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       # taz.de -- Nicolas Mathieus neuer Roman: Die Prüfungen des Lebens
       
       > Gewalt unter Abgehängten: In Nicolas Mathieus unaufgeregt erzähltem Roman
       > „Rose Royal“ kämpft eine Frau gegen ihre Herkunft und den Alkohol.
       
   IMG Bild: Immer gleich nach der Arbeit das erste Bier
       
       Rose ist fast fünfzig. Doch wegen ihres schlanken Körpers und der schönen
       Beine wirkt sie jünger. Besonders ihr jugendlicher Gang täuscht über ihr
       wahres Alter hinweg, und das hat ihr immer Erfolg bei den Männern beschert.
       Aber sie haben Rose kein Glück gebracht.
       
       Am Anfang der Geschichte von Nicolas Mathieus Roman „Rose Royal“ ist sie
       wieder allein und will das auch nicht mehr ändern. Unglücklich ist sie
       damit nicht. Hat sie doch einen guten Job als Chefsekretärin, eine
       bezahlbare Wohnung und zwei erwachsene Kinder. Und das „Royal“.
       
       Jeden Tag, nach der Arbeit, geht sie in die in die Jahre gekommene Bar.
       Setzt sich an den lang gestreckten Tresen, bestellt ein Bier und nimmt sich
       die Zeitung. „Das Bier war kalt, die Zeitung schon zerlesen, und unter
       ihrer rechten Sohle spürte sie das feste Metall der Fußstütze. Diese drei
       Empfindungen ergaben für sie schon eine Welt, ein annehmbares Zuhause.“
       
       An dem Tag, an dem der Roman beginnt, steht schon wieder ein Artikel über
       die Affäre Grégory in der Zeitung. Seit 1984, als der vierjährige Junge, an
       Armen und Beinen gefesselt, in einem Bach in der Nähe seines Elternhauses
       aufgefunden wurde, beschäftigt dieser Mord die französischen Medien. An den
       aufgebauschten Berichten über die archaischen Familienverhältnisse unter
       den Abgehängten in der Provinz hatte sich ganz Paris ergötzt. Doch die
       Familie schwieg noch immer.
       
       Den Revolver immer dabei 
       
       Rose hatte Mitleid mit dem kleinen Jungen gehabt. Ihr Sohn war damals auch
       erst fünf Jahre alt gewesen. Aber sie verstand, dass die Leute nichts
       sagten. „Diese Leute waren ihr vertraut. Sie war in Lothringen
       aufgewachsen, in einer ähnlichen Familie, umgeben von Schweigen und Groll,
       ein winziges Kaff mit zwei Fabriken und den Reihenhäusern der Arbeiter
       gleich gegenüber, toten Winkeln und einem Hass, der bis auf die deutsche
       Besatzung zurückging.“
       
       Die meisten Männer, mit denen Rose zusammen war, waren früher oder später
       gewalttätig geworden. Die, die es nicht waren, fand sie schnell langweilig.
       „Die Prüfungen des Lebens hatten sie hart gemacht, das war ein Geschenk.
       Rose war jetzt stark. An ihrem Umgang mit Männern sah man, sie konnte sich
       zur Wehr setzen.“ Über das Internet bestellt sie sich einen gebrauchten
       Revolver. Sie trägt ihn immer bei sich – für den Notfall.
       
       Als das Paket eintrifft, fragt sie sich, „warum sie so lange gewartet
       hatte, schließlich hatten schwierige Beziehungen mit Männern ihr ganzes
       Leben geprägt. Wenn sie darüber nachdachte, fing das schon mit ihrem Vater
       an. Liebe und Angst, von Anfang an. Dann die Cousins und das Grabschen. Und
       als sie etwa dreizehn war, ging es richtig los, zuerst ihre Beine, dann ihr
       Po, ihre Brüste, die ganze Palette. Seitdem hatten Männer wahnsinnig viel
       Platz in ihrem Leben eingenommen.“
       
       Nicolas Mathieu wurde, als er für „Wie später ihre Kinder“ den Prix
       Goncourt gewann, mit Émile Zola verglichen. Wie Zola fasziniert ihn eine
       Welt, die andere bestenfalls uninteressant finden: die der kleinen Leute,
       der Arbeiter, die in der französischen Provinz infolge der Globalisierung
       um Job und Anerkennung kämpfen. In seinen Romanen beschwert sich niemand
       über sein Schicksal; zugleich entgeht dem Leser nicht die Ungerechtigkeit,
       mit der diese Leute behandelt werden. Eine Ungerechtigkeit, die sich nicht
       zuletzt in der Gewalt ausdrückt, die sie als Täter ausüben und der sie sich
       als Opfer ausgesetzt sehen.
       
       Vergessene in der französischen Provinz 
       
       Als dann Luc im Royal auftaucht, verabschiedet sich Rose von ihrem guten
       Vorsatz, sich nicht mehr auf Männer einzulassen. Ihr scheint, als hätte sie
       endlich den richtigen getroffen. „Sie musste ihn nur anschauen, dann wusste
       sie Bescheid. Menschen, die einem gefielen, sahen vertraut aus, wie immer
       schon da gewesen.“ Auch sonst schien alles zu stimmen: die gemeinsamen
       Interessen, der geschmackvoll ausgebaute Hof außerhalb der Stadt, der
       Wohlstand mit den Wochenenden in teuren Hotels.
       
       Nur im Bett klappt es nicht so gut, aber darüber sieht Rose erst mal
       hinweg. Und merkt zu spät, dass Luc und sie ein Alkoholproblem haben. Am
       Ende heißt es: „Sie konnte sich nicht vorstellen, ohne ihn zu leben, und
       ärgerte sich über sich selbst, die Gleichung aus Ablehnung und Anziehung
       nicht lösen zu können.“
       
       Nicolas Mathieus Roman „Rose Royal“ erzählt überzeugend die Geschichte
       einer starken Frau, deren Schwäche ihre Herkunft bleibt. Ein Buch, das auf
       unaufgeregte Weise von der Gewalt unter den Abgehängten und Vergessenen in
       der französischen Provinz erzählt. Atmosphärisch dicht und spannend, mit
       einer überzeugend geschilderten Heldin und einem überraschenden, dann im
       Grunde aber doch wieder nicht überraschenden Schluss.
       
       27 Jul 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fokke Joel
       
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