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       # taz.de -- Diskurskultur in deutschen Medien: Immer weiter nach rechts
       
       > Im Journalismus hat sich eine gefährliche Tendenz etabliert. Statt auf
       > recherchierte Fakten wird vor allem auf Kontroverse als Selbstzweck
       > gesetzt.
       
   IMG Bild: Abzweigung nach rechts: Vermeintlich bürgerliche oder linksliberale Medien verschieben den Diskurs
       
       Für Journalist*innen gehört es sich eigentlich nicht, über
       Kolleg*innen zu schreiben, so wie ich es an dieser Stelle machen werde.
       Zumindest ist es mir etwas unangenehm. Es muss aber sein, denn in den
       vergangenen Jahren habe ich gefährliche Tendenzen beobachtet, die mir in
       einigen Redaktionen begegnet sind. Es geht um radikalisierte
       Journalist*innen, die verletzbare Minderheiten im Visier haben.
       
       Ich arbeite hier mit sogenannten non mentions, also namenlosen
       Schilderungen, nicht weil ich die Konfrontation scheue – von der habe ich
       aber tatsächlich genug –, es geht mir mehr um eine Arbeitsatmosphäre, in
       der sich diese radikalisierten Autor*innen ungehindert entfalten können,
       in der einige Entscheidungsträger*innen in Redaktionen auf die
       Kontroverse als Selbstzweck und nicht auf die journalistisch recherchierten
       Fakten achten.
       
       Vorab ist mir wichtig: Was Springer-Medien, die Neue Zürcher Zeitung oder
       die [1][Junge Freiheit] mit ihren teils menschenfeindlichen Inhalten
       machen, ist aus meiner Sicht kein Journalismus. Dieses Phänomen müsste in
       einem anderen Text mit der Überschrift „Wehret den Anfängen: längst
       verpasst!“ besprochen werden. Mir geht es hier [2][um vermeintlich
       bürgerliche oder sogar linksliberale Medien], die in den vergangenen Jahren
       immer öfter ausgetestet haben, wie weit sie, meist mit Meinungsstücken, den
       Diskurs nach rechts verschieben können. Spoiler: Sie sind sehr weit
       gekommen.
       
       Ich muss betonen, dass Streit und Diskussion etwas Gutes sein können. Sie
       können Gesellschaften voran- und Lösungen für strukturelle Probleme
       hervorbringen. Es kommt aber darauf an, über was wie diskutiert wird.
       Lauten die Fragen wie folgt, könnte es schieflaufen: Sollen Frauen zurück
       an den Herd? Dürfen queere Menschen Eltern sein? Sollen Geflüchtete im
       Mittelmeer ertrinken?
       
       ## Ein ausgrenzender Diskurs
       
       Genau diese Fragen werden vermehrt seit 2015 – also seitdem das politische
       Klima von rechtsextremen Flammenwerfern angeheizt wurde – unter dem
       Deckmäntelchen der Meinungsfreiheit verhandelt. Eine gewisse rechtsextreme
       Partei hat diese aufgeheizte Stimmung in die Parlamente getragen. Es ist
       nicht so, dass es vor der AfD im Bundestag keinen Rassismus gab, auch die
       deutsche Politik hat sich nach 1945 nicht entnazifizieren können.
       
       Sicher ist aber, dass sie damit die politisierte Andersmachung von
       Minderheiten zur Kür erhoben hat. Diese Kür wurde in einigen Redaktionen
       dankend angenommen. Zu oft lauteten seitdem Antworten auf die Fragen aus
       dem vorherigen Absatz: Ja zum Sexismus, ja zur Queerfeindlichkeit, ja zur
       Menschenverachtung. So im Sinne von: [3][Sollen doch ein paar Flüchtlinge
       ertrinken], selbst schuld, wenn sie sich in Nussschalen auf den Weg übers
       Meer machen, und außerdem schreckt das andere ab, denn wir können nicht
       ganz Afrika aufnehmen.
       
