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       # taz.de -- Plagiatsvorwürfe gegen Baerbock: In der Klemme
       
       > Die Grünen beklagen eine Rufmord-Kampagne gegen ihre Kanzlerkandidatin
       > Annalena Baerbock. Ein Plagiatsjäger will ihr Buch weiter checken.
       
   IMG Bild: Ein Plagiatsjäger nimmt Annalena Baerbocks Buch auseinander
       
       Berlin taz | Eigentlich hatten sich die Grünen vorgenommen, einen
       sachlichen, im Ton moderaten Wahlkampf zu führen. Eigene Inhalte ins
       Schaufenster stellen, bloß nicht zu viel über andere reden, lautete die
       Devise.
       
       Aber nach den [1][Vorwürfen eines österreichischen Plagiatsjägers] gegen
       Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock schießen sie mit großem Kaliber zurück.
       Sie haben mit Christian Schertz einen der prominentesten Medienanwälte
       Deutschlands beauftragt, ihre führenden Leute empören sich reihenweise auf
       Twitter. Wahlkampfmanager Michael Kellner fasst die grüne Gefühlslage so
       zusammen: „Es ist der perfide Versuch eines Rufmordes aus Angst vor einer
       grünen Kanzlerin.“
       
       Wer mit Grünen über die Angelegenheit spricht, bekommt ehrlich empfundene
       Empörung zu hören. Franziska Brantner, die europapolitische Sprecherin der
       Bundestagsfraktion, fühlt sich auf Twitter an amerikanische Wahlkämpfe
       erinnert. „Die ganze Strategie ist doch die von Steve Bannon – ‚Flood the
       zone with shit‘ – um ja nicht die wirklichen politischen Diskussionen zu
       führen, die angesichts der Herausforderungen zu führen sind.“ Jürgen
       Trittin schimpft über eine „Dreckskampagne“ der Bild-Zeitung.
       
       So ähnlich wird es auch in der Grünen-Zentrale gesehen – auch wenn man es
       etwas moderater formuliert. Seit Annalena Baerbock im April zur
       Kanzlerkandidatin gekürt worden sei, beobachte man eine Kampagne in
       sozialen Netzwerken, verstärkt von Medien wie der Bild-Zeitung, sagt ein
       Stratege.
       
       Kleinigkeiten würden skandalisiert, die erkennbar auf die Person Baerbock
       und ihre moralische Integrität zielten – und nicht auf die Sache. „Immer in
       der Hoffnung, irgendwas bleibt schon hängen.“ Deshalb sei es notwendig, ein
       „Stoppsignal“ zu setzen – und mit Promi-Anwalt Schertz das Waffenarsenal zu
       zeigen.
       
       ## Verdacht auf Copy and Paste
       
       Die Ursache der Aufregung hatte am Dienstag der österreichische
       Plagiatsprüfer Stefan Weber geliefert. Weber lebt davon, wissenschaftliche
       Arbeiten zu checken. Auf seiner Website wirbt er damit, Doktorarbeiten,
       Texte oder Gerichtsgutachten auf ihre Qualität und Korrektheit zu prüfen –
       die Plagiatsprüfung einer fremden Arbeit kostet beispielsweise 8 Euro pro
       Seite.
       
       Er sei habilitierter Kommunikationswissenschaftler und Lektor an der
       Universität Wien und setze führende Plagiatssoftware ein, schreibt er im
       Werbetext. Weber veröffentlichte am Dienstag in seinem Blog eine Bombe,
       nämlich mehrere Textstellen, bei denen Baerbock in ihrem kürzlich im
       Ullstein Verlag erschienenen Buch „Jetzt“ von nicht genannten Quellen
       abgeschrieben haben soll.
       
       Weber sagt, er habe mit einer Software bisher zwölf Plagiatsfragmente
       gefunden. [2][Fünf davon dokumentierte er in seinem Blogbeitrag.] Ein paar
       Beispiele:
       
       Auf Seite 79 ihres Buches schreibt Baerbock über den Klimawandel und
       Wirtschaft.
       
       „Der Klimawandel wirkt sich auf die gesamte Wertschöpfungskette von
       Unternehmen aus, etwa durch den extremwetterbedingten Ausfall von
       Zulieferern, durch Schäden an Straßen, Schienen und Gebäuden oder durch
       Rohstoffknappheit.“ 
       
       Sehr ähnlich heißt es in dem Blog „Klimawandel – Challenge Accepted“:
       
       „Der Klimawandel wirkt sich auf die gesamte Wertschöpfungskette von
       Unternehmen aus: Sei es durch den extremwetterbedingten Ausfall von
       Zulieferern, Schäden an Verkehrsinfrastrukturen oder Gebäuden oder
       Änderungen der Beschaffenheit oder Verfügbarkeit von Rohstoffen.“ 
       
       ## Nur das Gendersternchen ist neu
       
       Auf Seite 174 schildert Baerbock, wie sie Zeugin der EU-Osterweiterung in
       Frankfurt (Oder) wurde. Sie schreibt:
       
       „Insgesamt zehn Staaten traten an diesem Tag der Europäischen Union bei:
       die baltischen Staaten und ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland
       und Litauen, außerdem Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, die frühere
       jugoslawische Teilrepublik Slowenien sowie die beiden Mittelmeerstaaten
       Malta und Zypern. Die EU wuchs von 15 auf 25 Mitglieder – und begrüßte
       damit rund 75 Millionen neue Unionsbürger*innen.“ 
       
       In einem Rückblick der Bundeszentrale für politische Bildung aus dem Jahr
       2019 heißt es – bis auf das Gendersternchen – wortgleich:
       
