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       # taz.de -- Zoom-Premiere am Residenztheater München: Aufheben, was andere fallen lassen
       
       > Lot Vekemans Monologe sind Stoff für große Solos. Das Münchner
       > Residenztheater brachte ihr Monolog-Triptychon „Niemand wartet auf Dich“
       > heraus.
       
   IMG Bild: Juliane Köhler als ältere Frau in „Niemand wartet auf Dich“
       
       Die holländische Dramatikerin Lot Vekemans ist eine Spezialistin für große
       Fragen. Gerne legt sie diese Figuren in den Mund, die im Schatten des
       Mythos stehen. In ihren [1][Monologen „Judas“] oder „Schwester von“ steigen
       Jesu engster Vertrauter und Ödipus’ unscheinbarste Tochter und
       Halbschwester Ismene aus dem Sammelgrab für Buhmänner und Sidekicks, um die
       tieferen Beweggründe ihres Handelns oder Nichthandelns zu offenbaren.
       
       Nicht nur die deutschen Theater mochten das auch vor dem coronabedingten
       Solo-Boom schon sehr, weil Vekemans’ Stücke großen Solisten noch größere
       Entfaltungsspielräume bieten. Man denke nur an Steven Scharfs luzides
       Martyrium in „Judas“ an den Münchner Kammerspielen (Regie Johan Simons)
       oder [2][an Elsie de Brauws innerlich bebende Ismene am NTGent (Regie Allan
       Zipson]).
       
       Juliane Köhler, die jetzt vor die Live-Cam tritt, mit der das Münchner
       Residenztheater die deutsche Erstaufführung von Vekemans’ jüngstem Stück,
       „Niemand wartet auf Dich“, aufzeichnet, hat ebenfalls das Zeug zur großen
       Leidenden, Denkenden, Wütenden. Es ist darum schwer zu sagen, ob sie in der
       von Daniela Kranz in Szene gesetzten Zoomperformance nur etwas unterspannt
       rüberkommt, weil sich meine Lockdown-Lethargie inzwischen auch auf meine
       Wahrnehmung auswirkt – oder weil Köhler und Kranz bewusst das immense
       Erregungslevel heruntergedimmt haben, auf dem das 2018 uraufgeführte
       Monolog-Triple vor sich hin brodelt.
       
       Das Resi führt mit diesem einstündigen Livestream eine Programmschiene
       weiter, die es seit Beginn der [3][Intendanz von Andreas Beck] mit
       Solo-Abenden bestückt. Die Idee dahinter: Die Münchner Zuschauer sollen die
       neuen Schauspieler kennenlernen. Das wäre bei Juliane Köhler, die seit 1993
       konstant in Münchner Ensembles ist, zwar nicht nötig gewesen, aber in
       diesen Zeiten kommt es ja ohnehin eher aufs Kontakthalten an.
       
       ## Aufmunterung an die Zoom-Gesichter
       
       „Gut sehen Sie aus!“, sagt Köhler deshalb irgendwann stückgetreu, aber
       vielleicht besonders aufmunternd zu den 23 Zoom-Gesichtern, die ihr
       Publikum sind. Mit diesem warmen Köhler-Lächeln, das an klirrende Gläser
       und lange Sommerabende erinnert. Ach! Gerade ist die ewig Mädchenhafte
       allerdings als alte Frau in den Raum geschlurft – mit zaghaften, in ihrem
       Radius eingeschränkten Bewegungen. Gerda sammelt Müll und hebt auf, was
       andere fallen lassen, weil man etwas tun muss, wenn man die Welt verändern
       will, und nur das ändern kann, was in die eigene Reichweite fällt. Das
       wirkt zupackend und traurig zugleich und ist mit mehr als einem Quäntchen
       Fortschrittslamento versehen.
       
       In Teil zwei ringt sich eine Politikerin ein schmerzhaftes Manifest gegen
       den selbstgerechten Unfehlbarkeitswahn in der Politik ab, in Teil drei kann
       eine Schauspielerin nicht mehr schlafen, weil sie sich für alles, was in
       dieser Welt schiefgeht, verantwortlich fühlt.
       
       Alle drei haben ein Buch gelesen, das den Titel dieses kurzen Abends trägt
       – „Niemand wartet auf Dich“ – und ihn unterschiedlich gedeutet: als
       Aufforderung zur begrenzten und dafür zufrieden machenden Tat, zum
       Farbebekennen wider die eigenen Interessen oder zum Verzweifeln angesichts
       der globalen Verantwortung (wobei schleierhaft bleibt, wie sich das im
       Einzelnen begründet).
       
       ## Ganz andere Fragen nach Eigenverantwortung
       
       Dass man aus diesen bisweilen moralinsäuerlichen Ausführungen unter dem
       Strich mehr herauslesen kann als das Bonmot „Es gibt nichts Gutes, außer
       man tut es“, davon kann die Inszenierung nicht überzeugen. So bleibt man
       etwas ratlos zurück und mit dem dumpfen Gefühl, dass die Pandemie ganz
       andere Fragen an Eigenverantwortung und Politik stellt, als es Vekemans vor
       drei Jahren ahnen konnte.
       
       Es ist nicht Juliane Köhlers Schuld, dass ich es zwischendurch
       interessanter finde, meinen Mitzuschauern, unter denen auch die sichtlich
       angetane Autorin ist, beim Zuschauen zuzusehen. Diese puren
       Instanttheaterformen, die eher erweiterte szenische Lesungen sind, haben es
       einfach schwer, die vierte Wand des heimischen Bildschirms zu durchstoßen
       und dauerhaft zu fesseln.
       
       Die schönsten Momente für mich lagen zwischen den Kurzmonologen, als sich
       die alte Dame vor einem Garderobenspiegel in die Politikerin verwandelte –
       weiße Kurz- gegen schwarze Langhaarperücke, beigen Pulli gegen schwarzes
       Jackett getauscht, ein kurzes mascara- und pudergestütztes Einruckeln in
       die neue Figur, und: Tata! Das ist der Zauber der Verwandlung, durchsichtig
       gemacht.
       
       24 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Sabine Leucht
       
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