro der „Dekoloniale“, einem Projekt zur Berliner Kolonialgeschichte
       
       taz: Herr Mboro, mit welchem Namen rufen Sie Ihre Freunde? 
       
       Mnyaka Sururu Mboro: Sie nennen mich Mboro. In Tansania ruft man sich
       eigentlich nur mit dem Familiennamen. Vielleicht fragt man dann: Welcher
       Mboro? Dann kommt man ins Gespräch. Man fragt nach dem Ort, Verwandten und
       so weiter. Meine Geschwister heißen ja auch Mboro. Allerdings lieben sie
       es, ihre christlichen Vornamen zu benutzen. Ich dagegen habe meine schon
       1968 abgelegt.
       
       Warum? 
       
       Es sind fürchterliche Namen. Ludwig Johann!
       
       Wer hat sie so genannt, Ihre Eltern? 
       
       Natürlich nicht. Ich bin ja noch in der Kolonialzeit geboren. Mein Dorf am
       Fuß des Kilimandscharo war katholisch, die Kolonialherren hatten die Dörfer
       entlang der Flussgrenzen eingeteilt: eins katholisch, das nächste
       evangelisch. Man durfte nicht mal heiraten über die Grenzen hinweg! Wer
       sich nicht taufen lassen wollte, wurde ausgestoßen aus der Gemeinschaft und
       – das war das Schlimmste – dessen Kinder durften nicht in die Schule gehen.
       Es gab ja nur die Missionsschulen. An meinem 8. Lebenstag wurde ich also
       getauft. Der Priester im Dorf war Franzose und hieß Ludwig, Johann war der
       Taufname von meinem Vater. Er war Lehrer in der Missionsschule. Ich sollte
       Priester werden.
       
       Wie kam das? 
       
       Meine Eltern hatten vor der Heirat eine sexuelle Beziehung miteinander,
       obwohl meine Mutter Nonne war. Als das rauskam, gab es natürlich großen
       Ärger. Am Ende durften sie heiraten, aber der Vatikan bestimmte, das
       erstgeborene Kind solle Priester oder Nonne werden. Ich bekam schon früh
       eine gesonderte Ausbildung, Klavier und Orgel zum Beispiel. Darauf war ich
       sehr stolz, das ganze Dorf war stolz, sogar das Nachbardorf. Ich wäre der
       erste einheimische Priester gewesen, das waren sonst immer nur Weiße.
       
       Wieso kam es nicht dazu? 
       
       Zuerst wollte mein Vater nicht. Als ich 14 Jahre alt, sollte ich nach
       Buffalo, USA, in ein Priesterseminar gehen. Ich war schon am
       Regionalflughafen, als mein Vater mit einem Gewehr kam: „Mein Sohn fährt
       nirgendwo hin!“, rief er und holte mich aus der Maschine.
       
       Wie war das für Sie? 
       
       Eine Katastrophe, es war mir peinlich. Mein Vater hatte sowieso andauernd
       Ärger, kam immer wieder für ein paar Tage ins Gefängnis, weil er Streit mit
       Weißen hatte. Er war ein Rebell. Später habe ich ihn verstanden und das
       Priesterseminar in Tansania, wo ich statt nach Buffalo hingegangen war,
       verlassen. Da hat sich mein Vater gefreut.
       
       Wie kamen Sie nach Berlin? 
       
       Ich habe erst mal Bauingenieur in Tansania und Kenia studiert. Damals war
       Tansania gerade unabhängig geworden, alles war abhängig von
       Entwicklungshilfe, die Europäer haben Schulen und Hochschulen gebaut und
       Lehrer gestellt. Ich gehörte zur ersten Generation afrikanischer
       Ingenieure. Eigentlich hätte ich nach dem Abschluss lieber bei der State
       Mining Company gearbeitet und eine Menge Geld verdient. Aber ich musste
       erst mal Lehrer werden, mein kostenloses Studium abarbeiten. Dann hat die
       BRD angefangen, eine technische Hochschule in Aruscha aufzubauen, das ist
       in der Nähe meines Heimatorts, und ich sollte dabei helfen. Aber ich wurde
       den Deutschen zu unbequem, habe viel Ärger gemacht. Zum Beispiel weil für
       die europäischen Lehrer Häuser mit Swimmingpools gebaut wurden, anders als
       für die afrikanischen. Da haben sie mich nach Deutschland geschickt, um
       einen Master zu machen.
       
       Die wollten Sie loswerden? 
       
