URI:
       # taz.de -- Streit um Jazzhaus in Berlin: Noch viel Raum für Improvisation
       
       > Berlins Jazzszene ist renommiert und soll nun ein „Zentrum für Jazz“
       > kriegen – in der Alten Münze. Doch dort waren auch andere Nutzungen
       > vorgesehen.
       
   IMG Bild: Hier wurde einst Geld geprägt. Was kommt als nächstes? Alte Münze in Berlin
       
       Berlin taz | Das Schlimmste von Corona scheint erst einmal überstanden zu
       sein. Der Sommer kommt, und Kultur findet wieder statt. Allerdings: Dieses
       Gefühl hatte man vergangenes Jahr um diese Zeit schon einmal, als nach dem
       ersten Lockdown zumindest Draußen-Konzerte wieder gespielt werden durften.
       Das kleine Festival „Jazz am Kaisersteg“ in Schöneweide machte damals
       Anfang Juli den Auftakt zu einer Freiluftsaison, die trotz Corona noch ganz
       schön wurde. Bis die zweite Welle und ein entsetzlicher Krisenwinter kamen,
       aber das ist eine andere Geschichte.
       
       „[1][Jazz am Kaisersteg]“ läutet nun erneut den Livekonzert-Sommer 2021
       ein. Die Inzidenzzahlen machen Mut, die Impfungen schreiten voran – das
       könnte also etwas werden. Am 5. Juni findet jedenfalls das erste Konzert im
       Rahmen dieses Festivals statt; bis Ende September wird man dort auf der
       Freilichtbühne in Treptow Musik erleben können.
       
       Der Festivalbeginn ist auch die halb offizielle Auftaktveranstaltung zur
       dritten Jazzwoche, die am 7. Juni startet und bis 13. Juni läuft. Anders
       als in Schöneweide wird man hier jedoch den Konzerten und
       Diskussionsveranstaltungen noch einmal nur digital beiwohnen können. Die in
       diversen Berliner Clubs gegebenen Liveperformances werden gestreamt, die
       Panels ebenso.
       
       Bei einer der Gesprächsrunden während der Jazzwoche wird es auch um einen
       Ort gehen, der gerade erst am Entstehen ist und nicht vor 2026 in seiner
       gedachten Form als Kulturstätte fertig sein wird: die Alte Münze in Mitte.
       Auf dem Gelände soll das [2][„Zentrum für Jazz und improvisierte Musik“]
       entstehen. Ein „Kulturort der Begegnung und des transdisziplinären
       Austauschs“, wie sich das Kathrin Pechlof wünscht, die Geschäftsführerin
       der IG Jazz, die die Konzeption des Jazzzentrums federführend begleitet.
       
       Pechlof spricht von einer „Ankerinstitution“, einem „Gravitationszentrum“
       und einem „Katalysator“, der für die vielfältige lokale, aber auch
       bundesweite Jazzszene entstehen soll. Und von einer „Riesenchance“, dem
       Jazz und der improvisierten Musik, die meist unter eher prekären
       Bedingungen entstehen, ein besseres Standing zu geben. Freilich sei bei der
       genauen Ausgestaltung des Jazzhauses noch alles im Fluss, sagt sie. Wie es
       einmal genau aussehen soll und ob es überhaupt hundertprozentig kommt,
       stehe „immer noch in den Sternen“.
       
       Da es in der Szene sehr viel Gesprächsbedarf dazu gibt, was das geplante
       Jazzzentrum neben Proberäumen, Aufnahmestudios und Konzerten alles bieten
       und wofür es genau stehen soll, wird nun auch bei der Jazzwoche noch einmal
       über dieses Thema geredet: Mit den reichlich umständlichen Worten
       „Institutionalisierung als probates Mittel zum Aufbau von Resilienz im
       Bereich des Jazz und der improvisierten Musik?“ ist eine der
       Diskussionsrunden überschrieben.
       
       Man achte dabei auch auf das Fragezeichen im Titel. Es wird also nicht als
       gegeben vorausgesetzt, dass sich jeder und jede wirklich so ein
       Leuchtturmprojekt wünscht. Zumal die international gefeierte Berliner
       Jazzszene bislang in kleinen Clubs floriert. Was die Frage aufwirft, ob
       diese noch die nötige Aufmerksamkeit bekommen, wenn sie irgendwann im
       Schatten einer geförderten Institution für den Jazz stehen werden.
       
