# taz.de -- Macht der Gewohnheit: Gestern Skandal, heute normal
> Das „neue Normal“ sieht so aus: Maske tragen und Horrormeldungen zur
> Umwelt ignorieren. Vielleicht hilft dagegen ja „Klima vor acht“.
IMG Bild: Bitte trotz Corona nicht vergessen: Klimawandel
Berlin taz | Freund B. setzte sich zu mir an den Tisch und sagte:
„Dsdsneunoma“. Bitte? Dann nahm er die Maske ab und ich verstand, was er
sagte: „Das ist das neue Normal“: Maskentragen in Restaurants und Zügen und
Rumnuscheln hinter dem Mund-Nasen-Schutz.
In der Pandemie haben wir uns schnell an sinnvolle und notwendige Dinge
gewöhnt, die wir vorher lächerlich und überflüssig fanden. Wie Händewaschen
mehr als einmal die Woche.
Dabei ist „the new normal“ bei mir eigentlich schon vergeben: Beim
Klimawandel ist das neue Normal von heute die Apokalypse von gestern.
## Katastrophen ohne Aufschrei
Stellen Sie sich einen halbwegs informierten Menschen vor, der die letzten
zwanzig Jahre in einer Erdhöhle verbracht hat. Zeigen Sie ihm die Daten zur
globalen Temperatur, zum CO2-Anteil in der Atmosphäre und zum Eisverlust
der Gletscher weltweit – und er wird gleich wieder schreiend in seine
Erdhöhle zurückflüchten.
Wir dagegen haben uns Stück für Stück an die schleichende Katastrophe
gewöhnt. Aktuelle Nachrichten, aber kein Aufschrei: Kalifornien geht gerade
in einem flammenden Inferno unter. Nicht irgendein „Mir-doch-Egalistan“,
sondern ein globaler Sehnsuchtsort von Love and Peace.
Im Regenwald von Brasilien wüten die schlimmsten Brände seit dreizehn
Jahren, und das will was heißen. Dass sich der deutsche Wald in Savanne
verwandelt, nehmen wir im dritten Hitze-und-Dürre-Jahr so fatalistisch zur
Kenntnis wie die Staumeldungen im Radio. Im Süden Europas missachten wir
gleichzeitige Waldbrände und Überschwemmungen. Und ich gebe zu: Auch ich
ignoriere manchmal die neuesten Meldungen vom Abschmelzen des
Grönlandeises: Gibt’s nichts Neues?
Das ist nicht das, was mit „Anpassung an den Klimawandel“ gemeint war.
Wir gewöhnen uns einfach an alles. Und das bringt uns noch um. Um mehr
Achtung für brennende Fragen zu erreichen, fordert eine Initiative
[1][„Klima° vor acht“] im Fernsehen: Immer vor der ARD-„Tagesschau“ um 20
Uhr, da, wo bisher die „Börse vor acht“ läuft, soll es tägliche
Klima-Nachrichten geben.
Ich habe mich schon früher über die oft distanzlosen „Nachrichten“ von den
Finanz- und Wirtschaftsplätzen (Milliarden für die Lufthansa-Rettung,
hurra!) geärgert, die mein geliebtes gebührenfinanziertes Erstes täglich
sendet. Jetzt haben die „Klima° vor acht“-Leute es geschafft, per
Crowdfunding genug Geld für ein paar Trailer auf einer Videoplattform
zusammenzubekommen.
Glückwunsch! Vielleicht schaffen sie ja den Sprung ins Fernsehen, kurz vor
der Bauhaus-Werbung. Dazu fehlt nur noch ein bisschen Mut bei den Planern
und den Rundfunkräten, dann freuen wir uns auf ein tägliches Gegengift mit
der Grundhaltung „Nehmt euch vor der Börse in acht“.
Nur über den Titel der Sendung sollten wir noch mal reden. Besser als
„Klima° vor acht“ wäre vielleicht: „Fünf nach zwölf“.
5 Sep 2020
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DIR [1] https://www.startnext.com/klima-vor-acht
## AUTOREN
DIR Bernhard Pötter
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