       Ja. So kam ich 1978 nach Mannheim, habe 10 Wochen einen
       Intensiv-Deutschkurs gemacht. Wir waren dort 158 Lehrer aus der sogenannten
       Dritten Welt, aus Afrika, Asien, Lateinamerika. Aber die Gegend war mir zu
       rassistisch. Wenn ich zum Beispiel durch Heidelberg gelaufen bin, haben mir
       die Kinder „Sklave“ hinterhergerufen – damals lief gerade die Serie „Roots“
       im Fernsehen. Auch hatten viele etwas gegen Schwarze, sie haben uns für
       US-Soldaten gehalten, die hatten einen sehr schlechten Ruf.
       
       Ach ja? 
       
       Ja, die hatten ihre eigenen Geschäfte, eigene Diskos. Jedenfalls wurde ich
       oft nicht in deutsche Cafés oder Restaurants gelassen. Da wollte ich zurück
       nach Tansania.
       
       Und? Sind Sie? 
       
       Nein, leider nicht. Ich wollte, aber meine Stipendium-Geber, das Ganze war
       ja finanziert über das Entwicklungshilfeministerium, wollte mich unbedingt
       in Deutschland halten. Und weil ich immer wieder in Westberlin gewesen war
       zu Seminaren und mir das ganz gut gefiel, bin ich dann hierher gekommen.
       
       Was gefiel Ihnen an Berlin? 
       
       Zunächst vor allem, dass ich hier Afrikaner kennengelernt habe, die meisten
       waren Studenten oder Akademiker, viele Kommunisten darunter. Das war anders
       als heute, wo die meisten Afrikaner, die kommen, mittellose Flüchtlinge
       sind. Ich fühlte mich wohl, fand ein Studentenzimmer, es gab sogar eine
       afrikanische Disko damals in Westberlin.
       
       Sie haben dann bald begonnen, sich für Straßenumbenennungen und dekoloniale
       Erinnerungsprojekte einzusetzen. Wie kam das? 
       
       Der Kolonialismus und seine Folgen hat mich, wie gesagt, von Geburt an
       begleitet. Außerdem gab es die Geschichten von meiner Oma. Sie hat mir viel
       von der deutschen Kolonialzeit erzählt, zum Beispiel vom Kampf von Mangi
       Meli gegen die Deutschen. Er war ein Fürst aus unserer Gegend, 1900 wurde
       er zusammen mit 16 anderen gehängt. Er wurde enthauptet, sein Kopf wurde
       für rassistische Forschungen nach Berlin gebracht. Als ich meiner Oma
       erzählt habe, dass ich nach Deutschland gehe zum Studieren, war sie
       überglücklich: Sie dachte, ich gehe, um Mangi Melis Kopf nach Hause zu
       holen.
       
       Stimmt es, dass Sie immer noch danach suchen? 
       
       Ja, leider habe ich ihn noch nicht gefunden. Ich habe meiner Oma
       versprochen, ihn zurückzubringen, sie war für mich der beste Mensch der
       Welt. Aber natürlich geht es nicht nur um ihn: Es gibt ja Tausende Köpfe
       und menschliche Überreste in den Depots der Museen hier. Die allermeisten
       Menschen in meiner Heimat sind überzeugt, dass die Toten zurückgebracht und
       zu Hause beerdigt werden müssen.
       
       Das ist auch hier nicht mehr umstritten. Sogar die [1][Stiftung Preußischer
       Kulturbesitz] (SPK), der mehrere Berliner Schädelsammlungen gehören, will
       Rückgaben menschlicher Überreste. 
       
       Sie sagen das, aber passiert ist noch nichts. Als wir vom Tansania-Netzwerk
       vor einigen Jahren mal angefragt haben, haben sie sogar erst mal gesagt,
       sie hätten gar keine Gebeine aus Tansania.
       
       Das war gelogen? 
       
       Natürlich! Ich wusste das, weil im Jahr 2000 die Nachkommen von Mangi Meli
       zwei deutsche Wissenschaftler beauftragt hatten, in Berlin nach ihm zu
       suchen. Und die haben in der Virchow-Sammlung der Charité sogar 70 bis 80
       Köpfe aus Tansania gefunden. Trotzdem hat die SPK zunächst anderes
       behauptet. Aber irgendwann mussten sie es zugeben, sogar dass sie insgesamt
       über 8.000 menschliche Überreste aus der ganzen Welt haben. Wir haben
       einfach zu viel Druck gemacht! So hat die SPK dann auch zugestimmt, eine
       [2][Provinienzforschung] zu starten. Sie haben rund 1.200 Köpfe erforscht
       aus Ostafrika. Ergebnis: 900 sind aus Ruanda, 300 aus Tansania.
       