       Das Zentrum für Jazz und improvisierte Musik ist zudem Teil von
       Streitigkeiten geworden, die gerade hinter den Kulissen entbrannt sind:
       beim Ringen darum, was genau einmal in der Alten Münze entstehen soll. Um
       die Hintergründe genauer verstehen zu können, hilft ein kurzer Blick
       zurück. Schon 2016 plante der Jazztrompeter Till Brönner in der Alten Münze
       ein „House of Jazz“, wofür sich auch der damalige Kulturstaatssekretär Tim
       Renner (SPD) stark machte. Dessen Nachfolger, der [3][linke Kultursenator
       Klaus Lederer], kassierte die Pläne ein und warb darum, an dem Ort Kultur
       in unterschiedlichsten Facetten erblühen zu lassen.
       
       Vor allem der freien Szene in Berlin wurde so einiges versprochen. Als
       Ergebnis eines aufwendigen Beteiligungsverfahrens wurde entschieden:
       Theater, bildende Kunst, alles Mögliche soll hier eine Heimat finden und
       der Jazz ganz nebenbei auch.
       
       Teile der Koalition der Freien Szene, die sich in einer AG Alte Münze
       zusammengeschlossen haben, werfen dem Kultursenator nun vor, intransparent
       weiter die Planungen für den Ort voranzutreiben. Sie fürchten, dass
       Beschlüsse aus dem Beteiligungsverfahren ignoriert werden. Julia Schell,
       Sprecherin der AG, spricht gar von einer „Scheinbeteiligung“. Einer ihrer
       Vorwürfe lautet, dass einzig und allein das Zentrum für Jazz und
       improvisierte Musik als gesetzt betrachtet werde und dieses zudem mit
       Geldern von Bund und Land bezuschusst werden solle, während es in Richtung
       der anderen Künste lapidar heiße: Eure Projekte sollen sich finanziell,
       bitte schön, selber tragen.
       
       Die Befürchtung seitens der freien Szene ist, dass die Alte Münze am Ende
       zu einer Kommerzkulturbude wird, in der sich einzig und allein der Jazz
       frei entfalten kann.
       
       Von der Kulturverwaltung bekommt man bezüglich der Vorwürfe der AG Alte
       Münze leicht schwammig mitgeteilt: „Wir arbeiten derzeit daran, die
       Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens bestmöglich umsetzbar zu machen.“ Die
       entsprechenden Fachplaner seien involviert. „Naturgemäß braucht es Zeit,
       bis man mit Ergebnissen wieder an die Öffentlichkeit treten kann.“
       
       Im August soll es eine weitere öffentliche Veranstaltung zur Alten Münze
       geben. Wie genau es mit dem Zentrum für Jazz und improvisierte Musik
       weitergehen soll, wird sicherlich auch Thema sein.
       
       5 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://jazzpages.de/jazzkeller69-jazz-am-kaisersteg-2021-sommerreihe-berlin-2106024/
   DIR [2] /Neuer-Kulturort-in-Berlin/!5704386
   DIR [3] /Berlins-Kultursenator-Klaus-Lederer/!5646050
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hartmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Jazz
   DIR Freie Szene
   DIR Klaus Lederer
   DIR Kulturpolitik
   DIR Freiräume
   DIR Freie Szene
   DIR Klaus Lederer
   DIR Klaus Lederer
   DIR Kulturpolitik
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Streit um Kulturort Alte Münze: Die CDU rettet einen Club
       
       Die Alte Münze soll den dort bereits tätigen Spreewerkstätten zugeschlagen
       werden. Vom Jazzhaus ist keine Rede mehr, die Freie Szene fühlt sich
       ausgebootet.
       
   DIR Verdrängung: Das Umdenken hat begonnen
       
       Auf der Freiraumkonferenz ziehen Kulturschaffende und
       Politiker*innen eine positive Bilanz. Zahlreiche Orte wurden
       gerettet.
       
   DIR Neuer Kulturort in Berlin: Mehr Musik in der Münze
       
       Die Alte Münze wird ein Haus für Jazz. Doch es gäbe Platz für mehr: Wofür,
       darauf konnten sich Politik und Kulturszene bisher nicht einigen.
       
   DIR Streit um Alte Münze: Jazz ist jetzt der Renner
       
       Der Kultursenator hat entschieden, dass in der Alten Münze ein Zentrum für
       Jazz entsteht. Beteiligte eines Partizipationsverfahren reagieren empört.
       
   DIR Berlins Kultursenator Klaus Lederer: „Ich mache wohl nicht alles falsch“
       
       Der beliebteste Politiker des Landes über eintrittsfreie Museen, die
       Förderung von Frauen, Kultur als sozialen Kitt und die Kritik der Freien
       Szene.
       
   DIR Kulturstandort in Berlin-Mitte: Alte Münze bald poliert
       
       Der zähe Streit um die Alte Münze in Mitte könnte gelöst sein: Es zeichnet
       sich ab, dass dort demnächst ein Standort für bedrohte Kultur entsteht.