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       # taz.de -- Spielfilm „Malmkrog“ von Cristi Puiu: Gewalt und ein zivilisiertes Gespräch
       
       > Ginge es mit rechten Dingen zu, wäre „Malmkrog“ ein todlangweiliger Film.
       > Doch Cristi Puiu inszeniert ihn so spannend, dass man immer dabeibleibt.
       
   IMG Bild: Berichten, lesen, argumentieren, streiten: die zivilisierte Tischgesellschaft von „Malmkrog“
       
       Ein Haus, ein Anwesen eher, draußen liegt Schnee. Eröffnung in diesem
       Draußen, aber was folgt, fast dreieinhalb Stunden lang, ist im Wesentlichen
       ein Innenraumfilm. Die Menschen drinnen, Männer und Frauen, sind durch ihre
       Kleidung als Menschen der Vergangenheit klar erkennbar. Einblendungen und
       genaue Informationen zur Zeit – außer: es muss kurz vor Weihnachten sein –
       gibt es nicht.
       
       Mit dem Ort der Handlung verhält es sich anders: Malmkrog nämlich, nicht
       dass man es ohne Googeln erfährt, ist ein Dorf in Siebenbürgen. Tatsächlich
       sind dort, nämlich rund um das kleine Schloss der ab dem 15. Jahrhundert
       hier residierenden Adelsfamilie Apafi, alle Außenaufnahmen gedreht.
       
       Was es gibt im Film, ist fließende Zeit. Was es gibt, sind Zäsuren, die das
       Fließen der Zeit, und auch das Fließen der Dialoge und Worte, teils jäh
       unterbrechen. Worum man nicht herumreden kann: Der Film besteht zum größten
       Teil aus Gesprächen. Männer und Frauen, über die man insgesamt kaum was
       erfährt, stehen in Zimmern oder sitzen am Tisch und berichten, lesen,
       argumentieren, streiten sich, aber sehr zivilisiert, noch dazu die meiste
       Zeit auf Französisch; gelegentlich Dialoge auf Deutsch.
       
       Das meist im Hintergrund stehende oder wuselnde Dienstpersonal, das
       zwischendurch jedoch sehr gezielt in den Vordergrund rückt, hört man
       Ungarisch sprechen. Was die hohen Herrschaften reden, ist von Small Talk
       Welten entfernt. Es ist vielmehr ein Film, der ganz programmatisch aus Big
       Talk besteht.
       
       ## Die kurze Erzählung vom Antichrist
       
       Und hier, immerhin, gibt [1][Regisseur und Drehbuchautor Cristi Puiu]
       (berühmt geworden mit seinem Krankenhaus-Passionsspiel „Der Tod des Herrn
       Lazarescu“) von Anfang an Auskunft: „Malmkrog“ ist die Verfilmung eines
       philosophischen Texts, und dieser Text ist reichlich obskur. Verfasst hat
       ihn Wladimir Solowjow (Lebensdaten: 1853 bis 1900), in der deutschen
       Übersetzung heißt er „Drei Gespräche“ und ist in der Tat in Gesprächsform
       gehalten.
       
       Solowjow war in erster Linie Religionsphilosoph, Team Dostojewski,
       Tolstoi-Verächter, erst russisch-orthodox religiös, dann trat er zum
       Katholizismus über, war eine Zeitlang Verfechter der Vereinigung aller
       christlichen Kirchen, am Ende verfasste er jedoch, düstrer gestimmt, eine
       „Kurze Erzählung vom Antichrist“, in der es diesem gelingt, die Herrschaft
       über die Welt an sich zu reißen.
       
       Der philosophische Text, den Puiu hier ausdrücklich verfilmt, eröffnet nach
       Art eines Dramas mit einem kurzen „Der Schauplatz“ überschriebenen Teil,
       der erklärt, dass sich eines Sommers fünf Russen „im Garten einer jener
       Villen versammeln, die am Fuß der Alpen auf die blauen Tiefen des
       Mittelmeers blicken“. Das war Puiu offenkundig zu lieblich: Bei ihm gibt es
       keinen Sommer, nicht unbedingt Russen, keine Alpen, keine Gespräche im
       Garten und einen Blick aufs Mittelmeer schon mal gar nicht.
       
       Die „Drei Gespräche“, die Puiu verfilmt, sind Gespräche über Krieg und
       Frieden, Gott und die Welt, am Ende ausführlich über Worte Jesu, spezifisch
       die Weinberg-Episode im Neuen Testament. Für alle, die sich weder für
       Solowjow speziell interessieren noch für gut abgehangene Diskussionen über
       Kriegs- und Glaubensfragen aus russischer Perspektive, ist der Inhalt
       dieser Gespräche, man kann schon sagen: nicht gerade brennend interessant.
       Und es gibt zwar Unterbrechungen, aber das Gerede hört keineswegs auf,
       zieht sich vielmehr über dreieinhalb Stunden.
       