       Sind die zurückgegeben? 
       
       Natürlich nicht! Offenbar betreibt die SPK hier eine Verzögerungstaktik.
       Warum, verstehe ich nicht.
       
       Wie ist es mit den ethnologischen Sammlungen? Auch hier gibt sich die SPK
       offen, verspricht Rückgaben. Wie schätzen Sie das ein? 
       
       Da muss ich etwas zurückgehen. 2005 habe ich mit der tansanischen Community
       einen Trauermarsch organisiert zu 100 Jahre Magi-Magi-Krieg. Sie wissen,
       bei diesem Aufstand im damaligen Deutsch-Ostafrika wurden zwischen 300.000
       und 500.000 Menschen ermordet. Wir haben damals einige Veranstaltungen
       gemacht, auch zu den ethnologischen Sammlungen. Und der Direktor des
       Ethnologischen Museums hat uns seinerzeit nicht nur erlaubt, in den Kellern
       des Museums die Objekte aus Tansania anzuschauen.
       
       Ach was! 
       
       Ja! Er hat auch seine Bereitschaft erklärt, die Objekte zurückzugeben.
       Später wollte er davon wohl nichts mehr wissen. Wir konnten ihn nicht mehr
       erreichen, er hat den Kontakt abgeblockt, dann ging er in Rente.
       
       Und dann? 
       
       Haben wir erst recht angefangen, die Rückgabe der Objekte zu fordern, nicht
       nur aus Tansania, auch aus den anderen ehemaligen Kolonien. Wir haben uns
       zusammengetan mit anderen Gruppen. Nach der Grundsteinlegung fürs Humboldt
       Forum 2013 ging es richtig los: Wir haben das [3][Bündnis NoHumboldt21]
       gegründet und immer wieder Proteste organisiert, demonstriert.
       
       Und das hat ja durchaus etwas gebracht! Heute will die Stiftung Preußischer
       Kulturbesitz zum Beispiel die [4][Benin-Bronzen] zurückgeben. Sie redet
       jetzt immer davon, „auf Augenhöhe“ mit den Herkunftsgesellschaften zu
       verhandeln. Das ist doch Ihr Verdienst! 
       
       Ja, das ist ein Fortschritt, das kann man nicht bestreiten. Aber es ist bei
       weitem nicht genug! Sie sagen, sie seien bereit, die [5][Benin-Bronzen]
       zurückgegeben – aber warum erst nächstes Jahr? Da braucht man ja keine
       Provinienzforschung machen, über die Bronzen ist alles bekannt! Meine
       Erfahrung sagt mir: Die SPK kauft mit solchen Bekundungen Zeit! Sie
       verzögert das Ganze, weil sie etwas vorhat. Zum Beispiel mit Nigeria eine
       Vereinbarung zu erreichen, dass ein guter Teil der Bronzen doch hierbleibt.
       Die spielen nicht offen. Und es geht ihnen um noch etwas anderes.
       
       Was? 
       
       Ich denke, sie wollen vor allem eine gute Publicity. Sie wollen in der Welt
       so dastehen, dass Deutschland bereit sei, Kolonialgüter zurückzugeben.
       Schön, aber warum wollen sie zuerst das zurückgeben, was die Engländer
       geplündert und die Deutschen von ihnen gekauft haben? Warum beschäftigen
       sie sich nicht mit den Objekten, die die Deutschen selbst geplündert haben
       in ihren Kolonien?
       
       Machen sie das nicht? 
       
       Nein, das ist alles verlogen. Das hat man beim [6][Tansania Lab] gesehen.
       Bei diesem Projekt hat das Ethnologische Museum zusammen mit Ethnologen und
       Museumsleuten aus Tansania Objekte erforscht. Aber bis heute gibt es keine
       Rückgaben. Nach außen sieht das immer gut aus: Schaut mal, wie toll wir
       kooperieren mit den Kollegen der Herkunftsländer. Aber heraus kommt dabei
       nichts! Mit Namibia war es dasselbe, da gab es auch Forschungsprojekte.
       Aber Rückgaben? Eine Witbooi-Bibel und die Kreuzkap-Säule wurden 2019 an
       Namibia restituiert. Was soll das? Das eine ist christliches Zeugs, das
       Zweite ist ein Erinnerungsstück der Portugiesen an den Beginn ihrer
       Eroberungen in Afrika.
       
       Dennoch wollte die namibische Regierung beides zurückhaben. 
       
       Ach, das ist alles Quatsch. Mit unserer Geschichte haben diese Dinge nicht
       wirklich zu tun, weder vom Stoff her noch vom Aussehen, noch von der
       Bedeutung.
       