       Ich frage mich immer öfter: Was sagt dieser gewollt ausgrenzende Diskurs
       über die deutschsprachige Medienlandschaft und das journalistische
       Selbstverständnis einzelner Kolleg*innen aus?
       
       Neulich haben die „Tagesthemen“ ein neues Pro-und-Contra-Format eingeführt.
       Das klingt nach Binnenpluralismus. Diese Neuerung illustriert allerdings
       einen Trend, dem zu viele Chefredaktionen verfallen sind: über alles
       diskutieren und jede Meinung normalisieren zu wollen. Natürlich bin ich
       nicht dagegen, über den Einsatz von Smartphones in Schulklassen zu streiten
       oder den Sinn der Erbschaftsteuer oder die Schließung eines ehemaligen
       Flughafens.
       
       Es gibt allerdings Fragen, die nicht verhandelt werden können: jene, die
       die Menschenwürde betreffen. Das Pro-und-Contra-Format öffnet die
       Möglichkeit, dass aus Nachrichtenportalen, Printmedien und
       Rundfunkprogrammen politische Projektionsflächen werden, die sich weniger
       an journalistischen Standards orientieren.
       
       ## Einfacher als früher
       
       Zum ersten Mal sind mir durch antirassistische Diskurse persönlich
       beleidigte Journalist*innen begegnet, da war ich vor knapp zehn Jahren
       ein unbedeutender Praktikant. Anscheinend hatte ich mit einer
       antirassistischen Aussage in einer Redaktionskonferenz einen Redakteur
       (natürlich alt, weiß, cis-männlich, hetero) so sehr getroffen, dass er mich
       zu einem klärenden Gespräch beim Kantinenessen bat. „Mohamed, ich habe
       damals nicht umsonst die Startbahn West in Frankfurt blockiert“, sagte er.
       Ihm gehe Antirassismus so richtig auf den Senkel. Es war der inhaltliche
       Widerspruch, der ihn beleidigte.
       
       Ich weiß nicht, was im Kollegen heute so abgeht, wenn er die vermehrt hör-
       und sichtbaren Stimmen von Schwarzen Menschen und People of Color
       mitbekommt, die über institutionalisierten Rassismus, Polizeigewalt und
       eine ehrliche Aufarbeitung deutscher Geschichte sprechen.
       
       Anders als vor zehn Jahren ist es in Redaktionen heute allerdings einfacher
       geworden, sogenannte kontraintuitive und gewollt politisch inkorrekte
       Inhalte ins eigene journalistische Produkt zu kippen. Oft mit wenig
       Recherchearbeit und immer den „linken Mob“ auf Twitter im Blick. So als
       wäre Twitter das Vorzimmer des Bundeskanzlerinnenamts. Neulich behauptete
       jemand in einer großen deutschen Redaktion, dieser „linke Mob“ sei
       schlimmer als echte Nazis. Das illustriert gut, wie sehr sich die
       Prioritäten verschoben haben.
       
       Wir Journalist*innen sind selbstbewusste Menschen, die das Rampenlicht
       suchen. Klar kenne ich Kolleg*innen, die einfach ihren Job machen und keine
       Profile auf sozialen Medien pflegen. Fakt ist aber, dass viele
       Medienmacher*innen die Öffentlichkeit suchen. Ich bin von dieser
       Darstellungssucht nicht ausgenommen.
       
       Ködern am rechten Rand 
       
       Doch habe ich in den vergangenen zehn Jahren immer häufiger beobachten
       müssen, dass einige Journalist*innen und Redaktionen
       menschenverachtende Kontroversen bemühen – teils um damit aufzufallen, neue
       Abonnent*innen oder Zuschauer*innen am rechten Rand zu ködern,
       manchmal aber, weil sie schlicht daran glauben.
       