       „Insgesamt zehn Staaten traten an diesem Tag der Europäischen Union bei:
       die baltischen Staaten und ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland
       und Litauen, außerdem Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, die frühere
       jugoslawische Teilrepublik Slowenien sowie die beiden Mittelmeerstaaten
       Malta und Zypern. Die EU wuchs von 15 auf 25 Mitglieder – und begrüßte
       damit rund 75 Millionen neue Unionsbürgerinnen und -bürger.“ 
       
       Auch beim Spiegel soll sich Baerbock ohne Quellenangabe bedient haben. Sie
       schreibt auf Seite 89 von „Jetzt“:
       
       „In Amsterdam ist ein 130 Meter hohes Holzhochhaus geplant, in Chicago ein
       228 Meter hohes und in Tokio eines mit 350 Metern Höhe.“ 
       
       Das Nachrichtenmagazin schrieb vor knapp zwei Jahren in einem Text:
       
       „In Amsterdam ist ein 130 Meter hohes Holzhaus geplant, in Chicago ein 228
       Meter großes und in Tokio eines mit 350 Meter Höhe.“ 
       
       ## Die Konkurrenz lästert
       
       Die von dem Plagiatsjäger angegebenen Textstellen, die hier aus
       Platzgründen nicht komplett zitiert werden, lesen sich, als habe da jemand
       mit Copy-and-paste Sätze übernommen – und anschließend ein paar Wörter
       geändert, damit dies nicht so auffällt.
       
       Die Konkurrenz der Grünen nimmt die Vorlage dankbar auf. Annalena Baerbock
       werde zu „Schummel-Baerbock“, lästert CSU-Generalsekretär Markus Blume.
       „Ein wenig den Lebenslauf geschönt, die eigenen Nebeneinkünfte verschleiert
       und jetzt ein Buch in Teilen zusammenkopiert.“ Das sei keine Kampagne
       Dritter, „sondern das sind schwere Kandidatenfehler.“
       
       FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann sieht es gelassener. „Bei
       Baerbock ist die Sache selber im Grunde eine Kleinigkeit“, sagt er. „Mir
       wäre lieber, wir würden über die Modernisierung von Staat, Infrastruktur
       und sozialem Sicherungssystem sprechen.“
       
       Für die Grünen-Kanzlerkandidatin Baerbock ist der Fall äußerst peinlich.
       Nicht etwa, weil juristische Folgen zu erwarten wären – dafür sind die
       Vorwürfe zu irrelevant. Grünen-Anwalt Schertz schreibt in einer
       Stellungnahme, er könne „nicht im Ansatz eine Urheberrechtsverletzung
       erkennen“, da es sich um die Wiedergabe allgemein bekannter Fakten sowie
       politischer Ansichten handele. Damit dürfte er richtig liegen.
       
       ## Es bleibt etwas hängen
       
       Aber es geht nicht nur um justiziable Folgen. Wichtiger ist die politische
       Wirkung für Baerbocks Glaubwürdigkeit. Nachdem sie Nebeneinkünfte zu spät
       meldete und [3][Ungereimtheiten in ihrem Lebenslauf] korrigieren musste,
       bleibt nun der Eindruck hängen, dass auch ihr Buch handwerklich ungenau
       gearbeitet ist.
       
       Sie hat das Buch – eine Mischung aus biografischen Details und politischen
       Anliegen – zusammen mit dem Autor Michael Ebmeyer verfasst. Dass Politiker
       Ghostwriter für eigene Werke beschäftigen, ist nicht unüblich. Ebmeyer
       arbeitete etwa auch an einem Buch von Außenminister Heiko Maas über
       Strategien gegen Rechts mit.
       
       Baerbock hatte ihr Buch Mitte Juni vorgestellt – auf der Dachterrasse des
       Hauses der Kulturen der Welt in Berlin. Damals hatte sie gesagt, mit
       Ebmeyer im Dezember und Januar ausführliche Gespräche geführt zu haben. Auf
       Basis der abgeschriebenen Unterhaltungen habe sie dann das Buch
       geschrieben. Das heißt: Falls es ein Copy-and-paste-Problem gibt, ist nicht
       der Ghostwriter schuld.
       
       Plagiatsjäger Weber wehrt sich gegen Vorwürfe in sozialen Netzwerken, er
       handle aus finanziellen Interessen. „Ich habe keinen Auftraggeber und
       bekomme für meine Nachforschungen zu Annalena Baerbock kein Geld“, sagte
       Weber der taz am Mittwoch. „Ich mache das unbezahlt aus wissenschaftlichem
       Interesse und reiner Neugier. Natürlich ist da auch ein bisschen
       sportlicher Ehrgeiz im Spiel, es geht ja um eine Kanzlerkandidatin.“
       
       Neuer Ärger für die Grünen könnte sich auch anbahnen. Es entspreche seiner
       langjährigen Erfahrung, dass mit Software entdeckte Erstfunde „sehr häufig
       auf noch weitere abgeschriebene Stellen hinweisen“, sagte Weber. Der
       Österreicher will Baerbocks Buch nun mit manuellen Methoden weiterprüfen.
       Mit einem Endbericht sei etwa Ende Juli zu rechnen.
       
       30 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kanzlerkandidatin-der-Gruenen/!5779213
   DIR [2] https://plagiatsgutachten.com/blog/plagiatsvorwurf-gegenueber-annalena-baerbocks-buch-jetzt-wie-wir-unser-land-erneuern/
   DIR [3] /Lebenslauf-von-Annalena-Baerbock/!5773040
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
       
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