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       # taz.de -- Grundrechtereport 2021: Kontrolle mit Maschinenpistole
       
       > Der Grundrechtereport 2021 rügt die Polizei für ihre Strategie gegen
       > angebliche Clan-Kriminalität. Auch Rechte von Geflüchteten wurden oft
       > missachtet.
       
   IMG Bild: Überzogen und stigmatisierend, sagen Aktivist:innen: Razzia in einer Shishabar in Berlin
       
       Freiburg taz | „Shisha-Rauchen ist nicht kriminell“, steht auf einem
       Plakat, das gelegentlich in Berlin-Neukölln zu sehen ist. Die
       Stigmatisierung arabischer Großfamilien im Kampf gegen [1][sogenannte
       Clan-Kriminalität] war ein Schwerpunkt bei der Vorstellung des neuen
       Grundrechtereports (GRR) am Mittwoch in Berlin.
       
       „Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich“, kritisiert Mohammed Ali Chahrour
       von der Neuköllner Initiative „Kein Generalverdacht“. Mit einer offen
       angekündigten „Politik der 1.000 Nadelstiche“ gehe die Berliner Polizei
       gegen Shishabars und andere Einrichtungen vor, die sie den Clans zurechne.
       Auch in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen verfolge die Polizei ähnliche
       Strategien.
       
       „Die Polizei stört dabei den Alltag mit ihren ständigen anlasslosen
       Kontrollen“, so Chahrour. Es wirke auch mehr als stigmatisierend, wenn die
       Polizei einfache Gewerbekontrollen zum Beispiel in Shishabars mit Dutzenden
       oder Hunderten teils schwer bewaffneten Polizist:innen absichere. Der
       Ertrag dieser Einsätze stehe oft in keinem Verhältnis zum martialischen
       Auftreten. „Meist entdeckt die Polizei dabei [2][nur
       Ordnungswidrigkeiten]“, argumentiert Chahrour.
       
       Bei dem Begriff „Clan“ denke niemand mehr an schottische Großfamilien, so
       der Aktivist. Der Begriff werde heute fast schon gleichbedeutend mit
       „organisierter Kriminalität“ verwendet. „Clan“ habe den Begriff „Rasse“ als
       Kategorie der öffentlichen Stigmatisierung abgelöst.
       
       ## Asylunterkunft abgeriegelt
       
       Die Stigmatisierung arabischer Clans sei für die Betroffenen aber nicht nur
       lästig und diskriminierend. Es könne auch lebensbedrohlich sein, so
       Chahrour. Tobias R., der Attentäter von Hanau, habe „nicht nur aus einer
       Laune heraus“ in einer Shishabar gemordet. Die Berliner
       Integrationsforscherin Naika Foroutan stimmte zu: Es gebe wohl einen
       Zusammenhang zwischen den ständigen Razzien in Shishabars und den Morden
       von Hanau.
       
       Ein zweiter großer Schwerpunkt der GRR-Präsentation war die Auswirkung der
       Coronapandemie auf die Grundrechte, insbesondere von Migrant:innen.
       Foroutan wies darauf hin, dass die hohe Zahl von Migrant:innen in den
       Covid-19-Intensivstationen auch mit deren Arbeitsbedingungen zu tun haben
       könne. Sie seien gerade in Bereichen mit viel Menschenkontakt stark
       überrepräsentiert, etwa in der Altenpflege, bei der Paketzustellung und in
       der Medizin.
       
       Der aus dem Iran geflohene Kurde Kawe Fateh schilderte den fragwürdigen
       Umgang mit Covid-19-Infektionen in einer Flüchtlingsunterkunft in
       Halberstadt (Sachsen-Anhalt). Nachdem im Mai 2020 einzelne Fälle
       aufgetreten waren, habe die Polizei frühmorgens die drei Blocks umstellt,
       in denen rund 800 Menschen lebten. [3][Niemand durfte mehr seinen Block
       verlassen], nur das Personal konnte sich weiter frei bewegen und auch
       zwischen Wohnung und Arbeit pendeln.
       
       In den Unterkünften standen die Bewohner:innen allerdings weiterhin in
       der Schlange bei der Essensausgabe, berichtet Fateh. Die Zimmer blieben
       mit bis zu vier Personen belegt, Masken gab es erst nach zwei Wochen, Tests
       ebenso. Die Quarantäne wurde mehrfach verlängert und dauerte letztlich fünf
       Wochen. Unter den Bewohner:innen habe sich ein Gefühl der
       Schutzlosigkeit ausgebreitet. Es kam zu einer Vielzahl weiterer Infektionen
       unter den Bewohner:innen. Das Land scheint das bewusst hingenommen zu
       haben.
       
       Der Grundrechtereport (GRR) ist ein Taschenbuch, das im Buchhandel
       erhältlich ist und seit 1997 als eine Art „alternativer
       Verfassungsschutzbericht“ veröffentlicht wird – in diesem Jahr zum 25sten
       Mal.
       
       26 May 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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