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       # taz.de -- Doku über Journalismus in Mexiko: Kämpferin gegen das Schweigen
       
       > Die Arbeit der mexikanischen Journalistin Carmen Aristegui ist
       > lebensgefährlich. Juliana Fanjul erzählt in ihrem Dokumentarfilm „Silence
       > Radio“ davon.
       
   IMG Bild: Die mexikanische Journalistin Carmen Aristegui umringt von Kolleginnen
       
       Eine Kundgebung im Herzen von Mexiko-Stadt: Parolen, Transparente, Kerzen.
       Journalistinnen und Journalisten fordern Gerechtigkeit für den
       [1][ermordeten Reporter Javier Valdez]. Einige haben Fotos ausgelegt, um an
       den Getöteten und die vielen anderen Medienschaffenden zu erinnern, die der
       Gewalt zum Opfer gefallen sind. Mittendrin steht [2][Carmen Aristegui].
       „Dieser Staat ist verantwortlich“, sagt die Journalistin ins Megafon und
       spricht von einem Land, das von der Mafia gefesselt sei. „Heute ist das
       Gesicht Mexikos das eines ermordeten Journalisten.“
       
       Der Einstieg des Dokumentarfilms „Silence Radio“ zeigt seine Protagonistin
       genau da, wo sie sich meistens befindet: mittendrin. Carmen Aristegui ist
       nicht immer am Ort des Geschehens, so wie an diesem Tag im Mai 2017,
       nachdem ihr Kollege Valdez, einer der bekanntesten Beobachter der
       Drogenmafia, von Killern des Sinaloa-Kartells hingerichtet worden war. Aber
       bis heute berichtet sie in ihrer Sendung „Aristegui Noticias“ unerbittlich
       von Angriffen auf indigene Aktivisten, Feministinnen und
       Menschenrechtsverteidigern oder die korrupten Verstrickungen von
       Kriminellen und Politikern.
       
       Sie ist noch immer da, obwohl der ehemalige Präsident Enrique Peña Nieto
       alles daran gesetzt hatte, Aristegui zum Schweigen zu bringen. Die
       Journalistin und ihr Team deckten 2014 auf, dass der Politiker eine
       Edelvilla mit Schmiergeldern erworben hatte. Daraufhin kündigte der
       Radiosender MVS, der zu 80 Prozent von staatlich finanzierter Werbung
       lebte, der Moderatorin und zwei ihrer Mitarbeiter den Vertrag.
       
       Obwohl Aristegui hohe Einzahlquoten versprach, wagte auch kein anderes
       Medienhaus eine Kooperation. Zigtausende gingen für die Moderatorin auf die
       Straße, 200.000 forderten in einer Petition ein Ende der Zensur. Doch
       zugleich erreichten Aristegui Morddrohungen, Unbekannte schickten ihr
       Todesanzeigen mit ihrem Namen.
       
       Dass die Journalistin heute mit „Aristegui Noticias“ eines der wichtigsten
       Nachrichtenprogramme Mexikos publiziert, ist ihrer Zähigkeit im Widerstand
       gegen Peña Nieto und dessen korrupter Partei PRI zu verdanken, die über
       viele Jahrzehnte die Geschäfte des Landes lenkte. „Optimismus ist fast eine
       moralische Verpflichtung, die Alternative ist aufzugeben“, sagt die
       57-Jährige.
       
       Die mexikanische Filmemacherin Juliana Fanjul begleitet Aristegui in der
       Doku „Silence Radio“ bei wichtigen Stationen ihres Kampfes: beim Besuch bei
       der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, beim Aufbau des eigenen
       Sendestudios, bei Demonstrationen. Sie lässt Aristegui berichten, wie das
       Regime mit einem massiven Spyware-Angriff gegen sie und andere
       Kritikerinnen und Kritiker vorgegangen ist.
       
       Die Filmemacherin nutzt auch Aufnahmen einer Überwachungskamera, die
       zeigen, wie Unbekannte in die Redaktionsräume einbrechen. Zuvor hatte
       Aristegui darüber berichtet, dass ein führender PRI-Politiker in ein
       Prostitutionsnetzwerk eingebunden ist.
       
       Fanjul begleitet ihre Protagonistin aus einer sehr persönlichen
       Perspektive. Die 40-Jährige kennt das korrupte Regime der PRI, und sie ist
       mit Aristegui groß geworden, 20 Jahre lang hat sie die Sendungen der
       Journalistin gehört, auch noch, nachdem sie 2011 für ein Filmstudium in die
       Schweiz gegangen ist. „Carmens plötzliche Stille erzeugte zuerst ein Gefühl
       von großem Verlust“, sagt sie. Später entschloss sie sich, „Silence Radio“
       zu drehen.
       
       Fanjul zeigt eine starke Frau, die immer herzlich gegenüber den vielen Fans
       ist, die mit ihrer „Carmen“ bei Dreharbeiten auf den Straßen der Hauptstadt
       ein Selfie aufnehmen wollen. Doch obwohl die Filmemacherin ihre
       Protagonistin sehr nah begleitet, hält Aristegui eine gewisse emotionale
       Distanz aufrecht – ein Schutzschild, ohne den sie die vergangenen Jahre
       wohl kaum ertragen hätte. Nur in sehr wenigen Momenten kommt vorsichtig die
       Anspannung zum Ausdruck, die [3][bei investigativ arbeitenden
       Journalistinnen und Journalisten in Mexiko immer mitschwingt]. So etwa, als
       die Moderatorin in ihrer Sendung über den Mord an Valdez berichtet.
       
       In eindrucksvollen Aufnahmen beschreibt Fanjul die gesellschaftliche
       Situation, in der die Verfolgung Aristeguis stattfindet: hier ein
       Präsident, der in Saus und Braus sein Amt abfeiert, dort ein [4][Angriff
       von Kriminellen und Polizisten auf Studenten, bei dem sechs Menschen
       ermordet werden und 43 für immer verschwinden].
       
       Doch mit ihrer absoluten Fokussierung auf die Moderatorin und ihr Team –
       „Carmens Arbeit gab uns unsere Stimme zurück“ – lässt Fanjul eine wichtige
       Entwicklung außen vor. Trotz staatlicher Verfolgung und Mafiaterror, trotz
       vieler Morde an Medienschaffenden sind in Mexiko in den letzten zwanzig
       Jahren zahlreiche journalistische Projekte entstanden, die korrupte
       Machenschaften aufdecken, Menschenrechtsverbrechen anklagen und der Gewalt
       widerstehen. Wie der Erfolg Aristeguis lässt auch das hoffen, dass das
       Gesicht Mexikos eines Tages nicht mehr das eines ermordeten Journalisten
       ist.
       
       15 Apr 2021
       
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