       Ginge es mit rechten Dingen zu, wäre „Malmkrog“ also ein todlangweiliger
       Film. Und klar, er polarisiert, manchen war es wirklich zu viel, als der
       Film [2][letztes Jahr im neuen Berlinale-Wettbewerb „Encounters“] lief, der
       sich aufs Wagemutige kapriziert. Die Jury aber verlieh Puiu den Preis für
       die beste Regie. Seitdem hat es „Malmkrog“ auf manche Bestenliste der
       cinephileren Art für 2020 geschafft, überhaupt waren die Kritik und die
       Mehrheit der Zuschauer*innen sehr angetan, wenn nicht ganz aus dem
       Häuschen. Wie ist das nun bloß möglich?
       
       ## Auf hinreißende, nie vorhersehbare Weise komponiert
       
       Sehr einfach: Der Film ist meisterhaft inszeniert, und zwar im
       buchstäblichen Sinn von Mise-en-scène: in Szene gesetzt. Der Raum, genauer
       die Innenräume des nie ganz überschauten Gebäudes, werden zum Gefüge, durch
       das sich die Figuren, und mit ihnen die eher unauffällige Kamera, bewegen.
       
       Die Zimmer sind durch offene Türen verbunden, sodass es zum Geschehen im
       Vordergrund oft Tätigkeiten im Hintergrund gibt. Der Tisch wird gedeckt,
       ein Kind wird von einer Bediensteten am Eindringen in den Salon gehindert.
       Im Zimmer, auf das der Blick fluchtet, liegt ein alter, kranker Mann im
       Bett, dem Blick meist entzogen. Was es mit ihm auf sich hat, kann man nur
       nach und nach und nie völlig erschließen.
       
       Aber auch der Vordergrund, in dem die Stehenden, Sitzenden, Sprechenden
       ihre Bezüge zum hinreißend ausgestatteten Raum und zueinander ständig
       verschieben, sich staffeln zur losen oder verdichteten Gruppe, ist auf
       hinreißende, nämlich nie vorhersehbare Weise komponiert: als im Raum
       verteiltes Ensemble, in dessen Stellung der einen zum andern sich Dynamiken
       zeigen, offenbaren und ändern.
       
       Es gibt Streit und Konflikt, Spott und Indignation, im Ton aber bleibt
       alles zivilisiert. Die recht unbekannten Darsteller*innen sind durchweg
       grandios, das Sprechen der jeder Alltagsrede denkbar fernen philosophischen
       Texte gelingt ihnen, ohne dass sie je ins Deklamieren publikumsadressiert
       Theaterhafte verfallen oder zu brillieren versuchen.
       
       Die Einstellungen sind, obwohl die Kamera nie die Aufmerksamkeit auf sich
       zieht, nie ganz statisch. So entsteht der Eindruck einer Abfolge von
       Gemälden, aber bewegten Gemälden mit fluider innerer Komposition.
       Raffiniert ist der Film auch in seiner Struktur. Puiu hat nicht nur den
       Schauplatz verlegt, auch sonst interveniert er in die Vorlage, ergänzt sie,
       mal brachial, mal subtil.
       
       So sind statt einer nun drei Frauen mit im Gespräch. Alle haben Namen, es
       gibt nummerierte, durch Schwarzblenden markierte Kapitel, nach dem kurzen
       Prolog ohne Worte draußen im Schnee folgt der erste Teil, wie alle anderen
       mit einem Figurennamen (solche gibt es in der Vorlage nicht) überschrieben:
       Ingrida.
       
       ## Eine unerklärliche brutale Zäsur mitten im Film
       
       Die größten Blöcke bestehen aus den Gesprächen, man steht, spricht, denkt,
       gerät in Streit, sitzt zu Tisch. Unterbrochen werden die philosophischen
       Szenen, wenn die Dienstboten in den Vordergrund rücken, einmal nähert sich
       von irgendwo draußen, nicht näher lokalisiert und lokalisierbar,
       Weihnachtsgesang.
       
       Unvermutet folgt hier und da ein Schnitt, mehrmals Blicke auf die
       Landschaft im Schnee. Nicht nur unvermutet, sondern unerklärt, ja
       unerklärlich eine brutale Zäsur etwa in der Mitte des Films, die sich durch
       wildes Klavierspiel im Obergeschoss ankündigt und dann über die versammelte
       Gesellschaft, den Film und auch die Betrachter hereinbricht.
       
       Der Einbruch der Gewalt geht vorüber, es ist, als wäre nichts geschehen.
       Man redet einfach weiter im Solowjow-Text. Nur hier, aus dem Nichts, wird
       die Gewalt, die im zivilisierten Gespräch der scheinbar zivilisierten
       Gesellschaft latent ist, kurz, auf einen Schlag manifest. Das ist
       verstörend und kühn und macht unmissverständlich klar, dass „Malmkrog“ ein
       Film ist, der immer zugleich auf zueinander bezogenen Ebenen spielt: Es ist
       die erzählerische und filmische Form, die beim philosophischen Big Talk das
       letzte und entscheidende Wort hat.
       
       31 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Rumaenischer-Film-Aurora/!5090981
   DIR [2] /Cristi-Puiu-auf-der-Berlinale/!5665308
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ekkehard Knörer
       
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