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       # taz.de -- Geologe über Waldbrände am Amazonas: „Freifahrtschein der Regierung“
       
       > Dass im Amazonasgebiet wieder illegal gebrandrodet wird, interessiert
       > kaum jemanden. Es herrsche ein Klima der Straflosigkeit, sagt Geologe
       > Pedro Luiz Côrtes.
       
   IMG Bild: Kein romantisches Gemälde: ganz realer Waldbrand bei Labrea
       
       taz: Im letzten Jahr gingen Bilder vom brennenden Amazonas-Regenwald um die
       Welt. In diesem Jahr brennt es erneut. Warum steht der Regenwald in diesen
       Monaten eigentlich in Flammen? 
       
       Pedro Luiz Côrtes: Es gibt zwei Arten von Bränden: Zum einen legen Indigene
       und Kleinbauern Feuer, um ihre Felder zu reinigen. Wenn zum Beispiel ein
       Maisplantage angelegt werden soll, muss vorher alles abgebrannt werden.
       Aber das sind nur sehr kleine Flächen. Die großen Feuer werden von Gruppen
       gelegt, die versuchen, öffentliches Land im Regenwald in Privatland
       umzuwandeln und professionell auszubeuten. Häufig werden danach Rinder auf
       die Felder gestellt oder es wird Soja angepflanzt – obwohl das so
       eigentlich illegal ist.
       
       Die Feuer werden also gelegt, um Land zu erschließen? 
       
       Genau. Aber die Brände sind nur der letzte Schritt eines längeren
       Prozesses: Als erstes werden Bäume gefällt, dadurch floriert nebenbei der
       illegale Holzhandel. Danach wird das Gehölz mit Traktoren und Bulldozern
       niedergerissen. Und schließlich wird in der Trockenphase – also jetzt –
       durch Brände eine Endreinigung vorgenommen. Auch wenn die Regierung es
       schaffen sollte, die Brände zu verringern, heißt das erstmal nicht viel.
       Denn ein großer Teil des Schadens passiert bereits vorher.
       
       Viele Expert*innen rechnen für dieses Jahr mit neuen Abholzrekorden. Wie
       erklären Sie das? 
       
       Die Bolsonaro-Regierung hat seit dem letzten Jahr die Kontrollmechanismen
       noch weiter abgebaut und zudem viel weniger Strafen für Umweltvergehen
       verhängt. Holzfäller verstehen das als Freifahrtschein. Es herrscht ein
       Klima der Straflosigkeit.
       
       Es gibt also einen direkten Zusammenhang zwischen der Politik der Regierung
       und der steigenden Abholzung? 
       
       Ohne Zweifel. Es wäre eigentlich die Aufgabe der Regierung, die illegale
       Abholzung zu bekämpfen. Dadurch, dass sie das nicht tut, gibt sie diesen
       Gruppen zu verstehen: Ihr habt nichts zu fürchten.
       
       Wer sind diese Gruppen? 
       
       Es ist schwierig, das genau zu sagen, weil es derzeit so wenig Kontrollen
       gibt. Wenn es doch einmal Festnahmen gibt, bleiben die Auftraggeber oft im
       Dunkeln. Weil die Praxis illegal ist, würde sich niemand öffentlich zu den
       Abholzungen bekennen. Aber es sind meist Gruppen mit ökonomischer Macht.
       
       [1][Mitte Juli haben Bolsonaro und sein Umweltminister Ricardo Salles per
       Dekret die Brandrodungen für 120 Tage verboten]. Rechnen Sie mit einem
       Umschwenken? 
       
       Nein. Das illegale Holzfällen ist ja auch verboten und passiert trotzdem.
       Ohne Kontrollen der entsprechenden Behörden ist das Dekret nutzlos. [2][Die
       Gruppen, die sich Länder illegal aneignen, tun das unabhängig davon, ob es
       Gesetze gibt oder nicht].
       
       Brasilien galt einst als Vorreiter im Umweltschutz. 
       
       Die Umweltschutzmaßnahmen, die seit den 1980er Jahren entwickelt wurden,
       haben erstaunliche Ergebnisse erzielt. Mit den täglichen
       Satellitenaufzeichnungen kann die Abholzung genau beobachtet werden, und
       Beamte können anhand dieser Daten dann illegale Holzfäller verfolgen.
       Natürlich war das System nicht perfekt, aber es hat gut funktioniert und es
       gab konkrete Ergebnisse: Zwischen den Nullerjahren und dem Jahr 2014 ist
       die Abholzung massiv zurückgegangen. Seitdem steigt die illegale Abholzung
       wieder an, vor allem in den letzten drei Jahren (Amtszeit von Bolsonaro und
       seines rechten Vorgängers Michel Temer, Anm. d. Red.)
       
