# taz.de -- Film über den Mord an Jamal Khashoggi: Die eigene Meinung als Verbrechen
> Düster und aufrührend: Bryan Fogels Dokumentarfilm „The Dissident“
> versammelt brutale Fakten zur Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi.
IMG Bild: Der Journalist Jamal Khashoggi mit seiner Verlobten Hatice Cengiz
Die Gelenke seien kein Problem, aber ob Rumpf und Hüfte wohl in eine Tüte
passen, fragt sich einer der Mörder. Für die von ganz oben angeordnete
[1][Abschlachtung von Jamal Khashoggi] schickte die saudische Regierung am
2. Oktober 2018 ein paar ausgewählte Vollstrecker in ihre Botschaft nach
Istanbul. Der Journalist und Regimekritiker wollte dort an diesem Tag seine
Papiere für die bevorstehende Hochzeit mit seiner Verlobten Hatice Cengiz
abholen. Er verließ das Gebäude bekanntlich nicht mehr lebend. Es sind
Dokumente absoluter Kaltblütigkeit, in die der Regisseur Bryan Fogel für
seine Doku „The Dissident“ Einblick bekam.
Aus Transkripten, Tweets, Gesprächen mit Cengiz, mit Aktivist:innen,
Ermittler:innen, Poliker:innen und Beobachter:innen wie der
UNO-Sonderberichterstatterin [2][Agnès Callamard] sowie aus Interviews und
Aussagen, die Khashoggi selbst in seiner erfolgreichen Laufbahn als
Journalist tätigte, hat Fogel den Mord, dessen Vor- und dessen
unzureichende Nachgeschichte rekonstruiert: „Wir Saudis haben Besseres
verdient“, hört man Khashoggi einmal sagen.
Damals schien der Journalist noch daran zu glauben, durch konsequente
Kritik in seiner Heimat etwas verändern zu können. Doch „in Saudia-Arabien
gilt eine eigene Meinung als Verbrechen“, sagt Videoblogger Omar Abdulaziz
vor Fogels Kamera. Und [3][so schlug der Staat, angeführt vom saudischen
Kronprinzen Mohammed bin Salman, zu] und entledigte sich dieser Meinung.
Fogel, der im Jahr 2018 in seinem oscarprämierten [4][Dokumentarfilm
„Ikarus“ mithilfe eines Selbstversuchs das russische Dopingsystem
untersuchte] und die Zusammenhänge um das Dopingprogramm der Winterspielen
2014 aufdeckte und der ein paar Jahre zuvor einen Spielfilm inszeniert
hatte, bleibt in „The Dissident“ komplett auf der Regieseite: Er komponiert
die abscheulichen Fakten um den Mord dramaturgisch wie einen Thriller,
inklusive – fast als plot point – einer Tonaufnahme der Tat selbst und
einer Abschrift dieser Aufzeichnung.
## Worte reichen völlig aus
Dennoch ist sein Film nicht sensationslüstern. Fogel exponiert weder
Grausamkeit noch Leid, sondern bemüht sich, formal bei der zumutbaren
Präsentation von Fakten zu bleiben. Schnell aufeinanderfolgende Bilder der
Transkripte, in denen wichtige Sätze hervorgehoben werden, können die
Wirkung der Inhalte dadurch etwas entschärfen: Es braucht kein Bild und
kein Reenactment eines brutalen Mordes, um diesen im Kopf der
Zuschauer:innen sichtbar werden zu lassen. Worte reichen völlig aus –
auch Khashoggi hat schließlich mit Worten gekämpft; und sein in der
öffentlichen Kommunikation stark auf Twitter fokussiertes Heimatland
ebenfalls.
So ist „The Dissident“ ein relevantes, düsteres und aufrührendes Werk
geworden – das politisch eine klare Haltung zeigt: Immer noch folgen dem
Mord auf internationaler Ebene keine Konsequenzen, obwohl auch die Aussage
der saudischen Regierung, die Tat sei „aus Versehen“ passiert, eindeutig
widerlegt wird.
Fogel lässt in seiner Arbeit keinen Zweifel daran, dass die Geschichte
nicht abgeschlossen ist. Von wirtschaftspolitischen Zusammenhängen und
Verstrickungen des reichen Königreichs mit Ländern wie den USA, wo
Khashoggi als Reporter für die Washington Post arbeitete – deren Besitzer,
Amazon-Gründer Jeff Bezos, Opfer eines Handyhacks der Saudis wurde –,
berichtet Fogel genauso wie von den angespannten Beziehungen der Türkei zu
Saudi-Arabien, die zum Engagement der türkischen Regierung für die
Aufklärung führten.
## Künstliches Tempo
Doch formal bewegt sich der Film mit seinen vielen Videotricks, Texten im
Bild, der raunenden, dräuenden Musik und den schnellen Schnitten, die auch
bei ruhig Rede und Antwort stehenden talking heads Tempo und Spannung
vermitteln sollen, klar in der aktuellen US-amerikanischen
Dokumentarfilmschule, die sich seit einiger Zeit vor allem durch das
internationale Angebot der VoD-Anbieter durchsetzt.
Eine Debatte, wie sie in Deutschland momentan anlässlich des [5][Skandals
um den inszenierten Sexarbeitfilm „Lovemobil“] entstanden ist und deren
Strudel fast auch eine aktuelle politische Dokumentation über die
Philippinen namens „Die Unbeugsamen“ erfasst hätte, wird in den USA kaum
geführt. Sie ist jedoch dort nicht weniger elementar.
Denn die Diskussion darüber, wie viel Authentizität in Dokumentarfilmen
nötig ist und inwiefern – neben thematischen Entscheidungen – musikalisch,
per Schnitt oder Kameraeinstellung manipuliert werden darf, um eine
Regiehaltung zu vertreten, darf gerade in Zeiten, in denen mediale
Berichterstattung mit Fake-News-Vorwürfen kämpft, über der Notwendigkeit
der Inhalte nicht vergessen werden. Denn es geht dabei nur begrenzt um
Sehgewohnheiten und Geschmack, sondern vielmehr um die Frage der
Wahrhaftigkeit.
16 Apr 2021
## LINKS
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## AUTOREN
DIR Jenni Zylka
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