       Da ist zum Beispiel eine Kollegin, die ich nur flüchtig kenne. Sie hat
       jahrelang stabile Arbeit in einem regionalen Printmedium geleistet. Das war
       ihr anscheinend irgendwann nicht genug und deswegen schrieb sie – ohne Not
       und mit null Vorrecherche – einen Kommentar, der antirassistische Diskurse
       verteufelte und selbst rassistische Bilder bediente.
       
       Plötzlich war sie jemand und bekam auf Twitter Zuspruch, ja tosenden
       Applaus teils von bekannten rechtsextremen User*innen. Sie bedankte sich
       dafür mit Smileys, nahm motivierende Worte von anderen Journalist*innen
       entgegen, ihre Chefin verteidigte sie vehement. Dennoch beschwerte sie sich
       danach, man wolle sie canceln.
       
       Da ist eine andere Kollegin, die wegen ihrer menschenverachtenden
       Meinungsstücke hinter den Kulissen im Regierungsviertel von
       AfD-Politiker*innen als eine der wenigen aufrichtigen Journalist*innen
       im Land gefeiert wird. Jene, die absolut überzeugt sind, dass die
       „Lügenpresse“ vom jüdischen Philanthropen George Soros Milliarden bekommt,
       um den Untergang des Abendlandes herbeizuschreiben, schicken ausgerechnet
       einer Journalistin Liebeserklärungen? Das müsste einen zum Grübeln bringen,
       right?
       
       Doch das Gegenteil passiert: Auf den verstörenden Zuspruch von
       Rechtsextremen angesprochen, erzählt die Kollegin von ihrer Freude an der
       „linken Ideologiekritik“ und ihrer Skepsis gegenüber Identitätspolitik. Das
       sagte sie so, als wären ihre eigenen Texte keine Identitätspolitik.
       
       Streit als Kernaufgabe 
       
       Einige Chefredaktionen fördern diesen konfrontativen Trend. Denn diese
       Konfrontation ruft (berechtigten) Widerspruch auf. Und so kommt Tag für
       Tag, Woche für Woche eine Talkshow-Runde, ein Pro-und-Contra oder ein
       Leitartikel in Umlauf, der die Existenz von verletzbaren Minderheiten in
       diesem Land gefährdet.
       
       Regelmäßig gibt es danach Aufregung und einige Redaktionen stellen die
       Entgleisungen entweder selbstbewusst als Teil des Diskurses oder als
       bedauerlichen Ausrutscher dar, den man mit einem Gastbeitrag wieder
       gutmacht. So kann faktenbasierter und fairer Journalismus nicht
       funktionieren.
       
       Eine Begleiterscheinung gibt mir aber doch Hoffnung: In vielen Redaktionen,
       die ich gut kenne, gibt es Gruppen von Journalist*innen, die sich genau
       gegen diese Menschenfeindlichkeit wehren. Sie nennen sich „der Untergrund“,
       „der Widerstand“ oder schlicht „die Opposition“. Sie sehen die Rolle
       einzelner radikalisierter Kolleg*innen, die Narrenfreiheit nach rechts
       genießen, kritisch. Sie sind nicht gegen Debatten, fordern aber, dass sie
       respektvoll ablaufen und auf Rassismus, Sexismus oder Queerfeindlichkeit
       verzichten.
       
       Die Kernaufgabe von Redaktionen ist der Streit, damit Inhalte besser
       werden. Das sind Kolleg*innen, die einfach sagen wollen, was ist. Die sich
       intern aber manchmal nicht trauen. Immer wenn so ein menschenfeindlicher
       Kommentar irgendwo erscheint, klingelt mein Telefon.
       
       Dann lese ich zugleich verzweifelte und traurige, kämpferische bis
       rebellische Nachrichten, die diesen längst nach rechts gedrifteten Diskurs
       ablehnen und zu fairem und gut recherchiertem Journalismus zurückkehren
       wollen. Dieser Widerspruch versöhnt mich ein wenig mit meiner eigenen
       Branche.
       
       1 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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