       Ein Punkt, wo Sie aber wirklich erfolgreich waren, sind
       Straßenumbenennungen. Nach Jahren der Proteste soll nun sogar [7][die
       M*-Straße] umbenannt werden. Manchen weißen Berliner*innen geht das zu
       weit, sie sagen, M* sei gar kein rassistischer Begriff. Was erwidern Sie
       darauf?
       
       Das M*-Wort ist rassistisch, ähnlich wie das N*-Wort. Die M* waren Sklaven,
       die im 17. und 18. Jahrhundert nach Berlin gebracht wurden. Der Große
       Kurfürst war seit 1683 im Sklavenhandel mit Ghana engagiert, über 20.000
       Sklaven hat er in die Karibik und die USA bringen lassen. Ein Teil davon
       könnte auch nach Berlin gekommen sein. Die Sklaven wurden in der Nähe der
       M*-Straße untergebracht und als Diener ausgebildet für die reichen Leute.
       Auch die Konnotation des Wortes ist eindeutig: faul, störrisch, ungläubig.
       Die Mauren und damit die „Mohren“ waren ja auch die Ungläubigen. Es gibt
       keine positive Bedeutung.
       
       Dennoch sagen nicht wenige Weiße: Auch das gehört zu unserer Geschichte,
       die M*-Straße ist Teil davon, das soll man nicht tilgen. 
       
       Dann sage ich: Wir wollen diese Geschichte gar nicht löschen. Wir machen
       sie mit unserer Umbenennung erst lebendig. Die Bedeutung und Herkunft des
       Wortes kennt doch niemand, der an der M*-Straße vorbeigeht und das Wort auf
       dem U-Bahn- oder Straßenschild liest. Aber wir werden darüber informieren,
       wir machen eine große Tafel, in zwei oder drei Sprachen, zum M*-Wort und
       zum neuen Namensgeber Anton Wilhelm Amo. Den haben wir nämlich nicht nur
       ausgewählt, weil er der erste Schwarze Studierte in Europa war Anfang des
       18. Jahrhunderts. Er war auch ein Sklave, als er mit 3 bis 5 Jahren hierher
       kam aus Ghana und dieser Herzog-Familie in Braunschweig gschenkt wurde.
       
       Er wurde ein Haus-M*? 
       
       Ja. Aber die Familie hat ihn auch zur Schule geschickt und zum Studium, er
       wurde Philosoph und Jurist, unterrichtete in Wittenberg. Aber er hat
       gelitten unter dem Rassismus damals, auch von seinen Kollegen, und ist
       zurückgegangen nach Ghana. All das wird auf der Tafel erklärt werden. Wer
       das liest, wird dieses Wort nicht länger verharmlosen können. Es ist ein
       furchtbares Wort, schlimmer als eine Beleidigung. Ich weiß nicht, warum es
       so schwierig ist, das zu verstehen.
       
       Wenn Sie zurückblicken auf Ihre mehr als 40 Jahre in Deutschland: Hat sich
       der Rassismus verändert? 
       
       Eigentlich nicht. Aber heute wird er offen gezeigt, das hat man sich früher
       nicht getraut. Trotzdem sagen auch heute noch viele Menschen, die selbst
       nicht von Rassismus betroffen sind, es sei nicht so schlimm, es gebe ja gar
       nicht so viele Rassisten. Wir wissen es besser. Wir sind jeden Tag mit
       ihnen konfrontiert, waren es immer schon.
       
       Kein Grund, optimistisch zu sein? 
       
       Es wird zu wenig getan von der Politik, das ist klar. Zum Beispiel dagegen,
       dass immer wieder Schwarze in Polizeihaft sterben: Was ist mit [8][Oury
       Jalloh] und all den anderen? Wir wissen, dass es unter Polizisten viele
       Rassisten gibt. Dennoch verliere ich den Mut nicht: Früher hat uns niemand
       zugehört, wenn wir uns beschwert und geklagt haben. Heute muss man uns
       zuhören. Das hat sich schon verbessert. Das N*-Wort darf man heute auch
       nicht mehr benutzen, das weiß jeder. Auch ein kleiner Fortschritt.
       
       Manche sagen, weil man solche Worte verbietet, verschwindet nicht der
       Rassismus. 
       
       Und ich sage, Rassismus ist wie eine unheilbare Krankheit: Wenn es ein
       Medikament gegen die Schmerzen gibt, nimmt man es, auch wenn es nicht
       gesund macht. Diese bittere Pille müssen die Weißen schlucken.
       
       15 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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