       Als es 2019 in Amazonien brannte, beschimpfte Bolsonaro
       Umweltorganisationen wüst und teilte gegen Kritiker*innen aus. Nun scheint
       Bolsonaro in der Amazonas-Frage etwas ruhiger geworden zu sein. Hat das mit
       dem internationalen Druck zu tun? Immerhin haben zahlreiche ausländische
       Firmen unlängst erklärt, Kapital aus Brasilien abziehen zu wollen, sollte
       das Land die Abholzung nicht in den Griff bekommen.
       
       Ja, auf jeden Fall. [3][Es gibt massiven Druck von ausländischen Firmen und
       Investoren], aber auch von brasilianischen Banken. Sie drohen damit, Gelder
       aus dem Agrobusiness und anderen Bereichen abzuziehen. Denn für sie kann es
       zum Problem werden, wenn ihre Projekte im Zusammenhang mit illegalen
       Rodungen stehen. Die Regierung ist dadurch unter Druck. Aber das heißt noch
       lange nicht, dass sie wirklich effektiv handeln würde. Auch im letzten Jahr
       hat Bolsonaro nach Druck ein Dekret gegen Brandrodungen erlassen. Gebracht
       hat das aber nichts.
       
       Die Regierung behauptet, Brasilien fehlten schlicht die Mittel, um
       effizient gegen illegale Rodungen vorzugehen. 
       
       Das ist ein vorgeschobener Diskurs. Die Regierung hat durch ihren Kurs den
       Amazonas-Fonds blockiert, der von Norwegen, Deutschland und Petrobras
       (halbstaatlicher Erdölkonzern aus Brasilien, Anm. d. Red.) finanziert wird.
       Dort wurden Millionen von Euros zur Rettung des Regenwaldes gesammelt.
       Dieses Geld könnte im Kampf gegen die Abholzung eingesetzt werden.
       
       Warum ist dieser Amazonas-Fonds derzeit blockiert? 
       
       Umweltminister Ricardo Salles hat die Führung des Fonds scharf angegriffen
       und behauptet, dass er schlecht geführt werde. Das ist meiner Meinung nach
       völliger Unsinn, ich halte die Leitung für sehr professionell. Salles stört
       vor allem, dass NGOs finanziert werden. Dass er nun fehlende Mittel als
       Ausrede für die steigende Abholzung nennt, ist absurd.
       
       Ebenjener Umweltminister Salles sorgte vor ein paar Monaten für Empörung,
       als er in einer Kabinettssitzung erklärte, man soll den medialen Fokus auf
       die Pandemie nutzen, um Umweltrichtlinien zu lockern. Wie bewerten Sie
       diesen Vorstoß? 
       
       Das war für mich keine Überraschung. Salles hat damit zusammengefasst, was
       er seit seinem Amtsantritt tut. Dieser Satz war im Prinzip eine Synthese
       seiner Arbeit als Umweltminister. Seit Salles angetreten ist, versucht er,
       Kontrollsysteme abzubauen und Umweltgesetze zu flexibilisieren. Es ist
       symptomatisch, dass vor kurzem ein Treffen von allen ehemaligen
       Umweltministern – rechten und linken – stattgefunden hat, wo große
       Besorgnis über den Abbau des Umweltschutzes geäußert wurde.
       
       Zum Abschluss noch einmal zu den Rodungen. Welche Auswirkungen haben diese
       für das Klima in Brasilien? 
       
       Das Klima des Amazonas-Regenwaldes ist extrem wichtig, um Regen im Zentrum
       und im Süden des Landes zu erzeugen. Die Regenfälle wandern sogar bis nach
       Paraguay, Uruguay und in den Norden von Argentinien. Durch die Abholzungen
       regnet es deutlich weniger und es zeigen sich bereits jetzt die
       klimatischen Auswirkungen. Laut Studien stehen wir an einem Kipppunkt, der
       Regenwald droht, sich eine Savanne zu verwandeln. Wegen des ausbleibenden
       Regens gibt es außerdem weniger Wasser in den Flüssen und dadurch weniger
       durch Staudämme erzeugte Energie. Kurz: Von den Bränden und der Abholzung
       ist das ganze Land betroffen.
       
       10 Aug 2020
       
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